Waschbrettbäuchige Jünglinge am Eingang, Parfümnebel über den Regalen und cooles Gehabe waren jahrelang das Erfolgsrezept der Modemarken Hollister und Abercrombie & Fitch. Mittlerweile entwickelt das Image eine zerstörerische Kraft. Zwei ehemalige Hamburger Mitarbeiter berichten über eine dunkle, laute Scheinwelt.

Er ist hübsch, und er brauchte das Geld. Eineinhalb Jahre lang arbeitete Dennis* an der Poststraße in der Hamburger Innenstadt bei Abercrombie & Fitch. Zeigte den Kunden im Eingang der Filiale seinen Waschbrettbauch („Six-Pack“) für knapp 30 Euro die Stunde. „Shirtless Greeter“ heißt dieser Job, den sich das Unternehmen Abercrombie & Fitch (A & F), zu dem auch die Marke Hollister gehört, ausgedacht hat. Die Einstellungskriterien sind relativ simpel: Bauchmuskeln, Bauchmuskeln, Bauchmuskeln – und die Fähigkeit, etwas auf Englisch zu sagen: „Hey, what’s going on?!“ zur Begrüßung eines Besuchers und „Thanks for coming in“, wenn dieser den Laden wieder verlässt. „Ich schätze, ich habe diese Sätze mehr als 2000-mal gesagt“, erinnert sich Dennis. Einfach verdientes Geld, könnte man denken, doch hinter den Kulissen sah es anders aus.

Eine sogenannte Look-Policy regelte alles: Welche Frisuren erlaubt waren, wie die Hose gekrempelt wurde, wie trainiert der Oberkörper zu sein hatte, die Brustwarzen auszusehen hatten. Wer glaubt, Heidi Klum sei streng zu ihren Topmodels, kennt die Mitarbeiterführung von A & F nicht. Natürlich alles unter dem Deckmantel des locker-flockigen „Wir sind alle eine Familie und alle gleich“-Gedöns. Doch wie schon George Orwell sagte: „Manche sind gleicher als andere.“

Als Dennis angeblich zu dünn obenrum wurde, wird er „aussortiert“, wie er es bezeichnet, und auf eine andere, weniger lukrative Position im Ladeninneren geschoben. „Also habe ich so lange trainiert, bis ich wieder oberkörperfrei im Eingang arbeiten durfte“, erzählt der 24-Jährige. Neben der besseren Bezahlung gab es dafür noch eine andere Motivation: Mädchen. „Bei keinem anderen Job lernt man so viele hübsche Mädels kennen, bekommt so viele Telefonnummern zugesteckt“, sagt der 1,90 Meter große Student, der die andere Seite seines Jobs nur ungern thematisiert. „Man muss damit klarkommen, dass einen Frauen ohne zu fragen einfach an den Bauch fassen. Das sind ja Kunden, zu denen durfte ich nicht sagen: Finger weg!“ Manchmal sei er gefragt worden, ob er sich nicht vorkomme wie eine Prostituierte. Und? „Ach, ist ja jetzt vorbei.“

Die Schichten für die „Shirtless Greeter“ wurden in Hamburg drastisch heruntergefahren. Nur noch selten sieht man spärlich bekleidete Jungs herumhüpfen und auf Disco machen, denn auch das gehörte zu den Aufgaben der Mitarbeiter. Ein bisschen zur lauten Musik tanzen, für gute Stimmung sorgen und den Eindruck vermitteln: „Hey, du kaufst nicht nur ein, du betrittst einen angesagten Club.“ Doch die Party ist vorbei. Der narzisstisch-elitäre Ansatz, mit dem das amerikanische Unternehmen zunächst eingeschlagen hatte wie eine Bombe, richtet seine zerstörerische Wucht inzwischen gegen seine Erfinder. Seit 2011 verlor die Aktie die Hälfte ihres Wertes (siehe Grafik). Aus Protest gegen die Arroganz der Marke rief eine Initiative in den USA sogar dazu auf, jeder möge seine A-&-F-Kleidung an Obdachlose verschenken.

Hatte Vorstandschef (CEO) Michael Jeffries in einem seiner seltenen Interviews ursprünglich propagiert, seine Modekette wolle nur junge, hübsche Kunden, werden jetzt auch größere Kleidungsgrößen angeboten. Die auffallenden Logos auf den Shirts und Pullovern sind dezenter geworden, inzwischen gibt es schwarze Klamotten, früher ein Unding. Die Angestellten dürfen mittlerweile auf Deutsch grüßen, und angeblich soll künftig sogar mehr Licht in den dunklen Verkaufsstätten erlaubt sein. Vielleicht werden die Fenster sogar nicht mehr geheimnisvoll abgehängt, sondern – wie bei jedem anderen Modehaus – mit Kleidung dekoriert.

