Online georderte Ware soll schneller beim Kunden sein. Der Paketversender Hermes investiert 300 Millionen Euro

Hamburg. Online-Einkäufe boomen. Und die Ansprüche der Kunden an die Paketdienste, welche die bestellten Produkte nach Hause bringen, wachsen. Die Ware soll möglichst innerhalb von 24 Stunden ankommen, besser aber noch am selben Tag. Diesem Wunsch nach mehr Geschwindigkeit können sich auch die großen Versanddienste nicht länger entziehen. Sie locken mit immer kürzeren Lieferzeiten. Nach der Deutschen Post investiert die Nummer zwei im Markt für Pakete an Privatadressen, der Hamburger Versender Hermes, viel Geld, um die hehren Versprechungen auch einhalten zu können: Die Tochter der Otto Group wird in den kommenden vier Jahren rund 300 Millionen Euro ausgeben und ihr Netz an Paketsortierzentren komplett umbauen. Aus den heute sechs großen und 57 mittelgroßen Paketfabriken werden am Ende 35 neue Anlagen und Standorte entstehen. Die Zahl der heute noch 400 Niederlassungen wird um etwa zehn Prozent verringert.

Ein Teil der Sortieranlagen wird an ganz andere Plätze im Land verlegt – was wiederum Auswirkungen auf das Personal haben wird: Von den rund 4500 Beschäftigten bei Hermes in Deutschland müssen sich bis zu 1000 Mitarbeiter auf einen Umzug an einen anderen Ort einstellen. Ein Jobabbau soll mit den Veränderungen jedoch nicht verbunden sein. „Wir wollen uns deutlich stärker regionalisieren. Dafür werden wir eher mehr als weniger Mitarbeiter benötigen“, sagt Otto-Vorstand und Hermes-Chef Hanjo Schneider. Für den Konzern ist dies nach seinen Angaben die größte Einzelinvestition in der Geschichte von Hermes.

Die britische Tochter von Hermes hat die Sonntagszustellung eingeführt

Hermes will erreichen, dass die Kapazität der Sortierfabriken von heute rund 300 Millionen Paketen im Jahr um rund ein Drittel auf mehr als 400 Millionen Sendungen steigt. In den vergangenen zehn Jahren ist das Paketvolumen, das die Otto-Tochter zugestellt hat, stets mit zweistelligen Prozentzahlen gewachsen. Der Markt der Paketdienste entwickelt sich dank rasant zunehmender Onlinebestellungen wie kein anderes Transportgeschäft: In Westeuropa lag der Umsatz des E-Commerce, des elektronischen Einzelhandels, im vergangenen Jahr nach Schätzungen des Instituts Emarketer bei 291 Milliarden Dollar (214 Milliarden Euro). Das entspricht einem Plus von 14 Prozent zum Vorjahr. Nicht ohne Grund hat deshalb die Deutsche Post in den vergangenen Jahren bereits mehr als 700 Millionen Euro in den Ausbau der Paketsparte und in die Aufrüstung der Sortiermaschinen gesteckt. Alle Anbieter wollen von dem immer größer werdenden Kuchen etwas abbekommen.

Experten sind sich einig, wohin der Weg im Paketversand führen wird: In Zukunft wird der Onlinebesteller, unmittelbar bevor er die Order aufgibt, eine Uhr am Bildschirmrand sehen. Darauf erkennt er die verschiedenen Liefermöglichkeiten: binnen zwei Stunden, noch am selben Tag, am Vormittag des folgenden Tages oder doch lieber am Abend. Verbunden ist diese Information mit einem Preis: Die Turbo-Zustellung kann durchaus 30 Euro und mehr kosten, die langsame Variante dagegen nur ein paar Euro. „Wer das als Zustelldienst nicht anbieten und auch umsetzen kann, wird in zehn Jahren kaum mehr Chancen auf dem hart umkämpften Markt haben“, sagt der Hamburger Unternehmensberater Horst Manner-Romberg. In anderen Ländern Europas ist dieser Trend klar zu erkennen: Die britische Tochterfirma von Hermes hat gerade die Paketzustellung am Sonntag eingeführt – im Unterschied zur deutschen Gesetzeslage ist dies in dem Königreich erlaubt.

