Schulbauprogramm und neue Wohnungen bescheren der Branche in Hamburg eine Sonderkonjunktur. Freude über Auftragsplus und höhere Honorare

Hamburg. Es läuft gut für das Hamburger Architektenbüro WWA. Seit der Senat den Wohnungsbau vorantreibt, profitieren auch Hamburgs Architekten. „Die Aufträge haben deutlich zugenommen“, sagt Lars Walkenhorst, Partner im Büro WWA. Überall in den Bezirken wurden Flächen für den Neubau ausgewiesen. Allein im vergangenen Jahr genehmigten die Bezirke 10.328 Wohneinheiten, ein Plus von knapp 20 Prozent gegenüber dem Vorjahr. „Wir haben pro Jahr 500 Wohnungen in Planung“, sagt Walkenhorst. Gerade plant sein Büro zusammen mit zwei Genossenschaften die Errichtung von 150 Wohnungen in Tonndorf. 50 Eigentumswohnungen an der Holsteiner Chaussee in Eidelstedt befinden sich gegenwärtig im Endausbau.

Die anziehende Konjunktur, niedrige Zinsen für Baukredite und das wachsende Interesse an den eigenen vier Wänden beflügeln die Geschäfte der Architekten. „Das Geschäftsklima ist so gut wie seit über 20 Jahren nicht mehr“, sagt Erich Gluch vom Ifo-Institut. 57 Prozent der freischaffenden Architekten konnten im ersten Quartal neue Verträge abschließen. „Bereits Werte über 50 Prozent deuten auf eine recht gute Auftragsvergabesituation hin“, sagt Gluch.

In Hamburg wird die wirtschaftliche Lage der Architekten noch von einigen Sondereffekten beeinflusst. „Neben dem Wohnungsbauprogramm des Senats zählt dazu ein umfangreiches Schulbauprogramm, mit dem Schulen saniert und modernisiert und durch Neubauten erweitert werden“, sagt Claas Gefroi, Sprecher der Hamburgischen Architektenkammer. Bis zum Jahr 2019 sind dafür zwei Milliarden Euro eingeplant. Damit soll nicht nur der jahrzehntelangen Vernachlässigung der Bauten begegnet werden. Auch die flächendeckende Einführung von Ganztagsschulen bringt den Architekten neue Aufträge. „Das erfordert Umbauten und Ergänzungen, weil zum Beispiel Gruppenräume, Kantinen und Essbereiche erforderlich sind“ sagt Gefroi. „Das sind wichtige wirtschaftliche Impulse für die Hamburger Architekten – gerade auch für Büros kleiner oder mittlerer Größe, deren Arbeitsschwerpunkt überwiegend im Lokalen liegt.“

Doch die haben es eher schwer, an Schulbauaufträge zu kommen. Tim Lüdtke vom Büro STLH wünscht sich deshalb auch mehr Unterstützung von der Kammer für junge Architekten. „Wer noch keine Schule gebaut hat, für den ist es kompliziert, an solche Aufträge zu kommen“, sagt Lüdtke. Dem widerspricht der Landesbetrieb Schulbau Hamburg (SBH). „In den meisten Fällen ist lediglich die Erfahrung mit einem öffentlichen Auftraggeber nachzuweisen“, sagt ein Sprecher der SBH. An Wettbewerben könnten sich auch junge und kleine Büros beteiligen. Doch im Schnitt muss ein Architektenbüro an acht Wettbewerben teilnehmen, um einen Auftrag zu gewinnen. „Kleine Büros können sich das aus wirtschaftlicher Sicht nicht leisten“, sagt Lüdtke.

Keine Probleme an Schulbauprojekte zu kommen, hat dagegen Dirk Landwehr von Trapez Architektur. Innerhalb von drei Jahren hat er die Zahl seiner Mitarbeiter um ein Drittel auf jetzt 30 aufgestockt. „Manche Anfragen müssen wir schon ablehnen, weil wir nicht so schnell wachsen wollen“, sagt Landwehr. „Jede zweite Bewerbung um ein Projekt geht für uns erfolgreich aus.“ Das liegt an der Spezialisierung und langen Erfahrung des Büros im Schulbau. „Bereits in den 90er-Jahren haben wir Schulen in Schleswig-Holstein geplant“, sagt Landwehr. Sechs Schulprojekte hat sein Büro gegenwärtig in den Büchern, unter anderem ein zweiter Standort für die Ziegenschule in Eimsbüttel an der Bundesstraße oder die Erweiterung der Grundschule Humboldtstraße in Barmbek-Süd. Hier entstehen mit Caféteria, Lehrküche, Theaterraum, Einfeldsporthalle und mehreren Gemeinschaftsflächen Räumlichkeiten, die für einen Ganztagsbetrieb benötigt werden.

