Glänzender Start in das Jahr 2014. Die Hamburger Kette Engelhardt hat bereits 23 Filialen im Norden und will weiterwachsen

Hamburg. Ein Wunsch aus Kindertagen ist in Erfüllung gegangen. Schon als Schulmädchen hat Cathrin Engelhardt davon geträumt, wenn sie mal groß ist, Milchreis und Buttermilchsuppe an einem Marktstand zu verkaufen. Alles sollte ganz gesund sein. Dem Wunsch, mit natürlichen Produkten ihr Geld zu verdienen, ist die Hamburgerin bis heute treu geblieben – und dabei zudem noch Schritt für Schritt zur Betreiberin eine der drei größten Reformhausketten in Deutschland aufgestiegen – und mit 23 Filialen zur Marktführerin in Hamburg.

„Mit der richtigen Ernährung und Pflege können wir unsere Gesundheit nachhaltig stärken“, ist die 47-Jährige Inhaberin der Reformhaus Engelhardt GmbH überzeugt. „Das können, aber müssen nicht immer nur Bioprodukte sein. Es sollen vor allem Produkte in möglichst bester Qualität sein, die im Einklang mit der Natur hergestellt werden“, sagt Engelhardt. „Also Waren, die von Kleinsthöfen und Manufakturen in der Region und Deutschland kommen. Produkte, die besondere Nährstoffe enthalten und schadstoffarm produziert werden.“ Genau diesen Anspruch stellt sie an ihr Sortiment mit gut 6500 Artikeln aus den Bereichen Ernährung, Nahrungsergänzungsmitteln, Kurmitteln und Naturkosmetik.

„Wir sind beratende Tante-Emma-Läden der Moderne. Gute Beratung und menschliche Nähe sind unsere Stärken“, sagte Engelhardt. Das Besondere an Reformhäusern ist, dass sie genossenschaftlich organisiert sind und der Markennamen geschützt ist. Zu den Auflagen zählt es, dass sich der Betreiber in der Fachakademie für Reformhäuser in Warenkunde und Ernährungsberatung für acht Wochen fortbilden muss. Zudem absolvieren die Verkäufer eine Einzelhandelsausbildung für Diät und Reformware, wie es auch Cathrin Engelhardt getan hat.

Ein Besuch in einem Reformhaus gleicht deshalb nicht selten einer Konsultation bei einem Ernährungsberater, Heilpraktiker oder Arzt. „Was kann ich gegen Darmkrämpfe tun? Was gegen Schlaflosigkeit? Was gegen Eisenmangel? Was gegen Übergewicht? Was gegen Wechseljahrsbeschwerden?“ Solche Fragen werden den Verkäufern täglich nicht nur einmal von ihren Kunden gestellt. Allergiker suchen glutenfreie Lebensmittel, Mütter laktosefreie Sojamilch, Sportler etwas gegen Muskelkrämpfe, Frauen Naturkosmetik ohne Tierversuche.

Und in der Regel steht für alle Probleme und Ernährungsarten – von Ayurveda über Makrobiotik bis vegan – etwas in den Regalen. „Nicht jede Krankheit verschwindet, aber wer frühzeitig seine Ernährung umstellt und passende Ergänzungen einnimmt, kann seine Gesundheit zumindest stärken und vorbeugen“, ist Engelhardt überzeugt.

Den Grundstein für die Reformhäuser legte 1887 Naturheilkundeanhänger Carl Braun mit seiner „Gesundheitszentrale“. Damit setzte er damals ein Zeichen im Kampf gegen die frühindustrielle Belastung der Umwelt. Zur damaligen Lebensreformbewegung gehörten nicht nur Korsett- und Krawattenverweigerer oder Fürsprecher der FKK-Bewegung, sondern auch Vegetarier. Reformhäuser sind somit die Vorreiter der Biobewegung.

Für Cathrin Engelhardt hat der unternehmerische Aufstieg im Jahr 1987 begonnen. Nach einem Auslandsjahr in Australien lernte sie als Aushilfe in einem vegetarischen Bistro in Bergedorf ihren Mann und damaligen Chef Norbert Engelhardt kennen und lieben. Der studierte Grafiker brannte für die Idee der Reformhäuser. Allerdings wollte er ihnen endlich ein stilvolles Aussehen geben. Sie eröffneten einen Laden im Wandsbeker Quarree in modernem Design. „Die Einrichtung vieler Reformhäuser wirkten in dieser Zeit noch muffig und altbacken. Das wollten wir anders machen. Das Reformhaus in dem Einkaufszentrum lief sofort gut.“

Danach eröffneten oder übernahmen die beiden fast jährlich neue Filialen. In Eppendorf, im Alstereinkaufszentrum (AEZ), Elbe-Einkaufzentrum (EEZ), im Mercado und im Herold-Centrum Norderstedt. Dazwischen schenkte Cathrin Engelhardt zwei Söhnen das Leben, die heute erwachsen sind und ihr ältester selbst in ihren Läden arbeitet. Gerade als sie den Sprung zu einem Superreformhaus planten, starb 2001 ihr Mann. Cathrin Engelhardt übernahm die Geschäftsführung. Ihr gelang der Spagat zwischen Mutterpflichten und Geschäftsfrau.

