Arno Peukes sitzt für Ver.di im Aufsichtsrat der Warenhauskette. Der Gewerkschafter fordert mehr Investitionen und ein neues Konzept

Hamburg. Rote Zahlen, Umsatzrückgänge und der plötzliche Abgang von Chefin Eva-Lotta Sjöstedt: Die Warenhauskette Karstadt kommt nicht aus der Krise. Der Hamburger Arno Peukes zählt zu den besten Kennern des Unternehmens. Der Handelsexperte sitzt für die Gewerkschaft Ver.di im Aufsichtsrat der Kette und führt zudem die Tarifverhandlungen. Ein Gespräch über Managementfehler, enttäuschte Erwartungen an Eigentümer Nicolas Berggruen und Strategien für die Zukunft.

Hamburger Abendblatt:

Quasi im Wochentakt stimmen die Verantwortlichen bei Karstadt die Beschäftigten derzeit auf harte Einschnitte ein. Von einer Sparrunde „ohne Tabus“ ist die Rede, und von mehr als 20 unrentablen Häusern, die Sorge bereiten und möglicherweise geschlossen werden sollen. Was kommt auf die Mitarbeiter zu?

Arno Peukes:

Zunächst einmal: Es gibt keine Schließungsliste, von der wir wüssten. Es stellt sich eh die Frage, warum Geld für Schließungen ausgegeben werden soll, wenn doch laut der ehemaligen Karstadt-Chefin Eva-Lotta Sjöstedt kein Geld für die so wichtigen Investitionen da war. Deswegen werden durch Äußerungen wie die des Aufsichtsratsvorsitzenden Stephan Fanderl bei den Beschäftigten natürlich Ängste geschürt. Das ist aus meiner Sicht unverantwortlich.

Wie ist denn die Stimmung unter den Karstadt-Beschäftigten zurzeit?

Peukes:

Die Mitarbeiter sind durch die Insolvenz und die zahlreichen Sparrunden der vergangenen Jahre einiges gewohnt. Doch insbesondere der überraschende Abgang von Chefin Sjöstedt und die klaren Worte in Richtung des Eigentümers Nicolas Berggruen haben sicher niemanden kaltgelassen. Sie haben auch viele der Illusion beraubt, dass sich der Eigentümer doch noch mit Karstadt auf einen vernünftigen Weg machen könnte. Die Stimmung in vielen Häusern ist desolat.

Was erwarten Sie denn jetzt noch von Nicolas Berggruen?

Peukes:

Karstadt braucht dringend Investitionen von Herrn Berggruen. Bisher hat er kaum mehr als den einen Euro in das Unternehmen gesteckt, den er als Kaufpreis gezahlt hat. Aber er hat über 40 Millionen Euro über die Namensrechte aus dem Unternehmen herausgezogen. Zumindest diesen für die Beschäftigten und das Unternehmen dringend erforderlichen Betrag muss er umgehend zurückzahlen. Und er muss endlich sagen, welches Konzept er für die Warenhäuser hat, mit welcher Idee Karstadt wieder nach vorne gebracht werden soll.

Was muss aus Ihrer Sicht passieren?

Peukes:

Aus meiner Sicht war die Idee von Frau Sjöstedt, sich mehr auf die Stammkunden von Karstadt zu besinnen und den Filialen vor Ort mehr Eigenständigkeit zu gewähren, durchaus überzeugend. Die Warenhäuser in den Hamburger Stadtteilen haben beispielsweise gute Chancen, ihren Umsatz zu verbessern, wenn sie mehr auf die regionalen Bedürfnisse eingehen. An der Osterstraße laufen sicher andere Artikel gut als in Wandsbek oder an der Mönckebergstraße.

Welches waren die größten Fehler, die bei Karstadt gemacht wurden?

Peukes:

Die Liste der Fehler ist sehr lang. Das fing schon mit so schillernden Figuren wie Thomas Middelhoff an, der dem Unternehmen mehr geschadet als genutzt hat. Der direkte Vorgänger von Frau Sjöstedt, Andrew Jennings hat aus meiner Sicht zu sehr auf in Deutschland unbekannte Modemarken gesetzt, mit denen es nicht gelungen ist, junge Kundinnen in die Häuser zu locken. Zugleich wurde aber die ältere Stammkundschaft vergrault. Die Schließung der Multimediaabteilungen hat zudem zu weniger Frequenz in vielen Häusern, beispielsweise in Wandsbek oder in Eimsbüttel, geführt. Männer kommen nun kaum noch zu Karstadt. Und dann gab es schlicht auch haarsträubende, handwerkliche Fehler, bei denen man wirklich nur den Kopf schütteln kann.

