Hamburger Firmen beteiligen sich an einem ungewöhnlichen Fitnessprogramm. Fast 300.000 Beschäftigte machen weltweit bereits mit

Hamburg. Manchmal muss sie fast den ganzen Arbeitstag lang sitzen, eine Besprechung löst die nächste ab. „Wenn ich dann am Abend auf meinen Bewegungsmesser schaue, kommt die Enttäuschung“, sagt Eva Schobeß, Juristin beim Hamburger Zigarettenhersteller Reemtsma. „Doch an den Wochenenden kann ich das Defizit wieder aufholen.“ Schobeß ist Mitarbeiterin eines von weltweit rund 1200 Unternehmen, die bei der weltgrößten Gesundheitsinitiative mit dem Namen Global Corporate Challenge mitmachen. Insgesamt 40.378 Teams mit je sieben Mitarbeitern von Firmen sind bei der Aktion dabei. Damit beteiligen sich in diesem Jahr mehr als 282.000 Beschäftigte aus aller Welt und allen Branchen an der Initiative.

Schobeß trägt seit dem 28. Mai hundert Tage lang einen Bewegungsmesser. Das Programm soll sie motivieren, ihr Ziel von täglich 10.000 Schritten zu erreichen. Grund für die Teilnahme ist die berechtigte Sorge vieler Unternehmen um die Gesundheit ihrer Mitarbeiter. „Joggen oder gehen, schwimmen und Radfahren statt ständig das Auto oder den Aufzug zu nutzen, hilft der Gesundheit und formt nachhaltige, positive Gewohnheiten“, sagt Michael Leitner, der bei Global Corporate Challenge in Zürich die deutschen Unternehmen betreut. „Positive Motivation, Spaß und Teamwork sind die Basis des steigenden Erfolgs“, sagt er.

Global Corporate Challenge ist vor zehn Jahren in Melbourne in Australien entstanden. Inzwischen hat die Organisation mit ihrem Wettbewerb gettheworldmoving neben der Schweiz zwölf Büros in aller Welt, darunter auch in Indien, den Arabischen Emiraten, Südafrika, Irland, den USA und natürlich Australien. Die Teilnahme an der Aktion ist freiwillig – und wird von vielen Beschäftigten gut angenommen.

Die Gründe sind einleuchtend. Wer sich viel bewegt, schützt seine Gesundheit. Zudem lernen die Teilnehmer die Wichtigkeit einer ausgewogenen Ernährung und eines gesunden Schlafes kennen. Die teilnehmenden Unternehmen bezahlen pro Mitarbeiter 65 Euro für die Schrittzähler und die Betreuung. Die Teilnehmer dürfen das Gerät behalten. Die Firmen tun dies aus präventiven Gründen. Denn schon heute belasten Krankheitskosten allein die deutsche Volkswirtschaft mit rund 250 Milliarden Euro. Wenn Mitarbeiter fehlen, ist für den Arbeitgeber auch ihre Kompetenz nicht mehr abrufbar. Kunden, die immer direkt mit einem Mitarbeiter in Kontakt sein wollen, sind frustriert, wenn dieser nicht verfügbar ist.

Gerade Fettleibigkeit mit einhergehenden Herz-Kreislauf-Problemen werden ein immer größeres Problem für die Wirtschaft. Global Corporate Challenge hat 2013 laut Leitner erreicht, dass dank mehr Bewegung, gesünderer Ernährung und ausreichend Schlaf 60 Prozent der 262.000 Teilnehmer durchschnittlich 4,2 Kilo Gewicht verloren haben. Zudem konnte die Zahl der Fehltage wegen Krankheit um 1,44 pro Arbeitnehmer reduziert werden. Eine 32 Prozent höhere Produktivität, 66 Prozent Stressreduktion und eine 75 Prozent höhere Arbeitsmoral sind laut gettheworldmoving weitere Nebeneffekte. Schobeß nimmt inzwischen im Büro immer die Treppe, fährt mit dem Rad statt dem Auto zum Job. „Es macht richtig Spaß. In unserer Gruppe schauen wir jeden Tag, auf welchem Platz in der Tabelle unser Team steht“, sagt die schlanke Frau, die trotz ihres Jobs bei Reemtsma Nichtraucherin ist. Der Wettbewerb sporne an. 88 Teams mit 616 Mitarbeitern hat allein Reemtsma in Deutschland ins Rennen geschickt. Ihre bisherige Bilanz kann sich sehen lassen. Jeder Teilnehmer geht im Schnitt 13.000 Schritte am Tag. Einzelheiten, etwa welcher Mitarbeiter viel und welcher wenig läuft, werden nicht erfasst. Beim Mutterkonzern Imperial Tobacco sind es sogar mehr als 7000 Mitarbeiter, die freiwillig mitmachen.

