HWWI-Direktor Christian Growitsch sieht Herausforderungen für westliche Wirtschaft. Umweltziele werden verfehlt

Hamburg. Mit gemischten Gefühlen betrachtet Christian Growitsch, Direktor des Hamburgischen WeltWirtschaftsInstituts (HWWI), die Entwicklungen der Wirtschaft in China. Das Abendblatt befragte den Ökonomen zur Situation des Landes.

Abendblatt:

Bereits vor Jahrzehnten prognostizierte Peking, bald die USA als Wirtschaftsmacht zu überholen. War der Aufschwung Chinas absehbar?

Christian Growitsch:

Es war durchaus zu erwarten, dass die Öffnung Chinas und die Einführung marktwirtschaftlicher Instrumente zu einer Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit führen und einen Wachstumsprozess in Gang setzen würden. Die Dynamik und Rasanz war jedoch keineswegs absehbar. Ein starkes Wachstum konnte zwar vielerorts beobachtet werden, gerade die asiatischen Tigerstaaten verzeichneten deutlich höhere Wachstumsraten als die westlichen Industrienationen. Dass China diesen Prozess jedoch über beinahe drei Jahrzehnte erhalten und bis zur Mitte der letzten Dekade gar intensivieren konnte, ist meines Wissens einmalig in der Neuzeit.

Wie bewerten Sie die Vor- und Nachteile des Aufschwungs in China?

Prinzipiell gilt, dass weite Teile der chinesischen Bevölkerung von der wirtschaftlichen Entwicklung profitieren konnten. Allein zwischen 1990 und 2005 reduzierte sich die Zahl der in absoluter Armut lebenden Chinesen um fast 700 Millionen. Zudem wurde sehr viel in die nationale Infrastruktur und Bildung investiert. Allerdings blieben viele Probleme ungelöst oder haben sich sogar verschärft, wie die soziale Ungleichheit und die Diskrepanz zwischen Stadt und Land. Auch die Folgen der Übernutzung natürlicher Ressourcen werden immer deutlicher.

Was muss getan werden, um die negativen Folgen einzudämmen?

Growitsch:

Bevölkerung und Regierung scheinen mir zunehmend sensibilisiert für ökologische Fragen zu sein. Das Problem ist vermutlich weniger die Rechtseinführung als die Rechtsdurchsetzung. So sollten einerseits die verschärften Umweltvorschriften auch tatsächlich umgesetzt werden. Gleichzeitig schiene es mir sinnvoll, marktwirtschaftliche Instrumente wie Handelssysteme zu nutzen, um den Ausstoß schädlicher Emissionen effizient einzudämmen.

Ist China in Sachen Umweltbewusstsein bereits auf dem richtigen Weg?

Growitsch:

Der Fünfjahresplan deutet auf eine handelnde Regierung hin, die sich durchaus ambitionierte Ziele zur Bewältigung der aktuellen Probleme steckt. So ist mittlerweile auch die Steigerung der Lebensqualität und nicht mehr das reine Wirtschaftswachstum neuer politischer Maßstab. Dennoch wird China seine ambitionierten Umweltziele aus dem 12. Fünfjahresplan wohl nicht komplett erreichen. Allerdings sollte der Westen bei einer Bewertung der Situation in der Volksrepublik auch Folgendes berücksichtigen: China versucht im Bereich der Umweltpolitik innerhalb weniger Jahre den Fortschritt zu erreichen, für den die westlichen Länder Jahrzehnte gebraucht haben.

Wird sich China in ähnlichem Tempo weiterentwickeln?

Growitsch:

Davon gehe ich nicht aus. Die chinesische Regierung versucht mittlerweile gezielt, das Wirtschafts- wachstum auch unter ökologischen Ge- sichtspunkten zu steuern. So hat bereits der aktuelle Fünfjahresplan eine Ver- langsamung des Wachstums in Aussicht gestellt. Auch wirtschaftlich erscheint die Wachstumsorientierung Chinas Grenzen zu erreichen. Die Verschul- dung hat auf allen Ebenen in den letzten Jahren signifikant zugenommen. Es scheint zu Preisblasen und Überkapazi- täten gekommen zu sein. Allerdings ist davon auszugehen, dass China auch in den kommenden Jahren höhere Wachs- tumsraten erzielen wird als die westli- chen Volkswirtschaften.

Sehen Sie Risiken für den Westen?

Growitsch:

Die Verlangsamung des Wachstums in China stellt tatsächlich ein Risiko dar. Für deutsche Unternehmen ist China der fünftgrößte Absatzmarkt. Kein Risiko, aber eine große Herausforderung ergibt sich aus einer anderen Entwicklung: Bereits jetzt läuft China den westlichen Ländern als Partner in Südamerika und Afrika den Rang ab.