Hamburg mischt auf dem Markt der Sportanalyse kräftig mit. Daten für die Fußball-Bundesliga werden vermarktet und Spitzenclubs mit Software beliefert

Hamburg. Das Runde muss ins Eckige. Das gilt bei den Bundesliga-Handballern des HSV Hamburg genauso wie bei vielen anderen Sportarten. Für Jan Philipp Steinbach geht es aber um mehr als Tore. Für ihn ist das „Wie“ entscheidend. Der 29-Jährige ist Videoanalyst beim Champions-League-Sieger des vergangenen Jahres. Vor jedem Spiel studiert er fünf bis acht Stunden lang die Gegner. Wie reagiert die Abwehr auf Spielzüge, wann lösen die Spieler ihre angestammte Position auf, wohin werfen sie bevorzugt? Steinbach liefert HSV-Trainer Martin Schwalb per Film wichtige Informationen – das Besondere an seinem Job: Er ist nicht nur Anwender, sondern auch Entwickler der Software für die Videoanalyse. Und seit einem knappen Jahr Jungunternehmer. Er gründete seine Firma Sportimization und brachte das Programm mittlerweile bei einem Drittel der Clubs in der Handball-Bundesliga unter: Göppingen, Lemgo, Melsungen, Balingen und Hannover wenden sein Produkt an. Dabei fing er bei null an, als er vor vier Jahren an die Elbe zog.

Steinbach steckte Tausende Stunden in die Entwicklung der Software

Mit einer Arbeit über die „Navigation für eine Wiedereinstiegsrakete“ hatte er gerade frisch sein Diplom als Techno-Mathematiker in Bremen erhalten. Weil er in der Luft- und nicht in der Raumfahrt seine Zukunft sah, verschlug es ihn nach Hamburg. Zum HSV kam er, weil er leistungsorientiert als Jugendtrainer im Handball arbeiten wollte. Es passte, er fing als Co-Trainer in der C-Jugend an. Zufällig wollte der Club wenig später seine Spielbeobachtung professionalisieren. „Was es auf dem Markt für Videoanalysesoftware gab, war aber entweder für Profimannschaften benutzerunfreundlich oder für leistungsorientierte Jugend- und Amateurteams nicht finanzierbar“, erinnert sich Steinbach und sagte sich, das könne er besser machen.

Er machte sich daran, seine eigene Software komplett neu aufzubauen. 2500 bis 3000 Stunden hat er in seiner Freizeit an seinem System gefeilt, teilweise am Wochenende 30 Stunden lang programmiert. „Das ist eine Kombination aus der Leidenschaft für den Handball und den Beruf“, sagt er. Denn unter der Woche arbeitet er an der Helmut-Schmidt-Universität als wissenschaftlicher Mitarbeiter im Bereich Automatisierungstechnik und an einem Forschungsauftrag für Lufthansa Technik. Nach anderthalb Jahren lief sein System svat stabil. Pro Spiel markiert Steinbach 50 bis 100 Szenen und kategorisiert sie zum Beispiel nach Überzahlspiel, Abwehrformation oder dem Spieler, der zum Torwurf kommt. Steinbach schaut sich mehrere Partien an, schneidet die wichtigsten Szenen zusammen und schickt die etwa 25 Minuten langen Filme Trainer Schwalb und den Profis zur Vorbereitung aufs Tablet. „Die Videoanalysesoftware svat ermöglicht uns eine optimale, effiziente und professionelle Vorbereitung auf die Gegner in der Champions-League, der Bundesliga und im Pokal“, sagt Schwalb. Und Steinbach freut sich: „Selbst die meisten Spieler schauen sich die Zusammenschnitte mittlerweile freiwillig vor der Taktikbesprechung an.“

Ob Analyse von Spielzügen, das Auswerten von Daten oder der Einsatz von Videokameras. Im Profisport kommen immer häufiger technische Hilfsmittel zum Einsatz. Erstmals wird bei der Fußball-Weltmeisterschaft in Brasilien in diesem Sommer die Technik GoalControl eingesetzt. Kameras des deutschen Unternehmens aus Würselen bei Aachen prüfen in den Stadien, ob der Ball die Torlinie überquert hat oder nicht. Während des Spiels werden zudem auf den Tribünen Scouts sitzen, die jede Aktion auf dem Spielfeld erfassen. Jeder Torschuss, jede Ecke, jeder Ballkontakt, jedes Foul, jeder Zweikampf auf dem Rasen und in der Luft wird gezählt und in Datenbanken eingegeben.

