Um 43 Prozent legten die Papiere des Windkraftspezialisten seit Jahresbeginn zu. Norddeutsche Titel wie Aurubis mussten Rückschläge verkraften

Hamburg. Ukraine-Krise, schwächere Konjunkturdaten und wachsende Verunsicherung: Dem Einbruch an der Börse konnten sich auch viele norddeutschen Aktien nicht entziehen. „Die Verluste sind nur etwas geringer ausgefallen als im Deutschen Aktienindex (DAX), der die 30 größten deutschen Werte enthält“, sagt Annemarie Schlüter, Analystin der Hamburger Sparkasse (Haspa). Doch seit Jahresbeginn gibt es durchaus norddeutsche Aktien, die noch ordentliche Kursgewinne aufweisen. Das Abendblatt hat zusammen mit der Haspa Gewinner und Verlierer im Norden herausgefiltert und mit Experten gesprochen, welche Chancen diese Aktien noch haben.

Größter Gewinner ist der Windanlagenbauer Nordex mit einem Plus von 43,5 Prozent, gefolgt vom Hafenkonzern Eurokai (35,5 Prozent), dem Karrierenetzwerk Xing (28,7 Prozent), Fielmann (16,8 Prozent) und der Deutschen Euroshop (14,5 Prozent). Das Unternehmen betreibt Einkaufscenter. Es wurden nicht nur die Kurssteigerungen, sondern auch die ausgeschütteten Dividenden berücksichtigt, denn auch davon profitieren Aktionäre. Außerdem sind sowohl der DAX wie auch der Has-pax, der 23 norddeutsche Aktien vereint, sogenannte Performanceindizes, bei denen die Dividende in der Kursentwicklung mitberücksichtigt wird. So verbucht der Haspax seit Jahresbeginn ein Plus von knapp zwei Prozent, während der DAX 2,4 Prozent verloren hat.

Die Aktionäre von Nordex werden in diesem Jahr mit einem Plus von 43,5 Prozent verwöhnt. Jahrelang kannten die Kurse des Papiers nur eine Richtung: nach unten. Erst seit dem vergangenen Jahr ist das Hamburger Unternehmen wieder auf Erholungskurs. Im ersten Halbjahr wurden Neuaufträge in Höhe von 909 Millionen Euro verbucht. „Damit markiert Nordex eine neue Bestmarke für ein Halbjahr in der Unternehmensgeschichte“, sagt Holger Fechner von der NordLB. Dazu tragen auch neue Produkte wie eine Schwachwindanlage und neue Generatoren bei. „Die Aktie hat noch weiteres Potenzial“, sagt Fechner und sieht sein Kursziel bei 16 Euro. Das wäre noch ein Kurszuwachs von knapp 15 Prozent. Auch andere Banken sind für die Aktie positiv gestimmt. Die Deutsche Bank hat ein Kursziel von 17 Euro und sieht Rückschläge als Kaufgelegenheit.

Von den börsennotierten Hamburger Hafenbetrieben konnte sich Eurokai im Jahresverlauf deutlich besser entwickeln als die Hamburger Hafen und Logistik AG (HHLA), die nur um 5,6 Prozent zulegte. Eurokai kommt auf ein Plus von mehr als 30 Prozent. Für die Hafendienstleister hellt sich die Stimmung auf, denn im ersten Halbjahr verbuchte der Hamburger Hafen den stärksten Gesamtumschlag aller Zeiten. „Die HHLA konnte zwar ihren Umsatz und Containerumschlag im ersten Halbjahr steigern, durch diverse Sonderfaktoren hat sich das aber nicht im Ergebnis niedergeschlagen“, sagt Christian Cohrs von Warburg Research.

Außerdem ist das Unternehmen besonders stark von der Elbvertiefung abhängig, „während Eurokai noch an anderen Hafenanlagen in Deutschland und Europa beteiligt und breiter aufgestellt ist“, sagt Thomas Wybierek von der NordLB. Das für Anfang Oktober erwartete Urteil des Bundesverwaltungsgerichts in Leipzig zur Elbvertiefung kann deshalb großen Einfluss auf die Kursentwicklung der HHLA haben. Bei einem für die Fahrrinnenanpassung sehr günstigem Urteil könnte die Aktie auf rund 24 Euro steigen, geht aus einer Studie von Warburg hervor. Aktuell notiert das Papier bei rund 19 Euro. „Kommt die Elbvertiefung nicht, droht Hamburgs Hafen ins Mittelfeld abzurutschen“, sagt Oliver Drebing von SRH Alsterresearch. Der HHLA-Aktie droht dann ein Absturz.