An ihrer Seite holte sich Cathrin Engelhardt damals mehrere Frauen in die Leitungsfunktionen. „Alle haben, wie ich auch, klein in den Reformhäusern angefangen, sind mit ihren Aufgaben gewachsen, haben Erfahrung und soziale Kompetenz.“ Und sie expandierte weiter. In viele Bezirke Hamburgs. Zuletzt übernahm Engelhardt 2013 fünf Filialen des insolventen Reformhauses D.F. Wulff samt Mitarbeitern. Eine Expansion ist für Engelhardt „punktuell denkbar“, aber nicht primär. „Ich werde nur etwas in Hamburg übernehmen, wenn mir jemand – wie bisher auch – seinen Laden anbietet, aus Altersgründen aufgibt oder nur ein schlecht geführtes, unmodernes Reformhaus im Umfeld ist“, sagt Engelhardt. „Wir sind eine kleine Branche, da möchte ich keinen Verdrängungswettbewerb. Außerdem bin ich keine Heuschrecke.“

Mit ihrer Reformhauskette erzielt Engelhardt einen Umsatz von 16 Millionen Euro. „Wir schreiben schwarze Zahlen.“ Die Gewinne fließen in der Regel in den Um- und Ausbau der Filialen. Heute beschäftigt Engelhardt 145 Mitarbeiter, darunter 25 Auszubildende – vornehmlich Frauen. Dabei bietet sie viele verschiedene, flexible Arbeitszeitmodelle an, für die sie von der Stadt Hamburg als familienfreundliches Unternehmen mit dem Familiensiegel ausgezeichnet wurde. Sogar eine Ausbildung in Teilzeit ist in ihrem Unternehmen möglich. Ihr zweiter Ehemann, Sven Bürgel, ist freiberuflicher Journalist, kümmert sich um Werbung und Pressearbeit und gestaltet das hauseigene Kundenmagazin. Gemeinsam kümmern sie sich um Kinder, Hund und Haushalt.

Insgesamt sieht Engelhardt für die Reformhäuser noch viel Wachstumspotenzial. Größte Konkurrenten seien die Drogeriemärkte und Biosupermärkte. Einen großen Auftrieb erhält die Branche durch die zunehmende Zahl von Vegetariern und Veganern. Engelhardt selbst ernähre sich überwiegend vegetarisch, „aber ich mache auch mal Ausnahmen“. Zum Beispiel, wenn sie bei Freunden zum Essen eingeladen ist. „Denn der Gastgeber soll entscheiden, was es gibt.“ Generell kann sie aber mühelos auf Fleisch verzichten, statt Butter oder Margarine kommt bei ihr Frischkäse aufs Brot.

Der Aufschwung der Reformhäuser schlägt sich auch bundesweit in den Zahlen nieder. „Die Branche schaut auf ein sehr erfolgreiches Geschäftsjahr 2013 zurück und konnte ihren Umsatz um 4,8 Prozent auf 631 Millionen Euro steigern“, berichtet Carsten Greve, Vorstand der ReformhausGenossenschaft. Und der Trend hält an. „In den ersten vier Monaten stieg der Umsatz weiter um 8,2 Prozent.“

Bundesweit gibt es rund 1300 Reformhäuser, darunter 44 im Raum Hamburg. Allerdings seien dies etwa 20 Geschäfte weniger als im Vorjahr – sie wurden altersbedingt aufgegeben. Das neue vegetarische und gesundheitsorientierte Bewusstsein in der Gesellschaft ist maßgeblich für das Umsatzplus verantwortlich. Einen weiterer Erfolgsfaktor sieht Greve in der steigenden Nachfrage nach Nahrungsergänzungsmitteln und frei verkäufliche Arzneimittel auf natürlicher Basis, der von Reformhäusern bedient werde.

Für Engelhardt sind die Reformhäuser aber auch Orte, „wo neue Trends geschaffen werden“. So führt sie Acai – die neue Superfrucht aus Brasilien, die Krebs vorbeugen soll, ebenso Green Smoothies – Säfte oder Pulver aus frischem Gemüse. Und natürlich gibt es die In-Produkte am Frühstückstisch für Ernährungs-Avantgardisten: Frühstücksbrei, warm serviert in verschiedenen Geschmacksrichtungen und Chia-Samen für den Joghurt, sagt Engelhaft schmunzelnd: „Modern ist eben unsere Tradition.“