Bei Kurt Gaden in Altona gibt es maßgeschneiderte Hosen und Jacken für Handwerker und andere Berufstätige. Geheimtaschen sind besonders gefragt

Hamburg. Etwas verlegen steht Willi Ribel zwischen den Regalen und zupft an der Naht des schweren Stoffs an seinen Beinen. Die Hose sitzt, und das muss sie auch, schließlich wird er sie in den nächsten drei Jahren täglich tragen. „Ein bisschen mulmig ist mir schon“, sagt der 23-Jährige, „aber zugleich habe ich auch eine riesengroße Vorfreude.“ Der junge Mann aus dem Kehdinger Land steht vor seinen Wanderjahren als Geselle. Mindestens drei Jahre und einen Tag wird der Maurer unterwegs sein, quer durch das Land und über die Grenzen hinweg, zu Fuß oder als Anhalter. Die Bahn oder das Flugzeug zu benutzen – das ist verboten. Nur mit einem Bündel, in dem seine Arbeitskleidung steckt, wird er reisen, so will es die Tradition. Und er wird seinem Geburtsort auf der Reise nicht näher als 50 Kilometer kommen dürfen. Er ist seiner Heimat „fremd geschrieben“, wie es im Gesellenjargon heißt.

Seit dem 15. Jahrhundert begeben sich Ausgelernte auf Wanderschaft, um in der Ferne ihr Handwerk zu vervollkommnen, andere Techniken zu erlernen. „Aber auch, um Lebenserfahrung zu sammeln“, sagt Michael Gaden, bei dem Willi Ribel gerade seinen Zunftanzug mit den weiten Schlaghosen hat maßschneidern lassen, ebenfalls eine Tradition. „Wenn sie wiederkommen, sind sie ganz andere Menschen, viel erwachsener geworden“, sagt Gaden, der die jungen Leute schon seit 40 Jahren gehen und wiederkommen sieht. So lange verkauft er im Berufskleidungsgeschäft Kurt Gaden in Altona bereits Zunftkleidung. Auch heute, in Zeiten der Globalisierung, in denen man auch per Internet in fremde Länder reisen könnte, um sich weltweit zu vernetzen, funktioniert das Prinzip. Die jungen Leute gehen gerne auf Wanderschaft. Und die Zunftanzüge mit den Westen, Manchester-Hosen und geknöpften Jacketts werden immer beliebter.

Bei der Firma Kurt Gaden, dem traditionsreichen Anbieter für die Kluft, hängen Fotos der Handwerkervereinigungen an den Wänden, alte Bilder in Schwarz-Weiß, eine Truppe Männer vor einer Schweizer Gipfelkette, ein Treffen mit Zylinder am Strand in den USA. In den Regalen liegen die Hosen, Westen und Hüte, aber auch Kochmützen, Schürzen oder Arbeitsschuhe dicht an dicht, denn bei Kurt Gaden gibt es fast nichts, was es nicht gibt. Sicherheitswesten für den Bau, Helme in allen Farben und Overalls. Selbst Jan Fedder war schon mal hier, den Mantelkragen hochgeschlagen, und habe eine Latzhose verlangt. „Aber wir haben ihn natürlich an der markanten Stimme erkannt“, sagt Gaden.

Der Firmengründer selber, Fritz Ulrich aus Altona, ist zum Symbol geworden für das Fernweh der Handwerker. Er ist Anfang des vergangenen Jahrhunderts durch die Welt gereist, hat seine Erlebnisse aus Istanbul und Jerusalem, aus Rumänien und Syrien in dem Buch „Als deutscher Maurer durch das Morgenland“ zu Papier gebracht. Manches Mal wanderte er dabei ins Gefängnis, weil er die erforderlichen Papiere verloren hatte, oder reiste als blinder Passagier mit dem Schiff. Erst als Fritz Ulrich nach einem Unfall nicht mehr handwerklich arbeiten konnte, verlegte er sich auf den Handel mit Berufskleidung.

