Immer mehr Kurierdienste befördern größere Gegenstände auf zwei Rädern. Dies hat Vorteile für die Umwelt – und schneller ist es meistens auch noch

Hamburg. Obst- und Gemüsekisten mit dem Fahrrad transportieren? Sogar Betten, Regale und Schränke? Wie soll das denn gehen? Was sich viele noch verwundert fragen, ist für einige Hamburger Kurierdienste bereits geübte Praxis. Ja, noch mehr: „Es ist ein neues Geschäftsfeld mit großen Wachstumschancen“, sagt der Vorstand der Hamburger Kurier AG, Svend Jacobsen. „Immer mehr Verbraucher wollen sich größere Einkäufe wie Elektrogeräte, Möbel oder Lebensmittel noch am selben Tag nach Hause liefern lassen – und dies so umweltbewusst und klimaneutral wie möglich. Dafür sind die neuen Elektrolastfahrräder einfach ideal. In den Innenstädten sind sie das Transportmittel der Zukunft.“

Jacobsen muss es wissen. Der Kurierdienstchef beteiligt sich seit zwei Jahren an dem bundesweiten Projekt „Ich ersetze ein Auto“ im Rahmen der nationalen Klimaschutzinitiative. Bei der Aktion mit Unterstützung des Bundesumweltministeriums wird der Einsatz von Elektrolasträdern im Kurier- und Expressdienst in acht deutschen Städten getestet. Die Kurier AG hat seitdem sechs Elektroräder – sogenannte iBullitt – im Einsatz und zieht eine durchweg positive Bilanz: „Die anfängliche Skepsis hat sich bei den Kunden und Kurierfahrern schnell gelegt. Aufgrund des zunehmenden Umweltbewusstseins bestehen mittlerweile sogar immer mehr Kunden darauf, dass ihre Sendungen nicht per Auto, sondern mit den Cargo-Rädern zugestellt werden“, berichtet der 52-Jährige.

„Drei Viertel aller Aufträge, die heute von Pkw-Kurieren in Innenstädten ausgeliefert werden, könnten auch von Fahrrädern übernommen werden“, sagt Achim Beier, Vizevorsitzender des Bundesverbands der Kurier-, Express und Post-Dienste (BdKEP). Bei vielen Transporten handele es sich um Aktenordner oder Dokumente von Druckereien, Wirtschaftsprüfern oder Rechtsanwälten, Dentalarbeiten von Zahnärzten, um Blumensträuße oder die Auslieferung von Internetbestellungen. Die Zustellung mit Fahrrädern seien in der City wegen der vielen Staus in der Regel deutlich schneller als Lieferungen per Auto. „Zudem entlasten sie nachhaltig die Innenstädte vom Lieferverkehr und Abgasen“, meint Beier. Außerdem sei in Metropolen wie Hamburg das Parken mit dem Auto zum Ausladen in zweiter Reihe kaum mehr möglich, ergänzt Jacobsen und wagt die These: „Langfristig haben Autos als Transportdienstleister in der City nichts mehr zu suchen.“

Die Popularität für die Lasträder dürfte gerade in Hamburg schon kurzfristig deutlich zunehmen. Seit der Eröffnung der ersten innerstädtischen Filiale von Ikea in Altona bietet die Kurier AG nun auch Möbellieferungen an und ist dort direkt mit einem Annahmeschalter vertreten. Das Angebot findet bei den Kunden vom Start weg sehr guten Zulauf. „Bis zu 30 Fuhren verlassen täglich das Möbelhaus. Wir erwarten, dass sich die Nachfrage noch steigern wird“, zieht Jacobsen eine erste Bilanz.

Bislang sind die Ikea-Lieferungen auf einen Entfernungsradius von rund zehn Kilometern begrenzt und kosten je nach Distanz zwischen 9,90 und 19,90 Euro. Doch Ikea ist keineswegs der einzige Geschäftskunde, der auf Lasträder setzt. Für den Lieferservice Biobob fahren die Cargo-Kuriere regelmäßig frisches Obst aus, aber auch Hamburger Zahntechniker oder Indivumed mit Bluttransporten setzte auf die Beinkraft der Kuriere. Auch der Hamburger Kurierdienst inline erledigt bis zu 60 Aufträge am Tag mit Cargo-Fahrradkurieren, sagt der Geschäftsführer Hendrik Schönefeld: „Wir liefern oft Einkäufe oder Onlinebestellungen bei Hamburger Läden noch am gleichen Tag an die Kunden aus. Die Nachfrage dafür wächst stetig. Auf kurzen Strecken sind die Cargo-Räder in der Innenstadt ideal.“

Das Transportvermögen eines Zweirads ist enorm: Die eigens für den Lasttransport entwickelten Räder sind mit einer rund ein Kubikmeter großen wasserdichten Stahlbox als Frontlader ausgestattet. Sie lassen sich mit einem 2,50 Meter langen Anhänger kombinieren, auf dem sich ebenso lange und einen halben Meter breite Gegenstände mit bis zu 100 Kilogramm Gewicht stapeln lassen. Das Gefährt kommt damit auf eine Gesamtlänge von rund 5,50 Metern. Damit die Last auch in hügeligem Gelände leicht über die Straßen rollen, sind die Räder mit einem Elektromotor ausgestattet, der von den Fahrern nach Belieben zugeschaltet werden kann.

