Der Kanal zwischen Atlantik und Pazifik – einst ambitioniertestes Bauprojekt der Menschheit – wird erweitert, er macht sich als 100-Jähriger bereit für Superschiffe

Die künftige Herzkammer des Welthandels ist 3000 Tonnen schwer, sieht aus wie eine gigantische Schachtel und schiebt sich auf einem dafür speziell gebauten Kettenfahrzeug wie in Zeitlupe Meter um Meter voran. Jorge Luis Quijano höchstpersönlich verkündete schließlich die erlösende Botschaft: „Das war für uns eine sehr wichtige Operation, weil es die erste Bewegung eines Schleusentores vom Kai bis zum Inneren der neuen Schleusen war.“ Operation geglückt, Schleusentor eingebaut. Endlich.

Im Vergleich zu dem gigantischen Ungetüm wirkt der Verwalter der Kanalbehörde ACP wie eine winzige Ameise. Der Panamakanal macht sich mit dem Ausbau bereit für die Superschiffe. Künftig sollen Ozeankreuzer wie die gut 41 Meter breite „Queen Mary 2“ den Kanal ebenso passieren können wie Frachter mit 12.000 statt bisher 4000 Containern Transportleistung.

Quijanos gute Nachricht lässt die Menschen in Panama aufatmen. Endlich sorgt der umstrittene Erweiterungsbau des Kanals für positive Schlagzeilen. Insgesamt 16 dieser gigantischen Schleusentore werden nun nach und nach an ihre genau berechnete Stelle gebracht. Jedes Mal ist das ein spektakuläres Schauspiel, das den Pulsschlag der beteiligten Ingenieure stark in die Höhe treibt. Denn der Erweiterungsbau des zentralamerikanischen Nadelöhrs der Schifffahrt ist auch für sie technisches Neuland.

In solchen Dimensionen ist bislang noch nicht gebaut worden. Jeder Transport, jeder Einbau einer neuen Schleuse ist ein kleines Wagnis, das für Adrenalinschübe bei den Arbeitern sorgt. Die Schleusen sind wie gewaltige Herzkammern des Welthandels, die unablässig Schiffe, Tanker und Frachter durch die Wasserader pumpen. Gibt es hier Probleme, geraten auch die Märkte in Schwierigkeiten.

Eigentlich sollte die schon vor Jahren gestartete Expansion des Kanals pünktlich zum 100. Jahrestag seiner Erstbefahrung am 15. August 2014 fertig sein. Doch Finanzierungsprobleme und die großen technischen Herausforderungen machen die Bauarbeiten zu einem Vabanquespiel. Umso wichtiger, dass Jorge Luis Quijano seinen Landsleuten Mut macht. Denn nichts ist so wichtig für die Staatskasse – und damit für den Wohlstand und die Wirtschaft des kleinen mittelamerikanischen Landes – wie der Panamakanal. Er bestimmt die Präsidentschaftswahlen, die Haushaltsdebatten und das Wohlbefinden der 3,3 Millionen Panamaer.

Panamas Ex-Präsident Ricardo Martinelli, bis vor wenigen Monaten noch im Amt und eine der treibenden Kräfte des Ausbaus, rechnete dank der Milliardeninvestition in neue Schleusen und Kanaltechnik mit Tausenden neuen Arbeitsplätzen. Die sollen zu den ohnehin schon rund 45.000 Jobs hinzukommen, die bereits unmittelbar vom Kanal abhängen.

Aber auch Martinelli, ein milliardenschwerer Unternehmer, bekam die Tücken des Kanalbaus zu spüren. Seine Beliebtheitswerte stürzten zum Ende seiner Amtszeit geradezu ab, weil seine Versprechungen, was den Zeitplan und den Kostenrahmen von 5,2 Milliarden US-Dollar anging, nicht einzuhalten waren. Auch er wurde am Ende ein Opfer des Kanals: Ausgerechnet sein politischer Intimfeind Juan Carlos Varela, ein ehemaliger Weggefährte Martinellis, gewann die Wahlen in diesem Jahr – mit der Kritik am schlechten Management des Erweiterungsbaus. Martinellis Kandidat scheiterte.

Das mittelamerikanische Land pulsiert, das verrät schon Panama-Stadt, deren Skyline von Wolkenkratzern strotzt und die sich immer weiter ausdehnt. Dazu tragen auch Panamas internationale Banken bei, die sich im Steuerparadies eingenistet haben und Gelder aus jenen Ländern anlocken, die es zuletzt etwas strenger mit den Steuervorschriften nahmen. Der Flughafen ist erweitert, neue Hotels schießen aus dem Boden, jede Menge neuer Apartments warten auf Käufer, eine neue Metro ist der Stolz der Hauptstadt. Und nun auch noch der Ausbau des Panamakanals, der das Rückgrat der Wirtschaft des kleinen Landes bildet.

