Gratis-Smartphones, Chefkoch, eigene WG und sogar Gehalt nach Wunsch. Wie Hamburger Unternehmen um die viel umworbene Generation Y buhlen

Sam hat mal wieder gezaubert. In der offenen Küche des 46-Jährigen duftet es nach frischen Merguez-Würstchen an Rotwein-Balsamico-Sauce. Alternativ dazu wären auch Spaghetti mit rotem Pesto und Bergschafskäse oder ein sommerlicher Salat mit Ziegenkäse zu haben. Und zum Nachtisch hat sich der Koch, der eigentlich Samake Amaradjan heißt, eine echte Crème brûlée ausgedacht, natürlich stilecht flambiert.

Als schnöde Kantine lässt sich daher das, was sich der ehemalige Londoner Chefkoch bei der Hamburger Internetfirma Jimdo eingerichtet hat, wirklich nicht bezeichnen. Eher schon als gehobenes Restaurant mit täglich wechselnden Gerichten. Exklusiv zubereitet für die rund 180 Mitarbeiter, die Werkzeuge für den möglichst einfachen Bau von Webseiten entwickeln.

„Wir lieben Sams Essen und haben ihn daher für uns abgeworben“, erzählt Fridtjof Detzner, einer der Gründer und Geschäftsführer von Jimdo. Auch sonst ist die Arbeitsatmosphäre bei der Internetfirma mehr als ungewöhnlich. Der Chef führt auf Strümpfen durch die Großraumbüros in der ehemaligen Margarinefabrik in Bahrenfeld – vorbei an Plüschsofas, selbst gezimmerten Sitzecken und einem meterlangen Aquarium.

Bundesweite Berühmtheit erlangte die Firma, weil sie als eine der Ersten eine sogenannte Feelgood-Managerin engagierte, die sich nur um das Wohlbefinden der Belegschaft kümmern sollte. Die ist zwar gerade im Mutterschaftsurlaub, ihre Spuren sind aber überall sichtbar. Es gibt einen Raum mit Schlafkojen, in denen die Beschäftigten nach der anstrengenden Programmierarbeit entspannen können und Duschen, in denen sich die Laufgruppe frisch macht, die sich regelmäßig zum gemeinsamen Joggen trifft. Eine firmeneigene Kita befindet sich gerade im Bau. „Allein mit einem guten Gehalt kann man Mitarbeiter kaum noch für sich gewinnen“, sagt Detzner. „Wir brauchen Leute, die weiterdenken können als andere. Und die wollen in einem Unternehmen arbeiten, das sich von anderen unterscheidet und in dem sie wirklich etwas verändern können.“ Einen guten Koch zu haben, sei da hilfreich, entscheidend sei aber die gesamte Kultur in der Firma.

Webdesignerin Jill Heyer, 28, etwa schwärmt von Sams Kochkünsten und möchte auf seine ungewöhnlichen Kreationen auf keinen Fall verzichten. Bei Jimdo angefangen hat sie aber vor allem, weil „hier nicht so eine Ellenbogenmentalität herrscht und wir eine große Eigenverantwortung haben“. Vorher habe sie in einer Werbeagentur gearbeitet, in der das Konkurrenzdenken sehr stark ausgeprägt gewesen sei.

Die Fachkräfte, um die Firmen wie Jimdo buhlen, zählen zu der viel beschworenen Generation Y (ausgesprochen „why“ – also „warum“ im Englischen). Die nach 1980 Geborenen setzen Fragezeichen hinter fast alle Ziele, die frühere Generationen in ihrer beruflichen Laufbahn verfolgten. Warum Karriere? Warum Überstunden? Warum ein hohes Gehalt nur im Austausch gegen geringe Freizeit?

Eine repräsentative Umfrage der Unternehmensberatung Ernst & Young kam jüngst zu dem Ergebnis, dass Studenten von ihrem künftigen Arbeitgeber neben Jobsicherheit und einem guten Gehalt vor allem die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, flexible Arbeitszeiten, eine gute Arbeitsumgebung und flache Hierarchien erwarten. Zusätzliche materielle Anreize wie ein Dienstwagen interessieren hingegen so gut wie niemanden mehr.

Mit solch anspruchsvollen Arbeitnehmern hat es auch das Unternehmen Goodgame Studios zu tun, das sich unweit von Jimdo ebenfalls in einer ehemaligen Fabrik eingerichtet hat. Die Onlinespielefirma hat einen enormen Bedarf an neuen Fachkräften, derzeit werden monatlich im Schnitt 50 neue Beschäftigte angeheuert. Aus derzeit 900 Mitarbeitern sollen bis Jahresende 1200 werden. Um diese Kräfte zu gewinnen, sucht das Unternehmen in ganz Europa. Die Chefs laden potenzielle Kandidaten fürs Marketing auch schon mal zu Pokerpartien ins Kasino ein – und engagieren dafür eine ehemalige Pokerweltmeisterin. Klassische Bewerbungsgespräche waren gestern.

Auf dem Firmengelände locken ebenfalls diverse Besonderheiten wie ein Freiluftpool, der auch schon mal für Konferenzen genutzt wird. Tomasz Iwaniak, 25, findet es angenehm, sich dort im Sommer abzukühlen. „Vor oder nach der Arbeit schwimme ich gern mal ein paar Bahnen“, sagt der gebürtige Pole, der seinen Job bei einer Versicherung in Danzig sausen ließ, um nach Hamburg zu kommen. „Hier kann ich meine Leidenschaft für Computerspiele mit der Arbeit verbinden“, sagt der junge Mann, der Spielern bei technischen Problemen mit den Programmen des Unternehmens hilft.

