Hamburger Amedes übernimmt den Konkurrenten MediVision. Verbund mit 3600 Mitarbeitern entsteht. Jörg Debatin kündigt weiteres Wachstum an

Hamburg. Beinahe hätte Jörg Debatin sein bisher wichtigstes Geschäft als Chef des Hamburger Medizindienstleisters Amedes um wenige Minuten verpasst: An einem Sonnabend im Dezember 2013 wollte Debatin möglichst kurz vor Ablauf der Frist um 23:59 Uhr sein Gebot für den Kauf des insolventen Konkurrenten MediVision abgeben. Doch während Debatin am späten Abend mit Geschäftspartnern im Hotel Vier Jahreszeiten beim Essen saß, wurde draußen sein Auto abgeschleppt. Nur gerade noch rechtzeitig schaffte er es bis ins Büro und konnte fast buchstäblich in letzter Minute an seinem Computer auf „Senden“ klicken.

Seit wenigen Tagen jedoch ist der Kauf perfekt: Die MediVision mit rund 1000 Beschäftigten und einem Umsatz von 95 Millionen Euro gehört jetzt zur Amedes, die mit 2600 Mitarbeitern einen Umsatz von 270 Millionen Euro erwirtschaftet. Zu der neuen, deutschlandweit tätigen Gruppe gehören 320 Ärzte in Laboren und Facharztzentren. In Hamburg arbeiten 650 Menschen für das Unternehmen.

Dass die Übernahme zustande kommen konnte, hat mit dem Skandal um das Fondshaus Wölbern Invest zu tun: Im September 2013 war der damalige Wölbern-Chef Heinrich Maria Schulte wegen des Verdachts der Veruntreuung von Anlegergeld verhaftet worden. Der Mediziner und Investor war Mehrheitsgesellschafter von MediVision und bürgte mit seinem Privatvermögen für Kredite der Firma. Als die Staatsanwaltschaft Schultes Vermögen beschlagnahmte, fiel diese Sicherheit weg, mehrere Gesellschaften der MediVision-Gruppe mussten Insolvenz anmelden.

„MediVision war ein im Kern gesundes Unternehmen, das nur zurück in die richtige Spur gebracht werden musste“, sagt der Insolvenzverwalter Gideon Böhm. Ungeachtet der Vorwürfe gegen Schulte im Zusammenhang mit seiner Arbeit bei Wölbern sei dessen unternehmerische Leistung bei MediVision „beachtlich“ gewesen, bemerkt Debatin.

37 Interessenten gab es für den Medizindienstleister, fünf davon nahmen an der Endrunde des Bieterverfahrens teil. Das große Interesse und die gute Aufstellung von MediVision erkläre auch den Kaufpreis, den Michael Späth, einer der MediVision-Geschäftsführer, als „nicht insolvenztypisch“ umschreibt. Nach Informationen dieser Zeitung lag er in der Größenordnung von 50 Millionen Euro.

Zwar betreiben beide Teile der neuen Gruppe im Prinzip das gleiche Geschäft. Doch lag der Schwerpunkt bei Amedes bisher auf dem Laborbereich, während MediVision mit der Tochterfirma Endokrinologikum als Betreiber von Facharztpraxen stärker war. Die Integration, darin sind sich die Leiter beider Unternehmen einig, fällt leicht, da die Kulturen zusammenpassen. Von der MediVision erwarte man schon bald einen bedeutenden Ergebnisbeitrag.

In der neuen Konstellation hat Debatin, der frühere Chef des Universitätsklinikums Eppendorf (UKE), ehrgeizige Wachstumspläne: „Es ist unser Ziel, den Umsatz von rund 370 Millionen Euro innerhalb von fünf Jahren mindestens zu verdoppeln.“

Allein mit dem organischen Wachstum von jährlich fünf bis acht Prozent wird sich das nicht erreichen lassen. Daher stehen weitere Zukäufe auf dem Programm: „Wir sehen uns als Akquisitionsplattform für fachärztliche Praxen im Bereich der Spezialversorgung und wollen somit dazu beitragen die Versorgung der Patienten auch langfristig sicherzustellen“, sagt Debatin.

Größere Einheiten lägen auch in der ambulanten Medizin im Trend: „Das Geschäftsmodell des Arztes in seiner Ein-Personen-Praxis gerät unter Druck. Viele Fachärzte finden keine Nachfolger mehr.“ Das liege auch daran, dass 70 Prozent der Universitätsabsolventen Frauen sind, die nicht unternehmerisch tätig sein wollen, so Debatin: „Sie wünschen sich geregelte Arbeitszeiten, in denen sie gute Medizin anbieten können.“

Bisher jedoch sei das Marktumfeld noch recht zersplittert: „Wir sind mit einem geringen Marktanteil mit Abstand die Nummer eins in Deutschland.“ Die ambulante Medizin stehe an einem Punkt, an dem sich die Kliniken vor 20 Jahren befanden – bevor die große Konsolidierung einsetzte.

Das Niederlassungsnetz mit Standorten in fast 40 Städten biete jedenfalls gute Voraussetzungen für Expansion, sagt MediVision-Geschäftsführer Michael Späth: „Medizin ist regional. Wir können unsere Leistungen für Patienten und einsendende Ärzte nun bundesweit auf einem hohen Qualitätsniveau anbieten.“

Vor allem in Süd- und Ostdeutschland soll das Netz jedoch noch enger geknüpft werden. Zudem will man sich im Hinblick auf die Fachbereiche noch breiter aufstellen. Bisher ist die Gruppe in der Endokrinologie und der Reproduktionsmedizin besonders aktiv, aber künftig sollen auch die Rheumatologie und die Onkologie stärker bearbeitet werden.

Durch den Abrechnungsskandal in Bayern in den vergangenen Jahren, der jüngst noch einmal auf die politische Bühne gelangte, sieht Debatin die Geschäfte der Gruppe nicht berührt. Die Branche war in die Schlagzeilen geraten, weil rund 10.000 Ärzte bei der Abrechnung von Laborleistungen betrogen haben sollen – zum Schaden der Krankenversicherer. Gegen schwarze Schafe in der Szene sollte härter vorgegangen werden, meint der Amedes-Chef: „Wir brauchen auch für die Medizin ein Antikorruptionsgesetz, das Strafen vorsieht.“

Debatin hat langjährige Berufserfahrung im Gesundheitssektor: Nach einem Medizinstudium arbeitete er seit 1987 als Klinikarzt, unter anderem in den USA und in der Schweiz. Von 1999 bis 2003 war er Direktor eines Instituts für Radiologie am Universitätsklinikum Essen, anschließend bis 2011 Vorstandsvorsitzender des UKE. Im gleichen Jahr wechselte er an die Spitze von Amedes.