„Die Elektrifizierung der Fahrräder ist sehr wichtig, um die Gesundheit und insbesondere die Knie der Fahrer zu schonen. Ohne Elektrounterstützung wäre die Belastung dauerhaft zu groß“, ist Beier überzeugt, der den Kurierdienst Messenger in Berlin leitet. Einziges Problem der neue E-Lastbikes sei der noch vergleichsweise hohe Anschaffungspreis von rund 5000 Euro. „Jeder vierte Fahrradkurier würde schon jetzt auf ein Lastrad umsteigen, wenn diese nicht so teuer wären“, sagt Beier.

Der Hamburger Kurierfahrer Christoph Schweitzer, der seit zwei Jahren die Cargo-Räder fährt, ist von den Lasträdern rundum begeistert: „Mein Rad fährt sich so gut, wendig und schnell wie ein Rennrad, obwohl es rund 35 Kilogramm wiegt. Nur der Wendekreis ist mit Anhänger natürlich etwas größer.“ Der 47-Jährige hat sich vor wenigen Tagen sogar ein eigenes Rad geleast. Das Modell wurde von dem Berliner Hersteller urban-e mithilfe der Erfahrungen der Kuriere technisch weiterentwickelt. Der Elektromotor „bringt mich schnell auf eine Geschwindigkeit von 25 Stundenkilometern“, erzählt Schweitzer. Nicht nur die Kunden, sogar die Autofahrer auf der Straße reagierten freundlich. „Viele kurbeln die Scheiben runter und klopfen uns symbolisch auf die Schulter, weil sie die Räder cool finden.“

Schweitzer ist täglich 80 bis 100 Kilometer mit dem Cargo-Rad unterwegs. In der Mittagspause hängt der alleinerziehende Vater seine Batterie, die für rund 150 Kilometer reicht, an eine der Elektrotankstellen am Straßenrand. „Ein voller Tank – also einmal Akku laden – kostet ihn rund 25 Cent, die über Vattenfall eingezogen werden.“ Grundsätzlich könnte Schweitzer die Radwege nutzen. „Wegen des schlechten Zustands vieler Fahrradwege fahre ich aber meistens auf der Straße oder der Busspur. Mit Hänger am Rad kann man sowieso nur die Straße nutzen.“ Dies sei ein großes Problem der Branche, aber auch aller Radfahrer in Hamburg, meint Schweitzer: „Fahrräder gehören auf die Straße. Wir bräuchten endlich überall eigene Fahrradstreifen.“

Für die Fahrradkuriere der Stadt bieten die neuen Lasträder zugleich eine neue Zukunftsperspektive. Zwar legt der Kurier-Express-Paket-Gesamtmarkt (KEP) seit mehreren Jahren durch die Paketsendungen von Internetbestellungen zu und ist 2012 um 2,4 Prozent auf 18,2 Milliarden Euro geklettert. Doch das Kuriersegment schrumpft, zuletzt um ein Prozent auf 3,83 Milliarden Euro. Durch das Internet und die Digitalisierung geht die Zahl der Schriftstücke, die in den 1990er-Jahren noch ständig zwischen Geschäftsleuten transportiert wurden, stetig zurück. Die Mail hat viele Briefe ersetzt, Flugtickets kommen nicht mehr aufs Papier, sondern als E-Ticket direkt aufs Mobiltelefon, Modells und Fotografen schicken ihre Bilder per PDF statt als Printausdruck.

„Mit dem klassischen Kuriergeschäft ist heute nur noch schwer Geld zu verdienen“, sagt Svend Jacobsen. „Das Internet hat unsere Branche nachhaltig verändert. Im Vergleich zum Jahr 2000 werden etwa 40 Prozent weniger Dokumente innerhalb der Stadt transportiert. Der Trend verlagert sich hin zu größeren Sendungen und ins Privatgeschäft.“ Bundesweit haben rund 100 Firmen Fahrradkuriere im Einsatz. Waren Fahrradkuriere früher vor allem zwischen Geschäftsleuten (B2B) unterwegs, sind es heute zunehmend mehr Sendungen von Lieferanten zu Privatkunden (B2C).

Unterm Strich zahlt sich der Umstieg auf Lasträder auch für die Kurierfahrer aus. „Im Schnitt verdienen Lastfahrradkuriere etwa 20 Euro mehr am Tag – und damit etwa 400 Euro mehr im Monat“, schätzt der KEP-Vizechef Beier. Auch Schweitzer profitiert: „In meine Box passt natürlich sehr viel mehr als in eine Kuriertasche. So kann ich manchmal mehrere Aufträge kombinieren und verdiene entsprechend mehr.“ Bundesweit liege der durchschnittliche Umsatz eines Fahrradkuriers in der Stunde bei 18 bis 25 Euro. Pro Tag kämen so rund 150 Euro zusammen, wobei – wie bei der Kurier AG – etwa ein Viertel an die Kurierzentrale abgetreten werde, die den durchweg selbstständigen Fahrern die Aufträge vermittelt.

Täglich vermittelt die Hamburger Kurier AG, die ihren Fahrern gehört, im Schnitt rund 900 Aufträge. Pro Kilometer gibt es 1,20 Euro – egal ob fürs Auto oder Fahrrad. Derzeit beschäftigt die Kurier AG 25 Mitarbeiter in der Zentrale, rund 120 Kurieren vermitteln sie Aufträge, darunter an 35 Fahrradkurieren. Aktuell sind bundesweit rund 100 Elektrolasträder im Einsatz. „Doch die Zahl dürfte in den nächsten Jahren weiter steigen“, ist Beier vom Branchenverband überzeugt. „Die Lastfahrräder sind eine tolle Erfindung ganz im Zeichen der Zeit.“ Und auch Schweitzer ist sicher: „Das ist die Zukunft.“