In Deutschland steht die Wiege dieser Sportdatenanalyse in der Hansestadt. Auf dem Gelände von Studio Hamburg wurde 1992 die ran-Datenbank entwickelt. Als der TV-Sender Sat.1 damals die Berichterstattung der Fußball-Bundesliga als Show konzipierte, war zusätzliches Statistikmaterial gewünscht. „Wir waren damals Pioniere und sammelten pro Spiel 600 bis 700 Aktionen“, sagt Holger Rahlfs. Der heutige Bereichsleiter Geschäftsentwicklung und Innovationen des Münchner Unternehmens Impire, in das der damalige Dienstleister IMP aufging, gehört hierzulande zu den Vätern der Fußballstatistik.

Ende der 90er-Jahre wurde die Datenerfassung durch das Scouting, bei dem Spielbeobachter live im Stadion sitzen, auf rund 2000 Aktionen ausgeweitet. Seit drei Jahren erkennen extra installierte Kameras die XY-Koordinaten jedes Spielers (Tracking) und messen so die Laufstrecken, Sprints und Geschwindigkeiten der einzelnen Akteure oder die Abstände in der Viererkette. Von 2011 bis 2013 erfasste Impire die Daten für die Deutsche Fußball-Liga (DFL), vor einem Jahr sicherte sich Konkurrent Opta für vier Saisons die Rechte. „Wir bekommen nun die offiziellen Spieldaten von der DFL, ergänzen sie und bereiten sie redaktionell auf. Die Zahl der Kunden, die für die Nutzung der Daten Geld bezahlen, nimmt zu“, sagt Rahlfs. Zum einen griffen die „ARD-Sportschau“, der TV-Sender Sport1 oder Medienhäuser auf die Dienste zurück. Zum anderen zeigen auch die Bundesligavereine gesteigertes Interesse an den Daten, um die Analyse zu verfeinern.

Für das Unternehmen tätig sind bis zu 100 freie Mitarbeiter und knapp 50 Festangestellte. Davon arbeiten zehn in Hamburg. Ein Teil der Redaktion und die Bereichsleiter für die Datenpflege und Softwareentwicklung sitzen seit einigen Jahren auf Kampnagel. Die Erlöse hätten in den vergangenen Jahren relativ stabil bei sechs bis sieben Millionen Euro gelegen, sagt Rahlfs: „Wir waren nie eine reiches, aber stets ein solides Unternehmen.“ Der Fokus bleibe auf dem Fußball. Nachdem Impire im Februar vom italienischen Unternehmen deltatre übernommen wurde, könnte eine Internationalisierung für weiteres Wachstum sorgen. Andere Sportarten seien kaum lukrativ. Rahlfs: „In der Handball-Bundesliga wäre der Markt sehr viel kleiner.“

Für Jungunternehmer Steinbach stehen die wirtschaftlichen Aspekte nicht im Vordergrund. „Ich habe die Software nicht primär entwickelt, um Geld zu verdienen, sondern eine Lücke zu schließen.“ Amateur- und Jugendteams können die Basis-Variante für 149 Euro Jahresgebühr runterladen, die Pro-Variante kostet 349 Euro. Andere Anbieter verlangten ein Vielfaches, sagt er. Bei jeder Anmeldung prüft ein Server in den USA, ob die Lizenz noch gültig ist. So schützt er sich gegen eine Weiternutzung der Software nach Auslaufen des Vertrags. Rund 20.000 Euro Umsatz hat er bisher mit svat erzielt.

Auch die Wasserball-Nationalteams setzen auf die Software aus Hamburg

Langfristig soll es sein zweites Standbein sein. „Hauptberuflich möchte ich künftig für die Industrie Automatisierungslösungen für kleine Stückzahlen anbieten“, sagt er. In diesem Sommer will er seine zweite Firma gründen, ein Jahr später seine Dissertation abschließen. Quasi nebenbei verkauft er solange Lizenzen für seine Videoanalysesoftware. Neben knapp 30 Handball-Clubs setzen seine Software seit Januar auch alle Wasserball-Nationalmannschaften ein. Mit anderen Sportverbänden und Clubs steht er im Kontakt. „Beim Basketball sehe ich Riesenpotenzial“, sagt Steinbach. Auch wenn dort das Runde nur gegen das Eckige (Brett) und dann ins Runde (Korb) muss.