Ludwig Görtz über den Einstieg des Investors Afinum bei der Hamburger Schuhkette, die Rolle der Familie und den Ausstieg aus der Tarifbindung

Hamburg. Rote Zahlen, ein rigider Sparkurs, Filialschließungen und ein neuer Teilhaber: Die Hamburger Schuhkette Görtz hat die schwierigste Zeit in ihrer fast 140-jährigen Geschichte hinter sich. Mit dem Einstieg des Münchner Finanzinvestors Afinum bestimmt nun erstmals nicht mehr die Familie allein über die Geschicke des Hamburger Traditionsunternehmens. Im Abendblatt sprechen der Verwaltungsratsvorsitzende Ludwig Görtz und Geschäftsführer Christian Moritz nun exklusiv über die Pläne für die Zukunft.

Hamburger Abendblatt:

Wie schwer ist es Ihnen gefallen, mit Afinum einen Investor ins Boot zu holen und sich so von einem Teil Ihres Lebenswerk zu trennen?

Ludwig Görtz:

Das ist meinen Brüdern und mir durchaus leicht gefallen, denn der Einstieg von Afinum bedeutet für unser Unternehmen eine erhebliche Finanzspritze und steht für die Vorwärtsstrategie, mit der wir Görtz jetzt nach der Sanierungsphase wieder voranbringen wollen. Er zeigt auch, dass wir nicht an überkommenen Strukturen hängen, sondern offen sind für neue Lösungen.

Wie groß ist denn der Einfluss des neuen Teilhabers? Trotz der Minderheitsbeteiligung von 40 Prozent soll sich Afinum die Stimmenmehrheit im Verwaltungsrat gesichert haben, der über die strategische Ausrichtung von Görtz entscheidet.

Görtz:

Das ist nicht richtig. Der Verwaltungsrat setzt sich künftig aus sechs Mitgliedern zusammen, wobei Afinum zwei Vertreter entsendet. Zudem sitzen zwei Arbeitnehmervertreter und der frühere Vorsitzende der Geschäftsführung der Textilkette Takko, Stephan Swinka, in dem Gremium. Die Interessen der Familie werden von mir selbst als Vorsitzendem wahrgenommen.

Ihr Bruder Friedrich ist also aus dem Verwaltungsrat ausgeschieden? Hat es zwischen Ihnen Streit gegeben?

Görtz:

Nein, es gab keinen Streit. Mein Bruder kann als Mitgesellschafter auch weiterhin als Gast an den Sitzungen teilnehmen, wenn er dies wünscht. Die festen Plätze in dem Gremium sind aber nun einmal auf sechs begrenzt. Selbstverständlich wird mein Bruder über den Gesellschafterkreis auch zukünftig seinen Beitrag zur Entwicklung des Unternehmens leisten.

Warum haben Sie sich für Afinum als Teilhaber entschieden? Finanzinvestoren haben nicht den besten Ruf, sind eher auf kurzfristige Profitmaximierung aus.

Görtz:

Die Beteiligungsgesellschaft Afinum ist keine Heuschrecke, sondern ein langfristig orientierter Investor, der in gesunde, mittelständische Unternehmen investiert und uns das nötige Kapital für den Umbau und die Modernisierung von Görtz zur Verfügung stellt.

Vom Schuhhandel haben die neuen Teilhaber aber keine Ahnung.

Görtz:

Der Schuhsachverstand ist bei Afinum sicher nicht so ausgeprägt wie bei uns. Deswegen halten sich die Investoren auch aus dem operativen Geschäft heraus. Das liegt weiter in der Hand der bisherigen Geschäftsführung.

Es hätte Alternativen zum Finanzinvestor gegeben. Die Reno-Muttergesellschaft HR Group beispielsweise oder auch die Hamburger Otto Group.

Görtz:

Reno und Görtz hätten nicht zusammengepasst. Das Unternehmen ist eher discountorientiert, wir sind im Premiumsegment aktiv. Da hätte es kaum Übereinstimmungen oder Synergien gegeben. Insofern war das Interesse von Reno eher einseitig.