Konkreter ist das nicht zu recherchieren, denn das weltweit agierende Unternehmen mit mehr als 1000 Filialen lässt sich ungern in die Karten schauen und beantwortet Presseanfragen, indem es auf seine Internetseite verweist. Alle Informationen, die sie rausgeben dürften, seien dort. Also keine. Immerhin befindet sich versteckt in einem Dokument für Investoren die Einsicht: „Die öffentliche Meinung über unsere Produkte und über unsere Läden – ob sie nun gerechtfertigt ist oder nicht – könnte unsere Marke beschädigen.“

In der Tat. An Abercrombie & Fitch und seiner Schwestermarke Hollister lässt sich beispielhaft darstellen, wie stark Kleidung mit einer Botschaft verknüpft ist und wie sich diese Botschaft im Laufe der Zeit verändern und sogar ins Gegenteil verkehren kann. Mode ist ein Medium nonverbaler Kommunikation, über sie teilen wir anderen unsere Identität mit, geben Auskunft über unser (gewünschtes) Alter, über unser Geschlecht, über unsere Anschauungen und unseren Status. „Wir sind cool, wir sind elitär, wir sind exklusiv“, lautete die Botschaft der A-&-F-Träger.

Die Marke bediente perfekt das Bedürfnis eines jeden, sich abzusondern. Nicht jeder konnte die hohen Preise zahlen, und bevor die Filialen in Deutschland eröffneten, zeugte der Besitz eines Shirts davon, dass man zum Shoppen in den USA gewesen war. Gleichzeitig wirkten die Logos wie Mitgliedsabzeichen, sie machten den Träger zum Mitglied einer Gemeinschaft. Die Marke war also in der Lage, dem Bedürfnis nach Anlehnung genauso wie nach dem des Sich-Abhebens gerecht zu werden; ein T-Shirt von H&M schafft das nicht.

Doch genau wie Sprache unterliegt auch die Kleidersprache einem Wandel. Die Botschaft der A-&-F-Coolness wurde schwächer und schwächer, bis sie sich aktuell schließlich im Stadium eines traurigen „Ich bin out!“ befindet.

An mangelnder Finesse lag es nicht; das Konzept hat durchaus geniale Elemente. Die Geschäfte beispielsweise bräuchten gar keine Schilder, sie sind mit geschlossenen Augen zu finden. Man geht einfach immer der Nase nach. Das aggressive Männerparfüm, mit dem jeder Laden alle zehn Minuten aus einem Dispenser beduftet wird, strömt bis auf die Straße. „Fierce“ heißt es, an der Kasse könnten die Kunden es kaufen, was jedoch vollkommen überflüssig ist. Nach einem Besuch in der Filiale trägt man es ohnehin noch stundenlang mit sich herum.

Es müsste ein „Tatort“-Plot entwickelt werden, in dem der Mord in einer Abercrombie-&-Fitch-Umkleide allein dadurch aufgedeckt wird, dass der Kommissar an der Kleidung eines Verdächtigen riecht: „Ha! Fierce! Sie waren also im Geschäft, jede DNA-Probe erübrigt sich. Abführen!“

Doch Spaß beiseite. Marketingtechnisch kann der Duft einiges, nämlich das außergewöhnliche Einkaufserlebnis noch einmal zu Hause mit allen Sinnen in die Erinnerung rufen, wenn man die Klamotten auspackt.

Das schummerige Shop-Innere mit den Wandmalereien von halb nackten Adonissen, mit Kronleuchtern, verschlankenden Spiegeln und weichzeichnenden Lichtpunkten gilt genauso als echter Aufmerksamkeitstreffer. Auch Hollister zeichnet sich durch ein klug durchdachtes Raumkonzept aus: Schon von außen sieht der Kunde in der Europa Passage beispielsweise Videos von Wellen. Betritt er den Laden, fühlt er sich wie in einem Ferienort. Die Mitarbeiter tragen ausnahmslos Flip-Flops und hochgekrempelte Hosen, Surfbretter stehen herum, spontan möchte man Sonnencreme auftragen. Selten werden beim Einkaufen so viele Emotionen angesprochen. Es wirkt, als befände man sich mitten in einer kalifornischen Sommerliebe. Doch jeder Urlaub geht irgendwann mal zu Ende.

