Bis 2024 muss Hamburger Betreiber zwei Milliarden Euro aufbringen. Fernbahnhof Diebsteich als Herausforderung

Hamburg. Keiner kennt das Hamburger Stromnetz so gut wie Dietrich Graf. Zwar ist die Übergabe des Netzes von Vattenfall an die Stadt Hamburg vollzogen, aber noch längst nicht abgeschlossen. „Es wird wohl zwei Jahre dauern, um die Bereiche von Vattenfall, die zur Stadt wechseln, zu entflechten,“ sagt Graf, Chef der im Februar von Vattenfall an die Stadt verkaufte Gesellschaft Stromnetz Hamburg. Er hat derzeit alle Hände voll zu tun.

Verschiedene Unternehmensteile müssen noch aus Vattenfall herausgenommen, Verflechtungen müssen aufgelöst werden. Zum Beispiel der Netzservice von Vattenfall: In dieser Gesellschaft arbeiten 1350 Mitarbeiter bislang für Hamburg und Berlin. Rund 600 davon sind bei Stromausfällen in Hamburg im Einsatz. Auch beim Metering, also den Stromzählern, muss der Wechsel der Mitarbeiter zur Stadt erst noch erfolgen.

„Normalerweise wird ein Unternehmen zum Verkauf ausgeschrieben und geht an einen neuen Investor. Bei uns jedoch war es anders. Nicht der Verkäufer, sondern der Käufer, also die Stadt, war da, um Teile von Vattenfall zu übernehmen. Für die betroffenen Mitarbeiter ist dieser Prozess nervenaufreibend“, sagt Graf. Es gebe zwar schon den Neuanfang mit der Stadt, doch die meisten Beschäftigten arbeiten immer noch bei ihrem bisherigen Arbeitgeber Vattenfall. Hinzu kommt, dass die Stadt den Kaufpreis für das Netz finanzieren muss. „Wir müssen die nächsten 15 bis 20 Jahre den Kredit plus Zins und Zinseszins abzahlen“, sagt Graf.

Dass eine verkaufte Firma ihrem neuen Eigentümer den Kaufpreis selbst vergüten muss, ist in der Wirtschaft inzwischen nichts Ungewöhnliches. So musste auch der Hamburger Fischstäbchenhersteller Iglo seine Übernahme durch den Investor Permira selbst über Ausschüttungen finanzieren. Bei dem Armaturenhersteller Grohe verlief die Übernahme genauso. Auch der Vattenfall-Vorgänger HEW musste seinen eigenen Kaufpreis den neuen schwedischen Eigentümern auf Heller und Pfennig überweisen.

Bei Vattenfall, wo Graf jahrelang auch Vorstand war und das Netz verantwortete, kennt er sich gut aus. Seit 1981 war er bei der ehemaligen Hamburger HEW und hat auch die Übernahme durch den schwedischen Konzern Vattenfall mitgetragen. Graf gibt sich diplomatisch. „Ich konnte mit dieser Situation gut umgehen“, sagt er. „Aber es gibt eben kulturelle Unterschiede zwischen Schweden und Deutschland.“

Vattenfall hat das Hamburger Traditionsunternehmen umgeflaggt. „Möglicherweise wäre das Image von Vattenfall in Hamburg viel besser angesehen, wenn noch der alte Name HEW auf dem Klingelschild stehen würde“, sagt der Netz-Chef.

Es sind bereits eine Reihe von HEW-Vorständen ausgeschieden. Nur Graf ist geblieben. Aber die Verbraucher mussten sich in Hamburg erst an den neuen Namen des Energieunternehmens gewöhnen. In solchen Situationen wechseln knapp 30 Prozent der Kunden erfahrungsgemäß den Anbieter. Um langwierigen Streit zu vermeiden, hat Vattenfall nach dem Volksentscheid im vergangenen Jahr sein Stromnetz an die Stadt verkauft. „Der Gegenwind war mehr und mehr in der Stadt zu spüren“, so der ehemalige Vattenfall-Vorstand Graf.

Mit der Stadt im Boot will Stromnetz Hamburg nun kräftig investieren. „Allein in den nächsten zehn Jahren werden wir rund zwei Milliarden Euro für Betrieb, Erneuerung und Neubau unserer Anlagen ausgeben“, so Graf. „Das ist zwar viel, wäre aber so oder so nötig gewesen. Denn anders als bei anderen Leitungen liegen die Stromkabel in Hamburg unter dem Bürgersteig und nicht unter den Straßen. Wenn wir, um um alte Kabel zu ersetzen, den Bürgersteig aufreißen müssen, bedeutet dies 200 Euro Kosten pro Meter.“ Mittelfristig sollen von dem 27.300 Kilometer langen Netz 1000 Kilometer erneuert werden. Das allein wird rund 200 Millionen Euro kosten.

Nach dem Volksentscheid zum Verkauf des Vattenfall-Netzes wird sich laut Graf wenig ändern. „Viele glauben, dass in das Hamburger Netz nun Windstrom aus Schleswig-Holstein fließt. Doch physikalisch passiert das nicht. Elektrischer Strom sucht sich immer den kürzesten Weg im Netz. Hamburg verbraucht derzeit Strom vom Kernkraftwerk Brokdorf, den Anlagen in Wedel und Tiefstack sowie künftig vom Kohlekraftwerk Moorburg“, so Graf. Die Hoffnung vieler Verbraucher vor dem Volksentscheid, die Strompreise würden unter der Ägide der Stadt sinken, teilt Graf nicht. „Wir legen die Preiskalkulation der Regulierungsbehörde vor und diese prüft, ob der angesetzte Preis gerechtfertigt ist. Stromnetz Hamburg hat keinen Einfluss auf die Preise. Nur die darin enthaltenen Netzentgelte gehen an das städtische Unternehmen.“

Das nächste große Bauvorhaben, das auf Stromnetz Hamburg zukommt, ist die Nachrüstung der Fläche am Diebsteich. Das Gelände für den neuen Fernbahnhof muss mehr Stromanschlüsse bekommen, damit er auch tatsächlich perfekt funktionieren kann. Doch das ist nicht einfach.

„Wir investieren bei neuen Vorhaben nach dem Zeitplan der Stadt. Doch oft verzögert sich dieser, wie etwa in der östlichen HafenCity“, sagt Graf. Stromnetz Hamburg hat dort ein neues Umspannwerk gebaut, aber die Nachfrage nach Strom ist bisher nicht wie geplant vorhanden. „Es wurde zu früh investiert.“ Beim Bahnhof Diebsteich hofft Graf, dass Stromnetz Hamburg nicht in die gleiche Falle läuft und zu früh investiert, weil der Zeitplan nicht eingehalten wurde. Die Stadt Hamburg würde dies begrüßen.