Die heutige Seele der Firma, Jutta Gaden, arbeitet auch im fortgeschrittenen Alter noch mit Leidenschaft im Geschäft. Es ist ihr zweites Zuhause. Und viele Handwerker, von denen sie einige das ganze Leben lang kennt, gehören quasi zur Familie. „Ich bin der Kunde aus Florida“, habe sich letztens ein Mann am Telefon gemeldet, „ich war doch mal vor 40 Jahren bei Ihnen“, erinnert sich Jutta Gaden lachend an einen der weitgereisten Gäste. Von mehreren Tausend Männern hat die energiegeladene Dame die Bundweite, die Beinlänge und die Kragenweite in den Karteikarten stehen. Einige melden sich nach 20 Jahren wieder, bestellen eine neue Kluft und sagen nur: „Die Maße haben sich nicht geändert.“ Die Hose mit den größten Ausmaßen habe wohl der Schauspieler Dieter Pfaff bei ihr bestellt, sagt die Geschäftsfrau über einen weiteren ihrer prominenten Kunden.

Auch wenn die Zeiten nicht unbedingt leichter werden, weil große Firmen am Bau oder die Müllabfuhr auf Leasingwäsche setzen, bei Kurt Gaden laufen die Geschäfte gut. „Wir haben noch die alten Kittel, die seit jeher im Hafen getragen werden“, sagt Jutta Gaden und hält ein blau-weiß gestreiftes Hemd in die Höhe. Durch diese Spezialisierungen lebt Kurt Gaden gut in der Nische, auch die nächste Generation der Familie, Matthias Gaden, arbeitet im Betrieb. Besonders die Rückkehr zur Zunftkleidung bei Maurern, Zimmerern oder Gerüstbauern trägt dazu bei, dass die Umsätze Jahr für Jahr leicht steigen. 16 Mitarbeiter beschäftigt das Unternehmen, davon sind etliche Frauen damit beschäftigt, die Hosen in Heimarbeit aus Einzelteilen zu nähen, Reißverschlüsse einzuziehen und Firmenlogos aufzubringen. Sie nähen vorne acht Knöpfe auf die schwarze Weste, sie stehen für acht Stunden Arbeit am Tag. Dazu passend die sogenannte Ehrbarkeit, eine Art Krawatte. Sie muss jederzeit, auch während der Arbeit, getragen werden. An der Farbe der Ehrbarkeit erkennt man die Zugehörigkeit zum jeweiligen Schacht, zur Handwerkervereinigung. Zu der traditionellen Kluft, die sich der Geselle vor der Wanderschaft kaufen muss, gehören zudem der Schlapphut, die Schlaghose, schwarze Schuhe und ein weißes Hemd, das sich Staude nennt.

Es gibt jede Menge Sonderwünsche für die Maßkleidung

Das ist die Pflicht, aber dann kommt noch die Kür: Es gibt jede Menge Sonderwünsche für die Maßkleidung. „Fast jeder verlangt eine Geheimtasche“, verrät Jutta Gaden. Auf Reisen müsse man schließlich irgendwo sein Geld lassen, und das kann eingerollt werden in die offenen Nähte der Weste, oder verschwindet diskret im Innenleben der Hose. Andere Wertgegenstände wie Handys auf der Wanderschaft mitzuführen ist ohnehin verpönt. Einzige Ausnahme: der Ohrring. Früher habe der Schmuck aus echtem Gold für die Handwerker den Notgroschen bedeutet oder sei für die Beerdigung aufgespart worden. Auch Willi Ribel trägt einen Ohrring, sieht die Sache mit dem Geld allerdings eher pragmatisch: Er wolle auf jeden Fall in die Schweiz wandern, da gibt es den höchsten Lohn, sagt der junge Mann. „In der Schweiz sind die deutschen Gesellen so beliebt, die werden schon vor den Dörfern von der Straße weggeholt“, sagt Gaden und zupft Willi Ribel noch kurz liebevoll die Weste zurecht, zückt eine Kamera und macht ein Bild von dem zukünftigen Wandersmann. Schließlich wird es für seine Familie für lange Zeit die letzte Erinnerung an ihren Sohn sein.