Wer sich selbstständig machen will, braucht besondere Talente. Welche, verrät der Ex-Xing-Chef, Stefan Groß-Selbeck

Berlin. Sind wir Deutschen Angsthasen? Im Vergleich zu den meisten anderen Industrieländern hinken wir bei Unternehmensgründungen hinterher. Woran liegt es? Das Abendblatt sprach mit Prof. Stefan Groß-Selbeck, Gastprofessor an der Universität der Künste Berlin und Leiter der Forschungsgruppe „Innovation und Entrepreneurship“. Der Ex-Chef des Hamburger Businessnetzwerkes Xing hält Risikobereitschaft, Gestaltungswillen und Durchsetzungskraft für die entscheidenden Fähigkeiten einer Gründerpersönlichkeit.

Hamburger Abendblatt:

Die Deutschen scheinen ein Volk extremer Angsthasen in Sachen Unternehmensgründung zu sein, wenn man die Zahl neuer Firmen mit anderen Ländern vergleicht.

Ja, wir belegen leider nur Platz 20 unter 24 Industrieländern bei der Zahl der Gründungen. In den Niederlanden oder in Österreich ist die Zahl doppelt so hoch wie bei uns. Obgleich wir zuletzt eine leichte Steigerung bei neuen Firmen beobachten konnten, verharrt Deutschland immer noch auf den letzten Rängen. Das hat auch etwas mit unserer Kultur zu tun.

Inwiefern?

Groß-Selbeck:

Wenn ein junger Mensch eine Firma gründen will, werden seine Eltern vermutlich nicht begeistert sein und sagen, er solle doch etwas „Seriöses“ machen.

Unternehmertum ist unseriös?

Groß-Selbeck

Das wohl nicht, aber Unternehmer genießen hier meist nicht das gleiche Ansehen wie jemand, der in bestehenden Strukturen erfolgreich ist: etwa ein Vorstand, ein Chefarzt oder ein Staatssekretär.

Sie forschen in Berlin am Alexander von Humboldt Institut für Internet und Gesellschaft in Sachen Entrepreneurship und beraten Menschen auf dem Weg der Firmengründung – warum brauchen wir Gründer?

Groß-Selbeck

Gründer schaffen Arbeitsplätze und Wohlstand. Vor zehn Jahren galt Deutschland als Wachstumsbremse in Europa. Eine derartige wirtschaftliche Lage dürfen wir nicht noch einmal riskieren.

Kann man denn Unternehmensgründung studieren?

Groß-Selbeck

Ja, ganz klar. Zumindest die Fähigkeiten, die ich brauche. Ich kann lernen, ein Geschäftsmodell zu entwickeln, die Kunden zu analysieren, vielleicht einen Prototypen zu bauen. Außerdem sollte ich Kenntnisse in Marketing und Buchführung erwerben, bevor ich mich selbstständig mache. Schwieriger ist es da schon mit den Eigenschaften, welche Gründer mitbringen sollten.

Zum Beispiel?

Groß-Selbeck:

Unternehmer müssen eine größere Risikobereitschaft haben als der Rest der Gesellschaft, sie sollten durchsetzungsstark sein und den Willen zur Gestaltung und zur Eigenständigkeit zeigen.

Was hat uns das als Gründerparadies gelobte Kalifornien voraus?

Groß-Selbeck:

Das Silicon Valley bietet eine mehr als 60 Jahre alte Geschichte von technologiegetriebenen Gründungen: Hier wurde der Halbleiter erfunden, entwickelte sich die Chipindustrie und wurde auch an Rüstungsprojekten gearbeitet. Und renommierte Hochschulen wie die Stanford University in der Nähe von Palo Alto fördern die Gründerkultur stärker, als es bei den deutschen Universitäten üblich ist. Heute haben in Kalifornien die innovativsten Internetfirmen wie Google, Facebook und Yahoo ihren Sitz.

Wie wirkt sich dieser Nährboden für Unternehmer aus?

Groß-Selbeck:

Während wir in Berlin 500 Gründungen im Jahr zählen, sind es im Valley 2500 im Jahr. Und beim Kapital, das in die Firmen fließt, wird man bei diesem Vergleich sogar mit dem Faktor Hundert rechnen müssen. Die weltweit größten Venture-Capital-Firmen konzentrieren sich ebenfalls auf das Valley und teilen sich dort sogar einen Parkplatz.

Herrscht hierzulande denn Geldmangel für Gründer, können nur Söhne und Töchter aus wohlhabendem Elternhaus die Selbstständigkeit wagen?

Groß-Selbeck:

Das Geld ist prinzipiell vorhanden. Aber es gibt leider nicht genügend Start-ups, die größere Investitionen rechtfertigen. Wir brauchen noch mehr Gründerpersönlichkeiten.

Welche Nischen sind denn noch zu besetzen, wo liegen die größten Chancen, bald die erste Million verdient zu haben?

Groß-Selbeck:

Eine Menge Fantasie bieten die location based services, also die ortsbezogenen Dienste, die von der Verbreitung der Smartphones profitieren. Der Zugang zu entsprechenden Daten bietet große Möglichkeiten, bestehende Angebot viel effizienter zu machen. In den USA etabliert sich zum Beispiel gerade die Firma Lyft, die eine Art Vermittler für Taxidienste von Privatleuten darstellt. Solche Dienste bieten einen enormen Effizienzgewinn, schließlich fahren die Menschen, um beim Beispiel Lyft zu bleiben, meistens alleine. Eine ähnliche Strategie verfolgen die Apps. Die meisten Gründer schielen dabei allerdings nicht in erster Linie auf das Geld, sondern verfolgen eine Idee.

Dann habe ich aber auch schnell eine Million wieder verloren …

Groß-Selbeck:

Natürlich muss ich ein Geschäftsmodell haben. Die meisten Start-ups verfolgen derzeit die Philosophie der Gründerbibel von Eric Ries, der ebenfalls aus dem Valley kommt. Das Mantra heißt Entwickeln-Testen-Weiterentwickeln. Es handelt sich um einen interaktiven Prozess, der sehr schnell ablaufen muss. Ich entwickle also beispielsweise einen Onlineshop, erprobe diesen mit Testkunden und entwickle ihn dann weiter. Das ist im Internet natürlich einfacher und kostengünstiger, als wenn ich Komponenten für die Raumfahrt herstelle. Aus diesem Grund tummeln sich derzeit auch so viele Start-ups in der digitalen Welt.

Sie haben nach dem Jurastudium, der Promotion und einem MBA in Business Administration bei einer Unternehmensberatung, bei ProSieben und als Deutschland-Chef von Ebay gearbeitet. Zuletzt waren Sie Vorstandschef beim Businessnetzwerk Xing in Hamburg. Warum haben Sie sich nie selbstständig gemacht?

Groß-Selbeck:

Als ich 1996 fertig war mit dem Studium, lag der Trend zum Gründen überhaupt nicht in der Luft. Die Stärken eines Managers stimmen ja nicht immer mit denen eines Gründers überein. Ein Gründer entwickelt eine Idee und trifft täglich Entscheidungen, die das Ende des Unternehmens bedeuten können. In der späteren Phase eines Unternehmens kommt es eher darauf an, viele Mitarbeiter zu führen, Besonnenheit auszustrahlen und Entscheidungen über Leben und Tod der Firma zu vermeiden. Mein Talent liegt wohl eher in diesem Bereich.