Bereits in wenigen Monaten sollen die Delikatessen aus Grevesmühlen in der Hansestadt zu kaufen sein

Grevesmühlen. Gerrit Quantz zeigt auf eine kleine Garnele, die im Warmwasserbecken schwimmt. Das wenige Millimeter lange, fast transparente Tier, das mit den kleinen Beinen rudert, hat eine lange Reise hinter sich. Im Flugzeug ist es von Florida nach Hamburg gekommen, von Fuhlsbüttel aus dann noch einmal eine gute Stunde Richtung Osten nach Grevesmühlen. Gemeinsam mit 500.000 Artgenossen frisst sich das Meerestier nun sechs Monate lang in einem riesigen Becken an französischem Shrimpsfutter satt. Nach einem halben Jahr endet die Reise dann auf den Tellern von Feinschmeckern.

Die kleine Garnele lebt in der kürzlich eröffneten Garnelenfarm Grevesmühlen, die bei der Zucht von frischen Shrimps im großen Stil Pionierarbeit leistet. Bisher bekommen die Verbraucher in den Supermärkten oder Restaurants fast ausnahmslos tiefgefrorene Meeresfrüchte. Sie werden aus Übersee importiert und würden als Frischware auf dem langen Transportweg verderben. Die Produktion in der Region ermöglicht nun bald auch die Versorgung mit Ware direkt aus dem Becken. „Wir haben schon Reservierungen von Privatkunden, aber auch Kontakte mit Großabnehmern“, sagt Quantz, technischer Direktor des Betreibers green aqua farming. Der 62-Jährige hat sein erstes Seafood aus Pilotanlagen bereits an Fernsehkoch Nelson Müller geliefert. „Er hat daraus Shrimpstatar gemacht und war ganz begeistert“, sagt Quantz, der privat auch nur noch fangfrische Garnelen isst.

Der Privatkunde muss sich noch etwas gedulden, bis er die „White Tiger Shrimps“ probieren kann: Erst im nächsten Frühjahr sind die Garnelen aus Grevesmühlen groß genug für die Ernte. Dann wiegen sie 30 Gramm, werden mit einem Elektroschock getötet und in verschweißten Verpackungen ausgeliefert. Rund 40 Euro für das Kilo wird die Spezialität kosten, damit will Produktionsleiter Marcus Thon auf einen Umsatz von 600.000 Euro im Jahr kommen. „Wir konzentrieren uns auf die Region und Hamburg als Hauptabnehmer für die Garnelen“, sagt Thon. Auch in Bayern entsteht derzeit eine ähnliche Anlage, ebenfalls von green aqua farming aus Wismar konzipiert. Dieser Anbieter will aber vornehmlich nach München liefern. Die Betreiber in Grevesmühlen sind überzeugt davon, dass sie mit der Produktion schnell in die schwarzen Zahlen kommen. Die Kreislauffarm mit einem Wasservolumen von 400.000 Litern hat 1,7 Millionen Euro gekostet, die Investition wurde mit 850.000 Euro aus Mitteln der Europäischen Gemeinschaft im Rahmen des Europäischen Fischereifonds sowie mit Geldern des Landes Mecklenburg-Vorpommern gefördert. Zunächst entstehen im Betrieb eine Handvoll Arbeitsplätze, allerdings könnte der Bedarf an Mitarbeitern durch den Direkt- und Onlinevertrieb des Seafoods noch steigen.

Gerade Garnelen bieten inzwischen großes Marktpotenzial. Sie sind schon lange keine seltene Zutat exotischer Rezepte mehr, sondern verfeinern im Alltag Pizza oder Wokgerichte. Mit einer Produktion von weltweit 3,2 Millionen Tonnen machen Shrimps gewichtsmäßig zwar nur drei Prozent des Speisefischmarktes aus, haben aber im monetären Vergleich mit 20 Prozent der Einnahmen eine herausragende wirtschaftliche Bedeutung. 56.000 Tonnen werden jedes Jahr nach Deutschland importiert. Tendenz steigend.

Das Land Mecklenburg-Vorpommern setzt wirtschaftlich neben dem Tourismus stark auf Aquakulturen, auch mit anderen Fischarten wie dem Ostseeschnäpel aus der Zucht experimentieren Firmen in der Region. „Häufig wissen wir gar nicht, zu welchen Kosten die Fische und Meeresfrüchte in Fernost gehalten werden. Aus Sicht des Umwelt- und Verbraucherschutzes müssen wir die einheimische Aquakultur stärken, damit wir wissen wie, wo und was produziert wird. Hier haben wir Nachholbedarf in Deutschland“, ist Till Backhaus, Minister für Landwirtschaft, Umwelt und Verbraucherschutz des Landes überzeugt.

„Wir werden mit neuen Fördergeldern ab 2015 noch stärkere Akzente auf die Forschung und Förderung von Aquakulturen setzen“, kündigt Backhaus an. Die Aufzucht der Shrimps findet bisher fast ausschließlich in Südostasien und Mittelamerika statt. Der Preis dafür ist hoch: Denn für die Zuchtanlagen werden in großem Stil Mangrovenwälder abgeholzt. Weil die Teiche wegen der Verschmutzung oft nur wenige Jahre in Betrieb sind, werden immer neue Farmen angelegt und dafür immer mehr Mangrovenwälder abgeholzt. Damit gehen den Fischen in den Tropen wertvolle Lebensräume für den Nachwuchs verloren.

Die Tiere sollen ohne die Fütterung von Medikamenten heranwachsen

In Grevesmühlen steht die Hygiene anders als bei vielen Lieferanten aus den Schwellenländern an oberster Stelle. Die Wasseraufbereitung sorgt dafür, dass die Tiere ohne die Fütterung von Medikamenten aufwachsen. 80 Kubikmeter künstlich hergestelltes Meerwasser wird jede Stunde ausgetauscht. Mit diesen Qualitätsansprüchen stehen die Betreiber in der Branche fast alleine. Die Shrimpsfarm in Mecklenburg-Vorpommern hat derzeit auch deshalb eine Monopolstellung in Deutschland, weil das Projekt einer ähnlichen Farm in Niedersachsen wegen Problemen mit der Energie- und Wärmeversorgung ins Stocken geraten ist.

Das Besondere an der Anlage in Grevesmühlen ist auch, dass die Wärme der Biogas- sowie der Kläranlage der Stadt genutzt wird. Schließlich heißen die Meeresbewohner nicht zufällig „Warmwassergarnelen“. Ihr natürlicher Lebensraum ist der Golf von Mexiko. Auch in Mecklenburg schwimmen sie in Becken mit 28 Grad warmem Wasser. Gerrit Quantz, der Fischereibiologie studiert hat, ist überzeugt, dass sich die Tiere hier wohlfühlen. „Sie sind sensibel, aber auch mit einem geeigneten Tages- und Nachtlicht machen wir ihnen das Leben leichter“, sagt Quantz.

So glücklich der gebürtige Kieler darüber ist, dass die Shrimpsfarm nach jahrelanger Entwicklungsphase jetzt an den Start gehen konnte, er denkt schon an neue Meeresbewohner, die er in Mecklenburg aufwachsen lassen will. Quantz will nicht allzu viel verraten, nur so viel: „Wir experimentieren mit Tilapia und Zander.“