Wölbern-Prozess beginnt mit Befangenheitsanträgen. Ehemaliger Chef Schulte befindet sich bereits in Privatinsolvenz. Eine mögliche Verurteilung Schultes bringt den Anlegern aber noch nicht ihr Geld zurück.

Hamburg. Im Verfahren gegen den Medizinprofessor Heinrich Maria Schulte wegen gewerbsmäßiger Untreue in 360 Fällen vor dem Landgericht Hamburg muss mit zahlreichen Anträgen der Verteidigung gerechnet werden, was das Verfahren in die Länge ziehen könnte. Das wurde bereits am ersten Verhandlungstag deutlich. Die Anklage wirft ihm vor, als Eigentümer und Chef der Fondsgesellschaft Wölbern Invest 147 Millionen Euro aus dem Vermögen zahlreicher Immobilienfonds abgeschöpft und zweckentfremdet zu haben. Doch bevor der Staatsanwalt dazu die Details verlesen konnte, musste sich das Gericht mit Anträgen der insgesamt drei Verteidiger auseinandersetzen. Für die Verhandlung am heutigen Dienstag wurden weitere Anträge durch die Verteidigung angekündigt. Ziel ist offenbar, die schon über ein halbes Jahr andauernde Untersuchungshaft aufzuheben.

Der erste Befangenheitsantrag richtete sich gegen den Richter Peter Rühle. Sein Vater hatte am Oberlandesgericht Hamburg bei einem regulären Haftprüfungstermin nach sechs Monaten Untersuchungshaft von Schulte über die weitere Inhaftierung entschieden. Dabei soll er geäußert haben, dass dem Angeklagten eine zweistellige Freiheitsstrafe drohe. Der maximale Strafrahmen liegt bei 15 Jahren. Mit einer solchen Äußerung solle dem Landgericht vorgegeben werden, wo es langgeht, sagte Verteidiger Christoph Römmig. Angesichts der familiären Bande zwischen Vater und Sohn sieht es die Verteidigung als ausgeschlossen an, das Rühle junior unbefangen und unparteiisch in dem Verfahren urteilen kann. Eine solche Konstellation würde in den USA zur sofortigen Einstellung des Verfahrens führen, merkte Römmig an.

Pflichtverteidiger Arne Timmermann richtete einen Befangenheitsantrag gegen alle drei Berufsrichter, einschließlich dem Vorsitzenden Hartmut Loth. Timmermann warf den Richtern vor, die Zulassung der Anklage nicht ausreichend geprüft zu haben und selbst keine weitere Aufklärung betrieben zu haben. „Das Gericht plant eine schlanke Hauptverhandlung, ohne das umfangreiche Material zum Fall zur Kenntnis genommen zu haben“, sagte Timmermann. Hintergrund ist die umfangreiche Beschlagnahme von Akten und Computerdateien, darunter allein 935 Leitz-Ordner. Da einige Kisten noch polizeilich versiegelt seien, könnten sie nicht vom Gericht berücksichtigt worden sein, so Timmermann. Über die Befangenheitsanträge muss jetzt eine andere Kammer entscheiden.

Die Strategie ist für Schulte nicht ungewöhnlich. Auch mit rebellierenden Anlegern, die ihn als Geschäftsführer einiger Fonds ablösen wollten, lieferte er sich heftige juristische Auseinandersetzungen, um das zu verhindern. Den Verdacht, dass der Angeklagte Geld aus den Fonds abzweigt habe, hatten einige Anleger schon früh geäußert. Wölbern Invest hatte dies stets bestritten.

Richter Loth lehnte die von der Verteidigung angestrebte Unterbrechung der Hauptverhandlung nach einer Beratung ab. So konnte noch die Anklageschrift verlesen werden. Zumindest das, was Schulte vorgeworfen wird, scheint lückenlos belegt. Jede einzelne, der ihm zur Last gelegten Transaktionen wurde verlesen, insgesamt 360 Kontobewegungen innerhalb von nur zwei Jahren zu Lasten der Anleger. Schulte legte laut der Anklage nur einige wenige Konten an, auf die das Geld aus den Fonds floss. Er verwendete es für andere Firmen außerhalb der Fondsgesellschaften und für private Zwecke, warf ihm die Staatsanwaltschaft vor. Allein für den 62. Immobilienfonds listete der Staatsanwalt 15 Transaktionen über insgesamt rund vier Millionen Euro auf. Dabei soll es sich um Beträge in einer Bandbreite von 25.000 Euro bis 700.000 Euro gehandelt haben. Die Mietzahlungen sorgten bei den Fonds für einen stetigen Liquiditätsfluss. Angesichts der vielen Überweisungen müssen die Fonds finanzstark gewesen sein.

Nach der Verhaftung Schultes im September 2013 meldeten zahlreiche seiner Firmen, wie Wölbern Invest KG, Insolvenz an. Auch der Medizinverbund Endokrinologikum, an dem Schulte indirekt beteiligt war, geriet in die Pleite, wird aber jetzt saniert. Unabhängig von dem Vorwurf der Untreue ergeben sich offenbar eine Menge Forderungen gegenüber dem Mediziner, so dass auch über sein Privatvermögen das Insolvenzverfahren eröffnet wurde. Das bestätigte Insolvenzverwalter Dietmar Penzlin. Den Antrag stellte sowohl Schulte selbst wie auch seine Gläubiger. Ziel eines privaten Insolvenzverfahrens ist es, sich nach insgesamt sechs Jahren von den Schulden zu befreien. Für den 23. Juni ist eine Gläubigerversammlung angesetzt. „Ob die Voraussetzungen für die Restschuldbefreiung eintreten, wird der weitere Verfahrensfortgang zeigen“, sagte Penzlin. Forderungen, die aus unerlaubten Handlungen wie einer Straftat resultieren, fallen nach Einschätzung der Verbraucherzentrale Hamburg aber nicht unter die Restschuldbefreiung.

Eine mögliche Verurteilung Schultes bringt den Anlegern aber noch nicht ihr Geld zurück. Sie müssen ihre Ansprüche gegen ihn zivilrechtlich durchsetzen. „Wir richten unsere Forderungen nicht nur gegen ihn, sondern auch gegen weitere Beteiligte und Versicherungen“, sagt Christoph Schmidt, der als Anleger jetzt zwei Immobilienfonds selbst betreut. Beiden Fonds wurden nach Angaben der Staatsanwaltschaft 16,6 Millionen Euro durch Schulte entzogen. Insgesamt fehlen den Wölbern-Fonds mehr als 100 Millionen Euro.

Schulte wurde im August 1953 in Essen als Sohn eines Hausarztes geboren. Bevor er 2006 mit der Übernahme der Wölbern Bank in das Finanz- und Fondsgeschäft einstieg, machte er sich einen Namen beim Aufbau des Endokrinologikums in Altona, das auf die Behandlung von Hormon- und Stoffwechselerkrankungen spezialisiert ist.