In Hamburg kaufen dreimal so viele Kunden am späten Abend ein wie im Bundesschnitt. Rewe als Vorreiter

Hamburg. Sarah Mohr liebt es, spätabends noch ein paar Dinge zu besorgen. „Ich erledige meine Einkäufe immer kurz vor Mitternacht, dann habe ich meine Ruhe und bin entspannt“, sagt die 24 Jahre alte Tanz- und Pilatestrainerin, die gerade aus einem Rewe-Markt im Schanzenviertel kommt. Getränke und Paprikachips hat sie gekauft. „Dreimal pro Woche bin ich bestimmt um diese Zeit hier“, sagt sie.

Bis Mitternacht hat die Filiale geöffnet und trotz der vorgerückten Stunde ist es auch an diesem lauen Vorsommerabend rappelvoll. Die einen kaufen gerade zwei Flaschen Sekt, ein paar Freundinnen haben Ananas, Brot und Kräuterquark in ihren Korb gepackt. An den zwei besetzten Kassen haben sich lange Schlangen mit jeweils sechs bis sieben Kunden gebildet.

Enver Celik, der im Kiosk am wenige Meter entfernten S-Bahnhof arbeitet, schleppt gerade eine große Tüte mit Brot, Butter, Tomaten, Birnen und Glasreiniger aus dem Supermarkt. „Tagsüber komme ich nicht zum Einkaufen“, sagt der Vater zweier Kinder. „Da bin ich froh, wenn nach der Arbeit noch ein Markt geöffnet hat.“

So wie hier im Schanzenviertel sieht es kurz vor Mitternacht in vielen Rewe-Märkten der Hansestadt aus. Die Kölner Supermarktkette ist der absolute Vorreiter, wenn es um späte Ladenöffnungszeiten geht. Acht Märkte in Hamburg haben in der Woche bis 24 Uhr geöffnet, elf weitere immerhin bis 23 Uhr. Kaum eines der Geschäfte des zweitgrößten deutschen Lebensmittelhändlers schließt in Hamburg früher als 22 Uhr. Ähnlich sieht es bei der Discounttochter Penny aus, wobei die Öffnungszeiten hier allerdings bis maximal 23 Uhr reichen.

Damit haben die Kölner ihre extrem späten Öffnungszeiten in den vergangenen vier Jahren noch einmal leicht ausgeweitet. 2010 war das Shoppen bis Mitternacht als Teil eines bundesweiten Tests in fünf Hamburger Rewe-Märkten gestartet. Ziel war es, sich im und gegen den Wettbewerb zu profilieren, wie eine Sprecherin für die Region Nord damals erklärte. Zudem griff Rewe den Trend auf, „dass unsere Kunden dann einkaufen wollen, wann es der eigene Terminplan zulässt“.

Dagegen nehmen sich die Öffnungszeiten der Konkurrenz vergleichsweise konservativ aus. Bis Mitternacht macht in Hamburg sonst nur noch eine Filiale der Kette Kaufland in Bergedorf auf, darüber hinaus ist bei dem zur Schwarz-Gruppe zählenden Unternehmen in der Regel eher gegen 22 Uhr Schluss. Das Schwesterunternehmen Lidl schließt die meisten Hamburger Filialen sogar schon um 21 Uhr, Ausnahmen gibt es in Bahnhöfen wie in Altona, wo Lidl dank einer Sonderregelung aber auch am Sonntag geöffnet hat. Besonders restriktiv verhält sich der Discounter Aldi, der seine Filialen grundsätzlich nur bis acht Uhr abends geöffnet hält.

Beim größten deutschen Lebensmittelhändler Edeka haben 44 der insgesamt 127 Hamburger Märkte nach 20 Uhr auf, bei diesen reicht die Öffnungszeit dann ähnlich wie bei Lidl meist bis 21 Uhr. Ausnahmen gibt es auch hier an großen Verkehrsknotenpunkten wie dem Hauptbahnhof oder am Flughafen. „Wir befürworten grundsätzlich Öffnungszeiten bis in den späten Abend hinein“, sagt eine Sprecherin von Edeka Nord dem Abendblatt. Allerdings könne man den selbstständigen Kaufleuten der Gruppe nicht vorschreiben, wie lange sie ihre Märkte geöffnet halten.

Grundsätzlich ist das Spätshopping in Hamburg weiter verbreitet als in anderen Bundesländern. Laut einer Studie der Marktforschungsgesellschaft GfK werden in der Hansestadt dreimal so viele Einkäufe nach 20 Uhr erledigt wie im bundesweiten Schnitt. Intensivere Späteinkäufer sind nur noch die Bremer und die Berliner. In Bayern – das Land mit dem rigidesten Ladenschlussgesetz in Deutschland – ist es hingegen nach acht Uhr abends zappenduster in den Geschäften.