Wie andere IT-Firmen unterhält Goodgame ein eigenes Fitnessstudio, es gibt Yoga-, Lauf- und Kletterkurse. Vor wenigen Tagen hat das Unternehmen für die Mitarbeiter ein Café eingeweiht, in dem es nicht nur Kaffeespezialitäten, sondern auch eine Daddelecke und einen Kicker gibt. Während der Fußball-WM werden hier auch die Spiele auf Großbildleinwand geschaut, Gratisbier und Hotdogs inklusive.

Community-Managerin Ruzena Wegener, 29, schätzt bei Goodgame vor allem die Ausflüge, die die einzelnen Teams unternehmen und die dazu beitragen sollen, dass sich die zahlreichen neuen Mitarbeiter untereinander besser kennenlernen. Da geht es dann schon mal gemeinsam in den Heidepark, an den Strand oder zum Minigolf.

Dass es besonders viele Sonderleistungen in der IT-Branche gibt, kommt nicht von ungefähr. Hier ist der Fachkräftemangel besonders hoch, die Unternehmen überbieten sich oft gegenseitig, um an neue Mitarbeiter zu kommen. So hat Goodgame-Konkurrent Innogames Firmenwohnungen angemietet, wo Fachkräfte aus dem Ausland zunächst einmal kostengünstig und in WG-Atmosphäre leben können. Dazu gibt es für jeden Beschäftigten ein Gratis-Smartphone oder einen Tablet-PC. Freie Getränke, Obst und Grillabende sind ohnehin branchenüblich.

Die Standards haben schon vor Jahren Konzerne wie Google gesetzt, die ihre Büros in kreative Spielwiesen verwandelten. So gibt es in Hamburg Konferenzräume, die wie U-Bahn-Abteile eingerichtet sind, Schwimmbecken mit Schaumstoffbällen laden zum Ausruhen ein. Konventionelle Unternehmen wie die Reisebürokette Reiseland haben solche Konzepte mittlerweile kopiert. In der Zentrale der Firma in Barmbek tagen die Mitarbeiter in Räumen, die wie eine Seilbahn, das Deck eines Kreuzfahrtschiffes oder eine Unterwasserwelt gestaltet sind. Der Empfang gleicht dem Check-in am Flughafen. Alles das soll zu einer größeren Motivation der Beschäftigten beitragen und sie schon bei der Arbeit in Urlaubsstimmung versetzen. Allerdings wirkt manch eines dieser Konzepte der großen Konzerne eher aufgesetzt und wenig authentisch. Vielen Vertreter der umworbenen Generation Y dürfte es angesichts solcher Zwangsbespaßungsmaßnahmen eher grausen.

Beim Handelskonzern Otto haben zwar mittlerweile auch einige Elemente der Start-up-Kultur Einzug gehalten. So wuseln etwa bei der Modetochter Collins mehrere Hunde durch die Gänge, es gibt auch hier Gratisgetränke, Yogakurse und gemeinsame Grillpartys. „Wichtiger als solche Extras ist aus unserer Sicht aber, dass die Chefs für die Mitarbeiter immer ansprechbar sind und sich alle mit ihren Ideen einbringen können“, sagt Collins-Sprecherin Melanie Schehl. „Der besondere Reiz besteht bei uns sicherlich darin, dass Beschäftigte aus unterschiedlichen Bereichen sehr eng zusammenarbeiten und von einander lernen können.“ So sitzen etwa Modestylisten und Mathematiker an einem Tisch und tüfteln Algorithmen aus, um das Shoppingerlebnis bei der Modeplattform zu verbessern.

Einen ganz anderen Weg hin zu einer neuen Unternehmenskultur beschreitet die Agentur Elbdudler, die die Auftritte von großen Firmen in sozialen Netzwerken betreut. Zwar sitzt auch Elbdudler in ungewöhnlichen Räumen, nämlich in einer entwidmeten Kirche in Eimsbüttel. Das Besondere an der Firma ist aber das Maximum an Transparenz und Mitbestimmungsrecht, das der Chef Julian Vester den knapp 40 Angestellten anbietet.

Dies erstreckt sich sogar auf das Gehalt. Im Herbst vergangenen Jahres legte Vester die Löhne aller Angestellten offen und forderte sie zugleich auf, ihm mitzuteilen, wie viel sie gern verdienen würden. „Etwa ein Drittel hat sich eine Gehaltserhöhung verordnet, die Übrigen waren mit ihrem bisherigen Verdienst zufrieden“, sagt Vester. Nach dem Erreichen bestimmter Umsatzziele sei er von Juli an nun auch in der Lage, die höheren Löhne zu zahlen. Ein Artdirector, der sich mit 1000 Euro den höchsten Gehaltssprung genehmigte, wird diesen nun wohl auch erhalten. „Die Aktion hat dazu geführt, dass sich die Mitarbeiter viel stärker als bisher mit der wirtschaftlichen Lage der Firma beschäftigt haben“, sagt Vester. Allerdings habe er auch einige Widerstände überwinden müssen, da das Gehalt noch immer ein heikles Thema sei.

Jimdo-Gründer Detzner ist der Meinung, dass sich Mitarbeiter vor allem dann für eine Firma entscheiden, wenn sie spüren, dass die Chefs selbst voll und ganz hinter dem Unternehmen stehen. „Wir haben einfach eine Firma gebaut, die wir selbst cool finden und versuchen, uns den lockeren Geist aus der Gründerzeit zu bewahren“, sagt er.