Mit Otto hätten Sie sich aber gern verbunden. Warum ist dies gescheitert?

Görtz:

Das lag eher an der Otto Group, nicht an uns. Offenbar gab es im dortigen Vorstand Unstimmigkeiten darüber, inwieweit man sich im stationären Einzelhandel engagieren wollte. Dass kurz nach dem Ende der Gespräche der zuständige Einzelhandelsvorstand von Otto zu einem anderen Unternehmen gewechselt ist, mag damit in Zusammenhang stehen.

Ist die Fusion mit Konkurrenten nun vom Tisch oder gibt es Überlegungen, in einigen Jahren eine Allianz mehrerer mittelständischer Schuhhändler zu bilden?

Görtz:

Das will ich nicht ausschließen. Der Markt konsolidiert sich weiter, vor diesem Hintergrund machen Kooperationen und auch Zusammenschlüsse Sinn. Aber es wird auch hier darum gehen, dass die Partner zusammenpassen und sich auf Augenhöhe begegnen.

Wie wollen Sie Görtz voranbringen und gegen die Onlinekonkurrenz wappnen?

Christian Moritz:

Es ist nicht unser Ziel, gegen Amazon oder Zalando zu agieren. Die Basis unseres Geschäftsmodells ist unser nationales Filialnetz, das wir noch enger mit unserem erfolgreichen Onlinekanal verzahnen wollen. Die Kunden möchten im Internet nicht nur direkt Schuhe kaufen, sondern auch schauen, ob diese in einer bestimmten Filiale verfügbar sind und dort anprobiert werden können. Auch das flexible Retournieren von Schuhen über die Kanäle hinweg soll möglich sein.

Wie viel Geld müssen Sie in die Modernisierung der Filialen stecken?

Moritz:

Wir reden hier von mehreren Millionen Euro, um uns im internationalen Wettbewerb auf Topniveau aufzustellen, eine genaue Summe möchte ich aber nicht nennen. Wir brauchen sowohl eine neue IT-Infrastruktur als auch Veränderungen im Ladenbau und in der Präsentation der Waren. Mit dem einfachen Austausch des Bodenbelags ist es sicher nicht getan.

Haben Sie Ihr Sorgenkind, die modische Linie Görtz 17, in den Griff bekommen?

Moritz:

Ja, hier haben wir eine Teilung der heute noch etwa 75 Filialen vorgenommen. Etwa die Hälfte wird noch konsequenter als bisher auf hochwertige, modische Ware ausgerichtet, die andere Hälfte in Geschäfte mit normalem Görtz-Sortiment umgewandelt.

Wird es nach dem massiven Schrumpfkurs wieder Neueröffnungen geben?

Moritz:

Ja, wir haben gerade erst in Lübeck und Würzburg neue, große Filialen eröffnet, die sich zu unserer Freude sehr gut entwickeln. Es gibt aber keine aggressive Expansionsstrategie, der Fokus liegt eindeutig darauf, die bestehenden Häuser profitabler zu machen.

Das Filialnetz ist durch Schließungen in Deutschland und den Verkauf der Schweizer Tochter Pasito-Fricker von 240 auf gut 170 Geschäfte geschrumpft. Ist der Prozess jetzt abgeschlossen?

Moritz:

Es stehen eventuell noch zwei bis drei Schließungen von kleineren Filialen in diesem Jahr an, aber dann sind wir mit diesen Maßnahmen durch. Die Zahl unserer Mitarbeiter, die derzeit bei 3200 liegt, soll konstant bleiben und bei Neueröffnungen sogar wieder steigen.

Wie steht Görtz wirtschaftlich jetzt da?

Moritz:

Operativ sind wir schon im vergangenen Jahr wieder in die schwarzen Zahlen zurückgekehrt. Es geht wieder aufwärts. 2014 wollen wir dies auch beim Gesamtergebnis des Unternehmens schaffen. Die ersten Monate dieses Jahres stimmen uns ausgesprochen zuversichtlich. Beim Umsatz haben wir auf vergleichbarer Fläche in den ersten 17 Wochen im zweistelligen Prozentbereich zugelegt und gehören damit zu den am stärksten wachsenden Unternehmen der Branche. Für das Gesamtjahr rechnen wir mit einem Umsatzplus von fünf Prozent.