„In großen Metropolen wie Hamburg werden die späten Öffnungszeiten mehr genutzt, weil hier auch die Flexibilisierung der Arbeitszeit weiter vorangeschritten ist als in ländlichen Regionen“, sagt Robert Kecskes, Marktforscher bei der GfK. „Dies führt dazu, dass die Kunden für ihre Einkäufe gern auch auf die Abendstunden ausweichen.“

Insgesamt steckt der Späteinkauf in Deutschland auch sieben Jahre nach der Liberalisierung der Ladenschlussgesetze allerdings noch immer in den Kinderschuhen. Bundesweit werden nämlich gerade einmal ein Prozent aller Einkäufe von Lebensmitteln und Drogerieartikeln nach 20 Uhr erledigt. Die beliebteste Einkaufszeit für diese Artikel bleibt laut GfK der späte Vormittag von 10 bis 12 Uhr. Rund ein Viertel aller Shoppingtouren werden in dieser Zeit absolviert. Zu keiner Tageszeit sind die Supermärkte so voll wie nach der Frühstückszeit. Besonders gern wird auch noch zwischen 16 und 18 Uhr eingekauft. Zwischen 18 und 20 Uhr shoppt immerhin noch fast jeder Zehnte.

Die Abendstunden werden laut GfK überwiegend von jüngeren Kunden bis 34 Jahre zum Einkaufen genutzt. „Viele von ihnen stehen beruflich bedingt unter Zeitstress und haben kaum eine andere Möglichkeit, als entweder frühmorgens oder spätabends einzukaufen“, sagt Kecskes. Die über 60-Jährigen nähmen die Möglichkeit zum Spätshopping hingegen fast gar nicht wahr.

Außerhalb der Supermärkte haben sich Öffnungszeiten über 20 Uhr hinaus bislang nur sehr begrenzt durchsetzen können. Besonders fortschrittlich sind drei Apotheken in Harburg, Wandsbek und Eimsbüttel, die Medikamente an sieben Tagen in der Woche bis Mitternacht verkaufen. „Für uns sind die regulären, langen Öffnungszeiten unter anderem eine Möglichkeit, um gegen die Konkurrenz aus dem Internet zu bestehen“, sagt Julia Scheel, Inhaberin der Vita Apotheke am Heußweg. „Die Kunden sind sehr dankbar, wenn sie sicher wissen, dass sie am Abend oder am Wochenende bei uns noch ihre Medikamente bekommen und nicht auf den Notdienst angewiesen sind.“ Insgesamt habe sich der Umsatz durch die Öffnung bis 24 Uhr erhöht und gleiche auch die zusätzlichen Personalkosten aus.

Ob sich extrem lange Öffnungszeiten für ein Unternehmen rechnen, hängt nicht zuletzt von der Strategie ab, die damit verfolgt wird. „Es geht vor allem darum, durch den zusätzlichen Service, Kunden an sich zu binden und der Konkurrenz Marktanteile abzunehmen“, sagt Marktforscher Kecskes. Manch ein Verbraucher werde erst durch einen spontanen Späteinkauf auf einen bestimmten Markt aufmerksam und gehe danach regelmäßig in der Filiale einkaufen.

Vorreiter Rewe hält sich zu den wirtschaftlichen Erfolgen der Spätöffnung weitgehend bedeckt, will sich aus „grundsätzlichen Erwägungen“ heraus zu dem Thema nicht äußern. In einem früheren Interview bezeichnete Rewe-Chef Alain Caparros die Spätöffnung als „hoch attraktive Nische“, in der es gelungen sei, vor allem Tankstellen, Kiosken und Fast-Food-Restaurants Kunden abzunehmen. Zehn Prozent des Wochenumsatzes erwirtschaften Rewe-Märkte und Penny-Discounter laut Caparros zwischen 20 und 22 Uhr. Bei den Märkten, die bis Mitternacht geöffnet haben, kommen in der Zeit von 22 bis 24 Uhr noch einmal zwei bis drei Prozent der Erlöse hinzu.

Billig ist diese Strategie für Rewe aber nicht, da die Beschäftigten laut Tarifvertrag von 18.30 Uhr bis 20 Uhr einen Gehaltszuschlag von 20 Prozent erhalten, ab 20 Uhr sind es sogar 50 Prozent. „Diese Vorgaben werden in den Hamburger Rewe-Filialen nach unseren Erkenntnissen auch eingehalten“, sagt Arno Peukes, der bei der Gewerkschaft Ver.di den Bereich Handel verantwortet.

Gerechtfertigt sind die Zuschläge in jedem Fall, denn die Spätöffnung ist zumindest an Standorten wie dem Schanzenviertel nichts für Beschäftigte mit schwachen Nerven. Quasi im Viertelstundentakt muss ein Rewe-Mitarbeiter an diesem Abend Betrunkene der Filiale verweisen. Direkt vor der Tür gerät ein junger Mann mit einem Polizisten aneinander und wird nach einem Wortgefecht in Handschellen abgeführt. „Dabei ist dies noch einer der ruhigeren Abende“, meint eine Verkäuferin.