Ob Mode oder Brötchen: Geschäftsleute im Norden wollen mit dem Fußballspektakel Geld verdienen. Doch sie müssen sich an strenge Regeln halten

Hamburg/Lübeck. Imaculada Guhr hat Fußbälle und Flip-Flops in den brasilianischen Nationalfarben im Schaufenster dekoriert und auch sich selber von Kopf bis Fuß in Grün und Gelb gekleidet. Mit der Bikinimode von der Copacabana, den sonnengelb gestrichenen Wänden und tropischen Pflanzen bringt der Modeladen Zuckerhut mit angeschlossenem Waxing-Studio angenehm exotisches Flair nach Hamburg. Und das ist kein Zufall: Die lebhafte Inhaberin des Geschäfts am Rödingsmarkt ist selbst Brasilianerin. Und natürlich davon überzeugt, dass ihr Heimatland Weltmeister wird – und glücklich, wenn immer mehr Touristen in das aufstrebende Land reisen. „Brasilien hat super herzliche Menschen, tolles Wetter und eine tolle Küche“, sagt Imaculada Guhr, „eine Reise dorthin lohnt sich wirklich sehr.“

Die Brasilianerin, die einst wegen der Liebe nach Hamburg kam, wirbt mit dem Fußballevent des Jahres für ihre Produkte. Aber längst begeistern sich nicht mehr nur brasilianische Kaufleute oder Sportartikelhersteller für das Marketing mit der WM. In Hamburg und Umgebung werben in diesen Tagen sogar Dessous-Läden, Brautmodegeschäfte oder Veranstalter von Klassikkonzerten mit dem Großereignis.

Die üblichen Männerthemen wie grillen, Bier trinken oder Chips essen waren lediglich der Anfang des Hypes, beobachten Experten. „Bier und Autos sind nur die Vorreiter der Kommunikation“, sagt Trendforscher Peter Wippermann. Die Fußballleidenschaft sei in Deutschland so ausgeprägt, dass die Spannung bei diesem Thema auch bei anderen Konsumprodukten steige. Dazu komme die idealistische Vorstellung des Gastgeberlandes Brasilien mit Sonne, Strand und schönen Menschen. Die Fußball-WM als großes, globales Ereignis bringe zudem eine soziale Komponente ins Spiel, sagt Wippermann. „Zusammen Fußball schauen, Freunde treffen, gemeinsam grillen“, all diese Beziehungen könne das Marketing ebenfalls für seine Zwecke nutzen.

Ein kurioses Beispiel für Werbung mit dem Gemeinschaftserlebnis Fußball bietet derzeit ein Klassikveranstalter. Für ein Konzert in der Laeiszhalle müssen Antonio Vivaldi und J. S. Bach als „Gegner“ herhalten für den „WM-Klassiker Deutschland–Italien“, wie es auf den Plakaten heißt. In Trikots präsentieren sich die Komponisten auf den Postern in der Stadt und werben so für einen Auftritt der Neuen Philharmonie Hamburg.

Dass die Werbung nicht auf die männliche Zielgruppe beschränkt ist, zeigt auch der Dessous-Shop Joseph & Josephine am Eppendorfer Baum. Shirts mit dem Aufdruck „Good Morning Brazil“ und den Jahren, in denen die deutsche Nationalelf Weltmeister geworden ist, hängen neben leichter Wäsche im Schaufenster des Geschäfts. „Die Idee, dass verschiedene Nationen bei der WM zusammenkommen, ist einfach toll“, freut sich Ingeborg Nijhuis, Inhaberin des Ladens für hochwertige Wäsche und Mode. „Die Shirts kommen sehr gut an“, sagt die Kauffrau, ihre Kundinnen wollten sie übrigens nicht nur in der Freizeit, sondern auch im Büro oder zum Ausgehen tragen.

Aber in Sachen Mode geht noch mehr: Mit der witzigen Idee von Abendroben in Länderfarben ist eine Designerin aus dem Norden überaus erfolgreich. Neu ist das Brasilien-Kleid. „Das Abendkleid soll ausschließlich für einen guten Zweck verkauft werden“, sagt seine Erfinderin Manuela Offenborn. Mehrere Wochen dauerte die Handarbeit. Entstanden ist ein „Sturm“ aus Spitze, Satin und Straußenfedern. Mit einem ausladenden Reifrock, besetzt mit flotten Fußball-Applikationen, könnte das Gewand einen echten Treffer bei weiblichen Fans landen. Das zumindest hofft die Designerin Offenborn, die in Herrnburg (Nordwestmecklenburg) wohnt und in Lübeck ein Brautmodenstudio „coacht“. Sie will in diesem WM-Sommer keines der nächtlichen Spiele versäumen. Zu ihrer stetig wachsenden Festtags-Kollektion gehörten auch Roben in den Farben Deutschlands, Spaniens und anderer Teams. „Die Fußballkleider bringen Mode in ihrer schönsten Spielart in eine Männerdomäne“, sagt die kleine blonde Frau.