Das gilt aber nur, wenn man den Verkauf des wenig erfolgreichen Schweiz-Geschäftes herausrechnet.

Moritz:

Richtig, in absoluten Zahlen haben wir im vergangenen Jahr einen Umsatz von 365 Millionen Euro erzielt. Rechnet man die Erlöse aus der Schweiz ab, bleiben etwa 320 Millionen Euro. Im Vergleich zu dieser Summe werden wir etwa um fünf Prozent zulegen. Der Turnaround in Deutschland und Österreich ist damit geschafft.

Görtz:

Im Übrigen haben wir mit Jahresende 2013 alle kurzfristigen Verbindlichkeiten an die Banken zurückgezahlt, und zwar aus eigener Kraft. Wir blicken wieder nach vorne und können in Wachstum investieren.

Die Mitarbeiter haben durch Lohnverzicht erheblich zur Sanierung beigetragen. Der Betriebsrat spricht von einem Einsparvolumen von zwölf Millionen Euro. Werden Sie den Beschäftigten nun wieder normale Gehälter zahlen?

Görtz:

Die Summe, die Sie nennen, kann ich nicht nachvollziehen, ich weiß nicht, woher die stammt.

Aber Sie haben doch die tariflich vereinbarten Lohnerhöhungen im Einzelhandel zuletzt nicht mehr an die Beschäftigten weitergegeben.

Moritz:

Es ist richtig, dass wir mit dem Betriebsrat vereinbart haben, bestimmte, erfolgabhängige Tantiemen nicht zu zahlen. Auch die tariflich vereinbarten Gehaltserhöhungen sind nicht für die gesamte Belegschaft in vollem Umfang umgesetzt worden.

Gilt dies jetzt dauerhaft oder befristet?

Moritz:

Wir hoffen, künftig auf diese Maßnahmen verzichten zu können, das hängt aber vom weiteren unternehmerischen Erfolg von Görtz ab.

Stimmt es, dass Ihr Unternehmen aus der Tarifgemeinschaft des Hamburger Einzelhandelsverbands ausgetreten ist?

Görtz:

Das ist richtig, hat aber nichts mit den jüngsten Sparmaßnahmen zu tun. Vielmehr gibt es nur noch wenige Einzelhändler in der Hansestadt, die noch tarifgebunden sind. Wir waren da ziemlich allein auf weiter Flur und hielten es daher für sinnvoller, einen eigenen Haustarifvertrag auszuhandeln.

Haben Sie selbst nicht eine besondere Verantwortung dafür, die Tarifeinheit in Hamburg zu unterstützen? Immerhin waren Sie lange Zeit der Präsident des Einzelhandelsverbands. Wenn alle die Tarifbindung verlassen drohen doch Wildwuchs und Dumpinglöhne.

Görtz:

Das glaube ich nicht, denn alle Einzelhändler sind mehr denn je auf Fachkräfte angewiesen. Nur wer gut bezahlt, bekommt auch die besten Leute.

Herr Görtz, Sie sind jetzt 79 Jahre alt. Wie lange werden Sie noch selbst an der Spitze des Verwaltungsrats stehen?

Görtz:

Ich werde dieses Amt noch eine Weile, sicher aber nicht mehr langfristig innehaben. Ich klebe nicht an meinem Stuhl. Eine Übergabe des Verwaltungsratsvorsitzes an Familienmitglieder ist aber nicht geplant. Stattdessen wird ein familienfremder, aber erfahrener Manager diesen Posten übernehmen. Das ist für das Unternehmen das Beste.

Warum denn nicht Ihre Kinder? Wollen oder können sie das Amt nicht ausfüllen?

Görtz:

Es werden erfahrene Kaufleute von außen in dem Gremium nachrücken.