Für viele Aufträge benötigen Hamburgs Architekten auch einen langem Atem. Vor sieben Jahren gewann das Büro MRLV den Wettbewerb um das Luxusquartier Sophienterrassen, die jetzt erst bezogen werden. „Wir haben uns auf den Luxusbau und denkmalgeschützte Objekte konzentriert“, sagt Mirjana Markovic von MRLV Architekten. „Damit sind wir weniger konjunkturabhängig.“ Gegenwärtig betreut das Büro die Sanierung der kleinen Halle des Kaifu-Bades und die Errichtung von Wohnlofts am Großen Burstah.

Der Hamburger Architekt Bernd Lietzke, der zusammen mit seiner Frau ein Büro betreibt, hat sich eine andere Nische gesucht. Da er auch als Innenarchitekt arbeitet, hat er sich neben der Altbausanierung auf die Planung und Einrichtung von Zahnarztpraxen spezialisiert. „Im wachsenden Wettbewerb müssen sich die Praxen voneinander absetzen, und auch viele Ärzte haben ganz individuelle Vorstellungen“, sagt Lietzke. Man müsse sich im Funktionsablauf gut auskennen, um vernünftig planen zu können. Lietzke hat sich bewusst für ein Familienunternehmen entschieden. Für größere Aufträge holt er Kollegen mit ins Boot. „Es ist typisch für unseren Beruf, dass wir sehr netzwerkorientiert arbeiten“, sagt Lietzke.

Das Angebot an Architekten in Hamburg wird immer größer. Innerhalb von zehn Jahren ist die Zahl der Architekten insgesamt um 40 Prozent auf 4600 gestiegen. Davon arbeiten 2100 freischaffend. Am stärksten nahm die Zahl der in der Kammer organisierten angestellten Architekten zu: um 67 Prozent auf 2500. Denn nur wer Mitglied der Kammer ist, kann sich später auch selbstständig machen.

Nach Jahren des Angestelltendaseins war für Tim Lüdtke klar, den Weg in die Selbstständigkeit zu wagen. „In einem großen Architektenbüro hatte ich nur eine ganz bestimmte Aufgabe, die wenig mit Kreativität zu tun hatte. Das war auf Dauer nichts für mich.“ Er wollte mehr Anteil an der städtebaulichen Entwicklung in Hamburg nehmen. Zusammen mit seinen Partnern Steffen Thauer und Lars Höffgen gründete er 2011 das Büro STLH. Während sich seine Kollegen auf Laden- und Dachausbau spezialisiert haben, setzt Lüdtke auf den wachsenden Wohnungsbau, der nach vielen Jahren der Stagnation wieder in Schwung kommt.

Nach der Ifo-Erhebung profitieren die Architekten neben dem Zuwachs beim Geschosswohnungsbau auch von neu akquirierten Planungsaufträgen für Einfamilienhäuser, die um rund 20 Prozent zugenommen haben. „Die Bauherren setzen verstärkt auf maßgeschneiderte Lösungen“, sagt Lüdtke. „Wir hatten allein im letzten Quartal drei Anfragen zu einem Einfamilienhaus.“ Gerade wurde ein von ihm entworfenes Mehrfamilienhaus in Volksdorf fertiggestellt. Nicht immer hat ein Architekt die Möglichkeit, ein Objekt vom Entwurf bis zur Fertigstellung zu betreuen. „Manchmal bleibt es auch bei einer Machbarkeitsstudie“, sagt Lüdkte. Dann wird der Plan vom Bauherren nicht umgesetzt – oder von einem anderen Architekten.

Zu den gestiegenen Auftragszahlen kommen auch höhere Honorare, die im vergangenen Jahr durch eine Gesetzesnovellierung um durchschnittlich 17 Prozent erhöht wurden. „Doch dafür müssen die Architekten auch mehr leisten und sind größeren Haftungsrisiken ausgesetzt“, sagt Markovic.

Mit den vielen Aufträgen steigen nicht in gleichem Umfang die Einkommen. Denn die Schulbauaufträge kommen von der öffentlichen Hand. Beim Wohnungsbauprogramm der Stadt entfallen ein Drittel der jährlich mindestens 6000 zu errichtenden Wohneinheiten auf geförderten Wohnraum. „Die öffentlichen Auftraggeber reizen die unteren Grenzen der Honorarordnung gern aus“, sagt ein Architekt.

Auch profitieren nicht alle Architekten im gleichen Maße vom hohen Auftragsvolumen. Manche müssen sich auch mit Subaufträgen abfinden oder wissen noch nicht, was sie im nächsten Jahr machen. Nur jeder dritte der freischaffenden Architekten in der Hansestadt erwirtschaftet einen jährlichen Umsatz von mehr als 100.000 Euro, wobei davon noch die Kosten abgezogen werden müssen. Zwei Drittel müssen also mit geringeren Einnahmen auskommen, und auch die Gehälter der angestellten Architekten sind nicht üppig. Ein Absolvent verdient rund 2200 Euro brutto im Monat und mit 3000 Euro im Monat sind Architekten in den Büros vergleichsweise gut bezahlt.