Viele Erwachsene wurden zu Kunden – das zerstörte die Coolness der Marke

„Das Erfolgsgeheimnis von A & F und Hollister hat sich abgenutzt“, sagt Jörg Nowicki von der Fachzeitschrift „Textilwirtschaft“. Seiner Meinung nach kann sich das Unternehmen nur halten, wenn es endlich beginnt, richtige Mode zu entwerfen, also neue Trends und Looks kreiert, wie H&M, Zara und andere Mitbewerber es nahezu wöchentlich tun. „Bislang bieten sie nur Sportswear mit Logos drauf und keinerlei Kreativität.“ Vieles erinnert auffallend an Hilfiger, und neue Anbieter wie Topshop, Primark und Uniqlo haben den Wettbewerb weiter verschärft.

Dabei hat sich die Marke in puncto Qualität nichts vorzuwerfen. Die Klamotten aus gewaschener Baumwolle zeichnen sich durch einen besonderen Touch aus, Fans loben die Weichheit des Stoffes. Viele Erwachsene oberhalb der ins Visier genommen Alterszielgruppe wurden daher zu Kunden – was den Coolness-Faktor der Marke endgültig zerstörte. „Auf einmal rennen sogar die eigenen Eltern mit den Klamotten rum, etwas Schlimmeres kann es für Jugendliche nicht geben. Wie sollen sie sich so noch abgrenzen?“, sagt Imme Linzer, Dozentin und Modedesignerin aus Hamburg. „Der Hype ist vorbei.“

Dennoch: Noch immer bilden sich ab und zu Schlangen vor den Eingängen der Filialen. Diese werden jedoch gerne auch mal künstlich hergestellt, um die Begehrlichkeit und die scheinbare Exklusivität zu bewahren. „Obwohl der Laden nicht voll war, sollten wir die Leute draußen warten lassen“, erzählt Dennis. Ein anderer ehemaliger Mitarbeiter ergänzt: „Wir haben manchmal nur fünf von zehn Umkleidekabinen aufgesperrt, sodass die Kunden dort weitere 15 Minuten anstehen mussten.“

Moritz* arbeitete wie Dennis für eine längere Zeit bei A & F, jedoch nicht als halb nacktes Modell. Er hatte Shirts und Pullover zusammenzulegen. Klingt nicht schwierig, bei A & F wird daraus jedoch eine Kunst. Die Embleme mussten exakt auf einer Linie liegen, die Größenaufkleber alle an der gleichen Stelle. Millimeterarbeit. „Klappte das nicht, zog der Manager alles wieder aus dem Regal, im schlimmsten Fall musste man gehen“, sagt Moritz. Der BWL-Student fand schon das Einstellungs-Prozedere bizarr. Dabei wurden Fotos von allen Kandidaten erst nach Amerika geschickt, um deren Aussehen zu begutachten. Die ausgewählten Mitarbeiter mussten einen Unternehmens-Film anschauen, „der mich irgendwie an Gehirnwäsche erinnerte. Aber für mein Studium fand ich es spannend, dieses Marketingmonstrum von innen kennenzulernen“, sagt Moritz.

Also blieb er, obwohl ihm die Vorgesetzten vorkamen wie Animateure, er im Dunkeln häufig das Zeitgefühl verlor, seine Taschen regelmäßig kontrolliert wurden und ihn die laute Musik terrorisierte. „Sie lief sogar nach Ladenschluss auf voller Lautstärke, das sollte uns beim Aufräumen in Schwung halten. Irgendwann haben wir eine kleine Rebellion gestartet, sodass sie zumindest leiser gestellt wurde.“ Um Moritz zu motivieren, wurde ihm von seinen Vorgesetzten gesagt, dass er eventuell bald als „Shirtless Greeter“ arbeiten könnte, er müsse lediglich seine Muskeln aufbauen, seine Brille durch Kontaktlinsen ersetzen und sein Haar mit Wachs stylen. „Ich verstehe, dass das Ladenerlebnis von vielen mit Coolness verbunden wird“, sagt Moritz. „Aber ich finde es abartig, dass jungen Menschen vermittelt wird, nur die dünnen, trainierten, blonden, großen Menschen seien angesagt.“ Für die Arbeit hätte er diese Oberflächlichkeit aber akzeptieren müssen, sonst hätte er keine Schicht ausgehalten. Irgendwann kündigte er. „Ist ganz schön gruselig, welchen Einfluss Mode auf Menschen haben kann.“

*Namen geändert

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