Die Sparte für Kontinentaleuropa und Großbritannien mit Sitz in Hamburg soll deutlich wachsen. „Wir können uns vorstellen, ein weiteres Windparkprojekt noch in diesem Jahr zu entscheiden“, sagt Spartenchef Groebler.

Hamburg. Der Energiekonzern Vattenfall will seine Erzeugung von Strom aus Windparks in Europa deutlich ausweiten. Für Kontinentaleuropa und Großbritannien steuert dieses Geschäft seit Beginn des Jahres von Hamburg aus der neue Spartenchef Gunnar Groebler. „Wir haben bislang bereits über 1600 Megawatt Erzeugungskapazität aus Windparks in unserem Portfolio, davon 1200 Megawatt in der Region Kontinentaleuropa und Großbritannien. In dieser Region werden wir innerhalb der kommenden zwei Jahre den Wert um 50 Prozent steigern“, sagte Groebler dem Abendblatt. Seine Geschäftseinheit arbeite derzeit an zwei Offshore- und zwei Onshore-Windparks mit einer Gesamtleistung von 600 Megawatt: „Wir können uns vorstellen, ein weiteres Windparkprojekt noch in diesem Jahr zu entscheiden.“

Der Strukturwandel bei Vattenfall hin zu mehr erneuerbaren Energien ist ein weiter Weg. Seit den 1990er-Jahren expandierte der schwedische Staatskonzern in Europa und erwarb dabei nach und nach einen umfangreichen Kraftwerkspark, der alle gängigen Technologien umfasst. So ist Vattenfall heutzutage in Deutschland nach RWE der Konzern mit der zweitgrößten Stromerzeugung aus den besonders klimabelastenden Braunkohlkraftwerken. Gut 20 Prozent der gesamten Erzeugungskapazität des Konzerns basiert auf der Verstromung von Braunkohle – nur gut vier Prozent sind es bislang bei der Windkraft. „Wir werden unseren Fokus bei den erneuerbaren Energien und beim Einsatz von Speichermedien langfristig verbreitern, etwa auch mit Blick auf Wellen- und Gezeitenkraftwerke“, sagte Groebler. „Den Schwerpunkt bildet aber auf absehbare Zeit die Windkraft auf See und an Land.“

Der Kraftwerkspark des Konzerns besteht in dessen Mutterland Schweden überwiegend aus Wasserkraftwerken, die in Nordeuropa besonders verbreitet sind, und aus Atomreaktoren. Durch die Zukäufe vieler Kohlekraftwerke in Europa handelte sich Vattenfall zu Hause auch heftige politische Kritik mit Blick auf den Klimaschutz ein. Seit Jahresbeginn wurde der Konzern in zwei regionale Einheiten neu strukturiert – ein Teil umfasst nun das Geschäft in Schweden, Dänemark und Finnland, der zweite Deutschland, die Niederlande und Großbritannien. Im Zuge der neuen regionalen Ausrichtung übernahm auch Groebler, 42, seine neu geschaffene Funktion. Er arbeitet seit 1999 für Vattenfall und leitete zuvor das Geschäft mit Pumpspeicherwasserkraftwerken in Deutschland, wozu auch die Anlage bei Geesthacht gehört.

Der Manager sagte, der Umbau hin zu erneuerbaren Energien werde konzernweit vorangetrieben: „Vattenfall hat die erneuerbaren Energien als wichtigstes Investitions- und Wachstumsthema für alle Projekte definiert, die im Konzern neu hinzukommen. Das priorisieren wir klar vor anderen Investitionen in unserem Erzeugungspark.“ Allerdings würden die fossil betriebenen Kraftwerke, auch die Braunkohleanlagen, noch lange zum Kraftwerks-park des Unternehmens gehören: „Die etablierte Stromerzeugung und die erneuerbaren Energien tauschen gerade die Rollen: Kohlekraftwerke werden in den kommenden Jahren mehr und mehr zur Ausgleichstechnologie für die schwankenden Erträge aus Wind- und Sonnenkraft und zum Garanten der Versorgungssicherheit“, sagte Groebler. „Insgesamt werden diese beiden Erzeugungssysteme in einer partnerschaftlichen Art aber sicher noch 30 bis 40 Jahre miteinander arbeiten, bevor die erneuerbaren Energien weit überwiegend den Bedarf eines großen Industrielandes wie Deutschland decken können.“

Zwar ist die Erzeugungskapazität aus Windparks bei Vattenfall noch relativ klein. Doch speziell beim Ausbau der Offshore-Windkraft auf der Nord- und Ostsee zählt der Konzern zu den Pionieren am Markt. Nach eigener Aussage ist Vattenfall nach dem dänischen Konzern Dong derzeit der zweitgrößte Betreiber von Offhore-Windparks. Gut 70 Kilometer westlich von Sylt stellt Vattenfall derzeit den Offshore-Windpark „Dan Tysk“ fertig. Das Meereskraftwerk mit 80 Windturbinen, das Vattenfall in Kooperation mit den Stadtwerken München errichtet, wird voraussichtlich 2015 in Betrieb gehen. Es soll den Strombedarf von 400.000 Haushalten decken. Westlich von „Dan Tysk“ entwickelt Vattenfall zudem das Offshore-Windparkprojekt „Sandbank“.

Groebler trägt Verantwortung für 500 Mitarbeiter in Deutschland, den Niederlanden und Großbritannien, 100 von ihnen arbeiten in der Hansestadt. Der Umsatz der Sparte beträgt 2014 voraussichtlich rund 500 Millionen Euro. Neben dem Ausbau der erneuerbaren Energien rückt aus Groeblers Sicht vor allem deren Integration in das System der Energieerzeugung und -verteilung in den Mittelpunkt.

„Bei den Speichertechnologien gibt es eine große Spannbreite, je nach Einsatzgebiet: von der Großbatterie im Ein-Megawatt-Bereich zum Ausgleich kurzfristiger Netzschwankungen, die wir derzeit in Berlin testen, bis zum Pumpspeicherkraftwerk, bei deren Betrieb wir in Deutschland mit Abstand Marktführer sind“, sagte Groebler. „Die Weiterentwicklungen bei der Umwandlung etwa von Windstrom über Wasserstoff in Erdgas können das Potenzial der langfristigen Energiespeicherung noch erheblich erweitern.“

In der Metropolregion Hamburg werde Vattenfall auch nach dem Verkauf des Hamburger Stromnetzes präsent bleiben, sagte Groebler. Das Unternehmen hatte sich 2013 einem Volksentscheid gefügt und das städtische Stromnetz an die Hansestadt verkauft. Bis zur Übernahme der Hamburgischen ElectricitätsWerke (HEW) durch Vattenfall zu Beginn der 2000er-Jahre war das Stromnetz jahrzehntelang in öffentlicher Hand. „Das Kapital aus dem Verkauf unseres Hamburger Stromverteilnetzes wollen wir wieder in der Region investieren“, sagte Groebler. „Der politisch gewünschte Verkauf des Netzes bedeutet keinesfalls, dass wir uns aus der Stadt oder der Region zurückziehen.“ Anfang 2014 hatte Vattenfall drei Viertel des Stromnetzes an die Stadt verkauft, die bereits ein Viertel der Anteile hielt. Das gesamte Netz wird mit rund 550 Millionen Euro bewertet.