Während sich die Anleger mit der HHLA-Aktie auf eine reine Spekulation einlassen, gilt das Papier der Augenoptikerkette Fielmann als „grundsolides Investment“, wie Christian Hamann von der Haspa sagt. „Das Unternehmen ist mit einer Eigenkapitalquote von über 70 Prozent sehr solide aufgestellt und hat mit über 50 Prozent Marktanteil ein stabiles Geschäftsmodell“, sagt der Experte. Ein Beleg dafür ist das bisherige Kursplus von rund 17 Prozent. Die Dividendenrendite liegt bei über drei Prozent. Am Freitag wird die Aktie gesplittet. Für einen Anteilsschein erhalten die Aktionäre zwei, gleichzeitig halbiert sich der Kurs, der im Mai schon die Marke von 100 Euro überschritten hatte. Wegen des schon stark gestiegenen Kurses ist Fielmann für die Haspa kein klarer Kauf mehr. Dagegen rät die DZ-Bank weiterhin zum Kauf der Aktie.

Zu den größten Verlierern unter den norddeutschen Werten gehört der Medizintechnik-Hersteller Dräger. Seit Jahresbeginn verlor die Aktie 28 Prozent. Doch das ist nicht nur der schwächeren Weltkonjunktur geschuldet. „Das Unternehmen hat seine Aktionäre mehrfach mit nach unten korrigierten Prognosen enttäuscht“, sagt Marco Günther von der Haspa. Das habe sehr viel Vertrauen gekostet. „Auf eine schnelle Erholung des Papiers würde ich nicht setzen“, sagt Günther. Auch die Kupferhütte Aurubis gehört mit einem Minus von 11,3 Prozent zu den Kursverlierern. „Das operative Geschäft läuft gut, aber das Unternehmen leidet unter den fallenden Rohstoffpreisen“, sagt Ingo Schmidt von der Haspa.

Seitdem DAX und Haspax am 20. Juni 2014 ihren Höchststand erreichten und die Kurse danach auf Talfahrt gingen, konnten sich nur wenige norddeutsche Unternehmen gegen den Trend behaupten. Der Bürovermieter Alstria Office und die Modekette Tom Tailor gewannen in den turbulenten Börsenwochen rund fünf Prozent. Alstria Office konnte im ersten Halbjahr 21.700 Quadratmeter neu vermieten. JP Morgan sieht für die Aktie ein Kursziel von 11,50 Euro, was einem Plus von rund 15 Prozent im Vergleich zum aktuellen Kurs entspricht. Bei Tom Tailor handelt es sich eher um eine Erholung als Reaktion auf Kursrückgänge in der Vergangenheit. „Die Aktie leidet noch immer darunter, dass sie zu hoch bewertet an die Börse gekommen ist“, sagt Hamann.

Ungeachtet der Unsicherheit an der Börse, sind Aktien weiterhin chancenreich, auch weil es für Anleihen nur noch Mini-Zinsen gibt. „Eine Korrektur war nach dem Kursanstieg überfällig“, sagt Bernd Schimmer von der Haspa. Das ändere aber nichts an der Attraktivität der Aktie. Die schwächeren Konjunkturdaten in Europa sieht er nur als eine Delle an. „Eine Rezession erwarten wir nicht, denn in China hat sich die Konjunktur wieder gefangen und auch aus den USA kommen starke Impulse.“ In mehreren Etappen kann der DAX bis zum Jahresende auf 10.500 Punkte steigen, erwartet die Haspa. Nur wenn die Sanktionen gegen Russland noch weiter verschärft würden, sei mit weiteren Kurseinbrüchen zu rechnen. „Unabhängig von den wirtschaftlichen Auswirkungen, kann die Stimmung in der Wirtschaft schnell kippen“, sagt Schimmer. Dann würde die Erholung am Aktienmarkt wohl ausfallen.