Der letzte Schrei in der Transportbranche heißt denn auch Same Day Delivery: Zustellung noch am selben Tag. In einer aktuellen Umfrage der Beratungsfirma MRU geben elf Prozent der Befragten an, dass eine Zustellung am selben Tag für sie wichtig sei. „Aus unserer Sicht wird das eine Nische bleiben für bestimmte Produkte und Aktionen“, sagt Manager Schneider. Ein Fernsehgerät, das auf Lager liegt, kann bei einer Verkaufsaktion zur Fußball-Weltmeisterschaft sehr wohl am selben Tag an die Haustür gebracht werden, auch eine teure Arznei oder eine Lebensmittellieferung ab einem bestimmten Euro-Wert kommen dafür infrage.

Wie hoch die entsprechende Rechnung ist, sieht der Kunde im Kleingedruckten: So bietet die Telekommunikationsfirma Base die Zustellung am selben Tag an – für eine Gebühr von knapp 35 Euro. Der Elektronikhändler Conrad nennt rund 15 Euro als Preis für die Sofort-Belieferung. Der Grund ist klar: Pakete binnen weniger Stunden zuzustellen, das können nur Kurierdienste, die dafür auf teure Extra-Touren gehen. Paketdienste können diese Serviceleistungen nicht in ihre normalen Fahrten einbauen. „Orientiert man sich an aktuellen Preisen der Kurierdienste, sind 25 bis 35 Euro durchaus nachvollziehbar, wenn eine Sendung noch am Tag der Bestellung ankommen soll“, sagt Otto-Manager Schneider. Nach Einschätzung von Hermes wird nicht „pure Geschwindigkeit“ über den Erfolg von Paketdiensten entscheiden, sondern „Berechenbarkeit und Präzision“ bei der Zustellung an der Haustür. Immerhin erwartet die Unternehmensberatung McKinsey laut einer Studie, dass im Jahr 2020 schon 15 Prozent des Umsatzes im Paketversand auf die Zustellung noch am Tag der Bestellung entfallen werden.

Ebenfalls diskutiert wird unter den Paketdiensten über die sogenannten Paketboxen, die die Deutsche Post gerade neu anbietet. Hermes geht bei dem Thema auf Abstand. „Paketdienste können doch nicht Probleme bei der Zustellung auf die Kunden abwälzen und sie für den Empfang der Sendungen verantwortlich machen“, sagt Schneider. Wenn es Alternativen für die Ablieferung an der Haustür geben solle, müssten das seiner Meinung nach Branchenlösungen sein. Gemeint ist: ein Paketkasten für alle Zustelldienste. Schließlich werden Briefkästen auch nicht von der Deutschen Post allein genutzt.

Wer weit weg von den Versandzentren lebt, bekommt das Paket bisher später

Dabei ist Hermes ein interessantes Beispiel für den Wandel im deutschen Paketmarkt: Der Paketversender lebt noch mit den Strukturen der vergangenen Jahrzehnte und muss sich für die heutigen Ansprüche ganz anders im Land verteilen. Hermes ist bislang stets den Tochterfirmen des Versandhändlers Otto gefolgt und hat seine Sortieranlagen dort aufgebaut, wo eigene Versender wie Schwab, Baur oder auch fremde Kunden wie Amazon oder der Shoppingsender QVC längst ihre Standorte hatten. Ob im Norden in Hamburg, in der Mitte Deutschlands im Raum Kassel, im Süden in Burgkunstadt oder mit Haldensleben auch in Ostdeutschland: Dort liegen die Schwerpunkte für Hermes, der Rest der Republik ist eher Diaspora. Das heißt: Kunden in den Regionen, in denen große Versandhändler angesiedelt sind, bekommen ihre Pakete rasch an die Haustür geliefert. Wer aber außerhalb dieser Zentren lebt oder einen Onlinehandel betreibt, muss einen oder gar zwei Tage länger auf die Belieferung warten.

Diese Struktur, die seit den 1970er- Jahren nur an einigen Stellen modernisiert wurde, reicht heute nicht mehr aus, wenn Hermes mit der Konkurrenz mithalten will. United Parcel Service und auch DPD drängen mit Macht und Millionen Euro in das Geschäft mit Privatpaketen. Druck kommt auch von anderer Seite: von kleinen oder mittelgroßen Einzelhändlern, die von den Paketdiensten nicht als Kunden zweiter Klasse behandelt werden wollen.