Dass es beim Marketing rund um den Fußball nicht nur um Erfindungsreichtum, sondern auch um ein knallhartes Geschäft geht, zeigen die strengen Regeln für die Verwendung der Begriffe oder Bilder rund um die WM. Wer das Event für seine Verkaufsstrategie nutzt, muss sich genau über die Bestimmungen in Bezug auf geschützte Logos und Marken informieren. Die Vermarktung der kommerziellen Rechte liegt ausschließlich in den Händen des Weltfußballverbands Fifa Der Verband hat eine Vielzahl von Begriffen markenrechtlich schützen lassen, zum Beispiel „Football World Cup“, „Fan Fest“, „FIFA World Cup“, „World Cup 2014“, „WM 2014“ und viele mehr. Ausschließlich den offiziellen Fifa-Partnern und Sponsoren ist es gestattet, mit den geschützten Begriffen und Symbolen zu werben. Das führt zu bizarren Verboten: Es ist sogar unzulässig, geschützte Markennamen der Fifa als Teil eines Produktnamens zu verwenden, etwa „WM-Brötchen“ oder „WM-Fernseher“. Unbedenklich für einen Bäcker im Fußballfieber wäre dagegen der Werbespruch „Wir backen wie die Weltmeister“, erklärt die Handelskammer. Wer sich nicht ausreichend informiert, riskiert Ärger: Es besteht die Gefahr, von der Fifa auf Unterlassung, Auskunft, Beseitigung und Schadensersatz in Anspruch genommen zu werden.

Die Fifa ist nicht nur Wächter und Großverdiener, was die weltweiten Marketingaktivitäten rund um die anstehenden Spiele in Brasilien betrifft. Sie kassiert auch vor Ort erheblich ab. Mit der Weltmeisterschaft in Südafrika hat die Fifa einen Gewinn vor Steuern von mehr als 2,3 Milliarden Euro gemacht. Im Fall von Brasilien schätzen Ökonomen zudem, dass das südamerikanische Land von dem Großereignis keineswegs wirtschaftlich profitieren dürfte. „Die Durchführung eines relativ teuren Sportspektakels“ sei für ein Schwellenland „angesichts erheblicher infrastruktureller Rückstände ein volkswirtschaftlicher Luxus“, schrieben zwei Experten des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW)jetzt in einem Beitrag für den Berliner „Tagesspiegel“.

Derartige „sportliche Mega-Events“ brächten den ausrichtenden Ländern keine positiven wirtschaftlichen Impulse. Die Fehlinvestitionen in Brasilien seien besonders ärgerlich, weil die allgemeine Investitionsquote in dem Land so niedrig sei. In sieben Städten werden komplett neue Stadien errichtet, mit Kapazitäten von bis zu 70.000 Zuschauerplätzen. Insgesamt sollen sich die Ausgaben für das Sportereignis in Brasilien auf 15 Milliarden Dollar summieren.

DIW-Vorstandsmitglied Gert Wagner und Konjunkturexperte Karl Brenke fordern in ihrem Artikel eine „grundlegende Reform“ des Systems, nach dem sportliche Großereignisse vergeben und finanziert werden. Sie verweisen dabei auch auf die sozialen Unruhen und Protestbewegungen in Brasilien. Internationale Verbände wie der Weltfußballverband Fifa oder das Internationale Olympische Komitee (IOC) müssten sich stärker an der Finanzierung der Veranstaltungen beteiligen, meinen die DIW-Experten.

In den vergangenen Wochen und Monaten gab es in Brasilien teils gewalttätige Proteste, bei denen die hohen Kosten für die Fußball-WM und die im Jahr 2016 anstehenden Olympischen Spiele kritisiert wurden. Die Demonstranten werfen der Regierung vor, viel Geld in die Prestigeprojekte zu stecken und wichtige andere Aufgaben wie Bildung und Gesundheit zu vernachlässigen. Auch Imaculada Guhr vom Bikini-Shop Zuckerhut sieht die Entwicklung mit Besorgnis: „Hoffentlich verläuft bei der WM alles gut“, sagt die Südamerikanerin mit Blick auf die Unruhen im Vorfeld des Events.