Auch der Mineralölkonzern Shell ist dabei. „Die Kollegen sind sehr engagiert. In den Pausen diskutieren sie, wie sie sich noch weiter verbessern können“, sagt Sprecherin Cornelia Wolber. In Hamburg seien viele der 1500 Beschäftigten mit von der Partie. Kristin Breuer, seit April 2013 Pressesprecherin vom Wedeler Pharmakonzern AstraZeneca, macht zum ersten Mal mit. „Das spornt an“, sagt sie – auch wenn sie dafür öfter als sonst aufs Fahrrad steigen oder sich am Wochenende mehr Zeit zum Joggen nehmen muss.

Doch nicht nur Großkonzerne, auch kleinere Firmen nehmen in Hamburg am dem weltweiten Projekt teil. So auch die Bfv-Hausverwaltung aus Niendorf, die acht Mitarbeiter beschäftigt. Sechs Bfv-Kollegen sind dabei. „Wir haben noch meine Nachbarin ins Team genommen, damit wir die geforderten sieben Teilnehmer zusammenbekommen“, sagt Meike Jörger von der Bfv. „Sie fand keinen Platz mehr in den Teams der Commerzbank.“ Das Hamburger Unternehmen Artelia geht mit sechs von insgesamt 30 Beschäftigten an den Start. Die Hanseatic Bank und die Bank des Deutschen Kraftfahrzeuggewerbes (BDK) nutzen ebenfalls das Angebot. Beide Unternehmen nehmen mit je 27 Teams, das heißt 189 Mitarbeitern teil. Insgesamt hat die Hanseatic Bank 414, die BDK 612 Beschäftigte. Beim Suchmaschinenanbieter Google in Hamburg läuft nur eine Gruppe mit acht Mitarbeitern mit. „Wir bieten selbst viele Fitnesskurse an und haben ein eigenes Studio für unsere rund 300 Mitarbeiter“, begründet Sprecherin Mounira Latrache das nur geringe Engagement. „Dafür beteiligen sich viele Mitarbeiter am Hamburger Triathlon und am Marathon.“

Eigentlich dient es der Gesundheit, wenn die Menschen Sport treiben. Doch wer „in“ sein will, dem reicht dies längst nicht mehr. Inzwischen bemüht sich eine neue Fitnessindustrie um den modernen Jogger, Schwimmer, Radfahrer und andere Sportler. Der Schrittzähler ist heute schon fast banal. Über Apps von Smartphones und Co. hat jeder Träger inzwischen die Gelegenheit, Tag und Nacht sein Gesundheitsverhalten zu überwachen.

Ein neuer Zweig der IT-Industrie ist entstanden. Fitnessarmbänder, die an Apps gekoppelt sind, Uhren und andere Geräte, die wie ein funktionales modisches Accessoire getragen werden können, sind laut der Wirtschaftsprüfungs- und Steuerberatungsgesellschaft Deloitte stark auf dem Vormarsch. In diesem Jahr sollen davon weltweit mehr als zehn Millionen Stück verkauft werden und einen Umsatz von rund drei Millionen Dollar generieren. Über vier Millionen smarte Brillen sowie rund vier Millionen Fitnessarmbänder und zwei Millionen Fitnessuhren sollen voraussichtlich verkauft werden.

Dieser Trend, der vorwiegend von Smartphone-Herstellern, Sportfirmen wie Nike und der App-Industrie getragen wird, hat auch der amerikanische Chiphersteller Intel erkannt. Das Unternehmen hat im März eine Firma gekauft, die intelligente Armbänder zur Steigerung der persönlichen Fitness herstellt. Die Übernahme von Basis Science ermögliche dem Unternehmen „einen sofortigen Einstieg“ in den Markt für tragbare vernetzte Geräte, erklärte der für neue Produkte verantwortliche Intel-Manager Mike Bell. Basis Science stellt Plastikarmbänder her, die unter anderem die zurückgelegten Schritte des Trägers zählen, dessen Herzschlag überwachen und die Schlafqualität beobachten können. Die Daten werden drahtlos aufs Smartphone übertragen und lassen sich dort auswerten.

In Hamburger Firmen sieht man solche Bändchen als Alternative zu den Schrittzählern immer häufiger unter dem Hemd oder im Anzugärmel der Mitarbeiter. So auch beim Telefonkonzern Freenet. Einige Dutzend der 240 Beschäftigten von Freenet tragen ihr Armband täglich. Genauso sieht es beim Nivea-Hersteller Beiersdorf aus. Moniert wird dies von den Firmen nicht, schließlich dient die Technik der gesundheitlichen Prävention.