Die künstliche Wasserstraße, die den Atlantik und den Pazifik miteinander verbindet, ist nicht nur bei Kreuzfahrttouristen ein beliebtes Ziel, weil sie eine spektakuläre Aussicht garantiert. Sie bildet auch eine der wichtigsten Routen des Welthandels. Neben dem Suezkanal in Ägypten gilt der Panamakanal als die bekannteste Verbindung der Weltmeere überhaupt. Treibende Kraft hinter dem Bau waren vor einem guten Jahrhundert die US-Amerikaner, die für die Industrie an ihrer Ostküste einen schnelleren Zugang zu den Märkten in Asien suchte.

Der Aufstieg der USA zur Welthandelsgroßmacht ist auch mit dem Bau des Panamakanals verbunden. Die heutigen Probleme bei der Erweiterung erscheinen im Vergleich zu den ersten Jahren der Planung des Kanals lächerlich. Die Franzosen versuchten sich Ende des 19. Jahrhunderts vergeblich an dem Mammutprojekt, das nach dem Bau des Suezkanals zuvor die Fantasie beflügelte. Malaria-Mücken rafften Hunderte Arbeiter dahin, der Bau verschlang Unsummen und führte die damals Verantwortlichen in den Wahnsinn. Die Franzosen gaben auf und die eigens dafür gegründete Panamakanal-Gesellschaft ging pleite.

Anfang des 20. Jahrhunderts kamen die US-Amerikaner. Zuvor hatten US-Truppen praktischerweise noch den Landabschnitt besetzt, der eigentlich zu Kolumbien gehörte. Sie riefen den vermeintlich unabhängigen Staat Panama aus. Das schwache Kolumbien konnte sich gegen diese Invasion nicht wehren. Als die US-Amerikaner auch noch ein paar widerspenstige Politiker bestochen, war die Landnahme schließlich legalisiert und der US-freundliche Staat gegründet. US-Präsident Theodore Roosevelt war eine treibende Kraft für das Projekt, das die USA wirtschaftspolitisch in eine neue Position bringen sollte. Den Amerikanern gelang es, die Probleme bei der Planung zu beseitigen. Sie entschieden sich auch für eine Schleusenlösung, die vieles beim Bau des zunächst ohne Schleusen vorgesehenen Kanals vereinfachte.

Bis 1977 sollte es dauern, ehe US-Präsident Jimmy Carter mit General Omar Torrijos die nach ihnen benannten Verträge aushandelten. Seit dem 31. Dezember 1999 gehört der Kanal offiziell Panama und wird von der panamaischen Kanalbehörde Autoridad del Canal de Panamá (ACP) gemanagt. Wie wichtig die Behörde für das Land ist, wird an der Tatsache deutlich, dass der Präsident Panamas den Vorstand ernennt.

Panamas Einwohner identifizieren sich mit dem Bauwerk. Diesen Stolz bekam zuletzt US-Milliardär Donald Trump zu spüren, als er ironisch kommentierte, der damalige US-Präsident Jimmy Carter hätte vor gut 30 Jahren den Kanal ja geradezu verschenkt. Seine PR-Leute müssen seitdem Höchstleistungen vollbringen, um das Image des Amerikaners in Panama wieder zurechtzurücken. Trump hat in Panama-Stadt das höchste Hotel Lateinamerikas eröffnet. Trotzdem ist er in dem Land seit seinem verbalen Fauxpas nicht mehr gern gesehen.

Der wirtschaftliche Erfolg des Kanals weckt in der Region viele Neider. Konkurrenzprojekte gab es in der Vergangenheit immer wieder, doch meist scheiterten sie am riesigen Finanzbedarf oder an den schwierigen geografischen Gegebenheiten. Nun will sich Nicaragua mit chinesischer Hilfe daran versuchen, eine Alternativroute zu entwerfen.

Das hat auch politische Gründe. Panama ist eines der wenigen nicht links regierten Länder Lateinamerikas. Die USA wachen bis heute mit Argusaugen darüber, dass nichts den Kanal in Gefahr bringt. Nicaragua will eine zweite Wasserstraße öffnen, die die US-amerikanische Vorherrschaft in der Region brechen soll.

Russland, China und viele lateinamerikanische Linksregierungen würden die Gebühren für eine Durchfahrt viel lieber an eine ihr politisch nahestehende Regierung wie Nicaragua zahlen. Sie wären damit strategisch vom Panamakanal unabhängig. Wie realistisch die nicaraguanischen Pläne sind, wird die Zukunft zeigen. Zunächst einmal wird der Panamakanal nach dem Abschluss der Ausbauarbeiten seine Vormachtstellung ausdehnen – gut 100 Jahre, nachdem er das erste Mal Zeichen setzte.