Hamburgs wichtiger Handelspartner leidet unter fallenden Rohstoffpreisen. Experten erwarten kaum positive Effekte durch das Großereignis

Hamburg. Wenn sich brasilianische Fußballfans gute Chancen ausrechnen, dass ihre Nationalmannschaft Mitte Juli im eigenen Land den Weltmeistertitel holt, dann stehen sie damit keineswegs allein: Mit einer Siegwahrscheinlichkeit von 19 Prozent ist Brasilien auf Basis der aktuellen Wettquoten der heißeste WM-Favorit, gefolgt von Deutschland und Argentinien mit jeweils knapp 14 Prozent – und in der Vergangenheit haben sich solche Quoten als sehr taugliches Prognoseinstrument erwiesen.

Wenig Anlass gibt es nach Auffassung von Experten jedoch zu der Annahme, die brasilianische Volkswirtschaft werde ebenfalls zu den großen Gewinnern des Sportereignisses zählen. „Die positiven volkswirtschaftlichen Effekte von Weltmeisterschaften und Olympischen Spielen sind für die Gastgeberländer meist verschwindend gering“, sagt Jörn Quitzau, Volkswirt bei der Privatbank Berenberg, die gemeinsam mit dem Hamburgischen WeltWirtschaftsInstitut (HWWI) in einer Studie die wirtschaftlichen Perspektiven Brasiliens vor dem Hintergrund der WM untersucht hat.

Diese Aussichten sind auch für Hamburg bedeutsam: Nach Angaben der Handelskammer unterhalten rund 480 Unternehmen aus der Hansestadt Geschäftsbeziehungen mit dem südamerikanischen Land, 108 Firmen sind mit einer Produktion, Beteiligung, Niederlassung oder Auslandsvertretung permanent dort präsent.

Auf der Liste der wichtigsten Handelspartner Hamburgs rangiert Brasilien mit einem Außenhandelsvolumen von 1,9 Milliarden Euro (2013) immerhin an zwölfter Stelle. Importiert werden vor allem Kaffee, Raps und Erze, beim Export aus Hamburg dominieren chemische Erzeugnisse.

„Schon seit vielen Jahren gilt Brasilien als ‚die nächste aufstrebende Volkswirtschaft‘“, sagt HWWI-Forscher Henning Vöpel. Die Voraussetzungen sind günstig: Gemessen an der Fläche wie auch an der Bevölkerungszahl ist Brasilien das fünftgrößte Land der Erde. Der Staat verfügt über erhebliche Bodenschätze wie Öl und die weltweit größten Eisenerzvorkommen, aber auch die Industrialisierung ist für ein Schwellenland relativ weit fortgeschritten. Damit findet sich Brasilien auf der weltweiten Rangliste der Wirtschaftsleistung bereits auf Platz sieben.

Tatsächlich hat das Land im zurückliegenden Jahrzehnt hohe Wachstumsraten erzielt. Doch nicht zuletzt durch den Einbruch der Rohstoffpreise, die gemessen an einem internationalen Branchenindex zwischen Frühjahr 2011 und Frühjahr 2014 um knapp 20 Prozent gefallen sind, haben sich die Aussichten eingetrübt.

Zudem dürfte der Studie zufolge eine anhaltende Dürre in zentralen Agrar-Provinzen zu einer schweren Missernte führen. Die Nahrungsmittelpreise im Land steigen bereits, was die soziale Ungleichheit weiter verschärft. Zuletzt sind die Wachstumsraten auf nur noch rund zwei Prozent zurückgegangen.

„Mittlerweile wird Brasilien neben der Türkei, Südafrika, Indien und Indonesien zu den ‚fragilen Fünf‘ gezählt, die als besonders anfällig und verwundbar für weltwirtschaftliche Turbulenzen gelten“, sagt Vöpel. „Das Land hat es versäumt, die Phase des starken Wachstums für eine Modernisierung und Reformen zu nutzen.“ So sind das Bildungssystem und die Verkehrsinfrastruktur unzulänglich; nur 20 Prozent der Straßen gelten als befestigt.

Angesichts der jüngsten Probleme ist es selbst im sportverrückten Brasilien zu öffentlichen Protesten gegen die WM, in der viele Menschen ein Symbol für die Korruption und die Misswirtschaft der Regierung sehen, gekommen. „Schule statt Stadien“ oder „Brot statt Spiele“ lautet die Devise.

„Allein durch einen Verzicht auf die Weltmeisterschaft hätten sich die Probleme aber natürlich nicht lösen lassen“, sagt Quitzau. Zwar gibt Brasilien umgerechnet mehr als zehn Milliarden Euro für das Großereignis aus. Die Investitionen dafür entsprechen aber nur höchstens einem Prozent des Bruttoinlandsprodukts, während die öffentlichen Ausgaben für Bildung und Gesundheit 15 Prozent der Wirtschaftsleistung erreichen.

Hinzu kommt jedoch, dass wenige Wochen vor Beginn der WM einige Stadien noch immer nicht fertiggestellt sind und erhebliche Sicherheitsbedenken herrschen. Mit einer ähnlich negativen Berichterstattung im Vorfeld des Turniers hatte allerdings zum Beispiel auch Südafrika im Jahr 2010 zu kämpfen. Dann aber lief dort schließlich doch alles reibungslos ab.

„Darauf sind die Südafrikaner noch heute stolz“, sagt Vöpel. Dies wirke sich positiv auf das Zusammengehörigkeitsgefühl und letztlich auf die Produktivität aus – und ein derartiger, schwer messbarer Effekt könnte auch in Brasilien eintreten. Er wäre nach Einschätzung der Experten stärker als die direkten Auswirkungen der WM.

Der größte Gewinner in finanzieller Hinsicht dürfte jedoch der Weltfußballverband Fifa sein. Er soll mit dem vorangegangenen Turnier in Südafrika über einen Vierjahreszeitraum gerechnet fast 1,7 Milliarden Euro vor Steuern verdient haben. „Fußballverbände wie die Fifa sind sogenannte ‚natürliche Monopolisten‘, was aus Sicht der Fans durchaus begrüßenswert ist: Es gibt eben nur einen Weltmeister und nicht wie etwa beim Boxen mehrere“, sagt Quitzau.

Diese Marktstellung ermögliche es dem Weltverband jedoch, einen Großteil der Gewinne aller beteiligten Organisationen und Unternehmen durch Lizenzierung abzuschöpfen. Gewinner werden aber auch diejenigen unter den Starspielern sein, die sich während des Wettbewerbs besonders gut in Szene setzen können, denn ihr Marktwert steigt nach jeder Welt- oder Europameisterschaft stark an.

„Für private Investoren ist es aber schwierig, von der Fußball-WM zu profitieren“, so Quitzau. Brasilianische Staatsanleihen sind nach Auffassung der Rating-Agenturen mit erheblichen Risiken behaftet. Allenfalls könnten die Aktien von Ausrüstern wie etwa Sportartikelherstellern als Beimischung für ein Portfolio geeignet sein. Solche Titel entwickeln sich im Vorfeld einer WM nicht selten besser als der Gesamtmarkt. Doch selbst dieser Effekt ist bisher ausgeblieben: In den zurückliegenden sechs Monaten liefen die Aktien von Adidas, Puma und Nike schlechter als die jeweiligen Vergleichsindizes.