Für 6,5 Millionen Euro hat Hamburg eine moderne Nautische Zentrale gebaut. Nur Kapitäne dürfen hier arbeiten

Hamburg. Seemannshöft, 12 Uhr mittags. Ein leuchtender roter Punkt auf dem Monitor zeigt die drohende Katastrophe an. Andreas Bühring setzt sich in seinem Sessel zurecht und schaut sich die Daten auf dem Bildschirm genauer an. Lange geschwungene Linien auf einer Zeitachse zeigen Schiffsanläufe und -abfahrten im Hamburger Hafen. Und an einer Stelle, dem leuchtenden Punkt, kreuzen sie sich. „Das geht nicht gut. Hier begegnen sich zwei Großschiffe auf der Elbe, die nicht aneinander vorbeikommen“, sagt Bühring und zeigt auf den Punkt. Er schlägt aber nicht Alarm, warnt nicht die Kapitäne, sondern greift nach einer Computermaus und verändert die Linien. Sein Bildschirm zeigt ihm nämlich nicht die aktuelle Lage, sondern was in ein paar Stunden auf der Elbe passiert. Bühring hat genug Zeit, um die Kollision abzuwenden. „Ich lasse den einen Frachter etwas später von der Kaimauer los, dann kommen sie gefahrlos aneinander vorbei“, sagt er und schiebt die Linie mit der Maus zwei Zentimeter nach rechts. „Jetzt ändert sich der Fahrplan des Frachters, er fährt ganz einfach zwei Stunden später ab.“

Es ist nur eine der vielen technischen Raffinessen, mit der die neue Nautische Zentrale des Hamburger Hafens aufwartet. Nach zwei Jahren Bauzeit nahm sie am Donnerstag am Bubendeyufer ihre Arbeit auf. Wirtschaftssenator Frank Horch (parteilos), der Chef der Hamburg Port Authority, Jens Meier, und Hafenkapitän Jörg Pollmann weihten den Neubau ein. Von hier aus wird der gesamte Schiffsverkehr im Hafen überwacht und koordiniert. Rund 30.000 Schiffsbewegungen im Jahr. Jeweils fünf Mann sorgen im Schichtsystem dafür, dass es zu keinen Zusammenstößen kommt – an 365 Tagen im Jahr. „Vom Containerschiff bis zur Jolle – der Nautischen Zentrale und ihren Mitarbeitern entgeht im Hamburger Hafen nichts“, sagt Horch.

6,5 Millionen Euro hat der Neubau gekostet. Dafür weist er gegenüber seinem Vorgänger an gleicher Stelle zahlreiche technische Neuerungen auf. Schautafeln, auf denen Schiffe per Hand verschoben wurden, gehören der Vergangenheit an. Die neue Zentrale verfügt über eine mehrere Meter lange Großbildanzeige mit hoch auflösender Darstellung der Elbe und aller Hafenfinger von der Landesgrenze auf Höhe des Kraftwerks in Wedel bis hinter Harburg. Alle nautischen Informationen laufen in der Zentrale zusammen. An der Decke hängen Monitore, die Windrichtung und mittlere Windgeschwindigkeit anzeigen.

„Mit der neuen Nautischen Zentrale können wir die Effizienz deutlich steigern“, sagt Hafenkapitän Jörg Pollmann. Die Auslastung an den Terminals könnte verbessert werden. „Wir können die Schiffsbewegungen enger takten, ohne bei der Sicherheit irgendwelche Abstriche zu machen. Und wir können auf Störungen schneller reagieren.“

Läuft etwas nicht wie erwartet, sieht das Matthias Heinrich. Er sitzt vor Bühring, kümmert sich um die Verkehrslenkung. Radarbilder zeigen ihm die aktuelle Bewegung auf der Elbe. Ein Funkgerät meldet sich knackend zu Wort. „1,20, leer von K3, zwei Mann an Bord nach Brunsbüttel, alles ohne“, sagt ein Schiffskapitän, und Heinrich antwortet ihm. Dann übersetzt er: „Ein Tanker mit 1,20 Meter Tiefgang meldet sich zur Fahrt ohne Lotsen nach Brunsbüttel an. Er hatte vorher Diesel geladen und ist jetzt leer.“ Dann gibt Heinrich die Daten ins System ein, und identifiziert damit einen der Radarpunkte, der sich gerade in Bewegung setzt.

Darauf meldet sich die „Christopher“ zu Wort. Das Containerschiff mit 6,60 Meter Tiefgang passiert gerade die Landesgrenze und will in zwanzig Minuten auf Höhe der Nautischen Zentrale sein. Heinrich schaut auf einem anderen Schirm auf welches Ziel die „Christopher“ gebucht ist. „Containerterminal Altenwerder, Liegeplatz 4, Backbord“, gibt er dem Lotsen auf dem Schiff schließlich durch.

Zwei Lautsprecher versorgen Heinrich ständig mit neuen Informationen teils in Englisch. Wie bei Fluglotsen ist hier die Anspannung hoch. Dem Verkehrslenker darf nichts entgehen. „Da weiß man nach zwölf Stunden Arbeit, was man getan hat“, sagt er. Seine Schicht geht wie die von Bühring von 6.00 bis 18.30 Uhr. Dann haben sie 24 Stunden frei, anschließend Dienst von 18.00 bis 6.30 Uhr. Danach 48 Stunden frei, immer im Wechsel. „Manche Kollegen leiden darunter. Sie sagen, sie können nicht einschlafen“, meint Bühring. „Dabei war es auf See doch gar nicht anders.“ Eines hat Bühring mit seinen Kollegen in der Nautischen Zentrale gemeinsam: Sie alle verfügen über das Kapitänspatent auf großer Fahrt.

Das gilt natürlich auch für den Leiter der Nautischen Zenrale, Jörn Warwel. Er hat inzwischen der von Bühring vorgeschlagenen Verschiebung der Abfahrtszeit des Großfrachters zugestimmt. Den Schritt von Bord an Land hat er nicht bereut: „Ich arbeite in einer der modernsten Verkehrszentralen der Welt“, sagt er. „Wer kann das schon von sich behaupten?“