Was meinen Sie damit?

Peukes:

In einer Filiale wurden teure T-Shirts für 100 Euro pro Stück eingekauft, von denen aber niemand wusste und die auch nie in die passende Abteilung gelangt sind. Am Ende mussten die Stücke für 20 bis 30 Euro verramscht werden.

Deutschlands zweite große Warenhauskette, Galeria Kaufhof, steht besser da als Karstadt. Was läuft bei dem Konkurrenten anders?

Peukes:

Zum einen wurde bei Kaufhof kontinuierlich in die einzelnen Filialen investiert. Und das Unternehmen wird seit vielen Jahren von einem Chef geführt, der sich sehr gut in der deutschen Einzelhandelslandschaft auskennt und nicht ständig die Strategie verändert.

Die ursprünglich für Ende Juli geplante Aufsichtsratssitzung von Karstadt ist kurzfristig auf den 21. August verschoben worden. Was erwarten Sie von diesem Termin?

Peukes:

Ich erwarte, dass uns endlich gesagt wird, wohin der Wagen fährt, und wer ihn künftig lenkt.

Sie sind auch für die Tarifverhandlungen mit Karstadt zuständig, die dazu führen sollen, dass das Unternehmen wieder in den Flächentarif zurückkehrt und die zuletzt vereinbarten Gehaltserhöhungen umsetzt. Ist das in der derzeitigen Situation überhaupt realistisch?

Peukes:

Wenn ich es nicht für möglich hielte, dass Karstadt in die Tarifbindung zurückkehrt, müssten wir gar nicht verhandeln. In der Tat hat aber im Augenblick die Standort- und Beschäftigungssicherung oberste Priorität für uns. Alle Karstadt-Häuser müssen erhalten bleiben.

Nicht nur Karstadt ist aus der Tarifbindung ausgestiegen, auch die Buchhandelskette Thalia oder die Hamburger Schuhhandelskette Görtz. Steuern wir auf einen tariflosen Zustand im Einzelhandel zu?

Peukes:

Es gibt in der Tat immer weniger tarifgebundene Unternehmen im Hamburger Einzelhandel und auch bundesweit. Diese ungünstige Entwicklung hat vor allem der Arbeitgeberverband durch die Möglichkeit befördert, dass auch nicht tarifgebundene Firmen Mitglied in dem Verband sein können.

Der Einzelhandelsverband hat damit wohl nur versucht, den Mitgliederschwund zu stoppen. Tatsächlich halten viele Einzelhandelsketten den bestehenden Tarifvertrag für nicht mehr zeitgemäß und veraltet.

Peukes:

Auch wir sehen großen Modernisierungsbedarf. Im Tarifvertrag sind noch immer Berufsgruppen wie die Kaltmamsell oder der Fahrstuhlführer aufgeführt, die es längst nicht mehr gibt. Aber eine Erneuerung darf nicht auf Kosten der Beschäftigten gehen und zu Einbußen bei der Bezahlung führen. Stattdessen sollte der zunehmenden psychischen und physischen Belastung der Verkäuferinnen und Verkäufer Rechnung getragen werden.

Die Arbeitgeber würden am liebsten die Kassierer als Berufsgruppe abschaffen, weil sie ihnen zu teuer sind. Die Technik mache die Arbeit an der Kasse heute viel einfacher als früher, heißt es.

Peukes:

Nur weil sich die Technik weiterentwickelt hat, heißt das noch nicht, dass die Arbeit an der Kasse auch weniger belastend geworden ist. Gerade hier müssen sich die Mitarbeiter mit den Launen der Kunden auseinandersetzen und auch in stressigen Situationen immer nett und freundlich bleiben.

Wird die Modernisierung des Tarifvertrags das zentrale Thema der kommenden Verhandlungsrunden?

Peukes:

Wir werden dieses Thema im Herbst in Angriff nehmen. Das wird aber ein hartes Stück Arbeit werden.