Hamburger Schiffsausrüster muss sich nach Übernahme durch den schwedischen Konzern SKF umbenennen. Während Eigner und Namen wechselten und wechseln, entwickelte das Unternehmen eine erstaunliche Kontinuität. 420 Mitarbeiter erwirtschaften hier 97 Millionen Euro.

Hamburg. An einer Stirnwand in der Fertigungshalle von Blohm+Voss Industries hängt ein Transparent, gut 15 Meter breit und fünf Meter hoch, mit einem kunstvollen Graffiti darauf. Goldgelbe Pfeile umfassen eine Weltkugel und zeigen, wo überall auf den Meeren und in den Häfen Schiffe mit Stevenrohrabdichtungen der Marke Simplex unterwegs sind. Eine Flagge mit dem Markensignet steckt da, wo die Pfeile beginnen – in Hamburg, dem Sitz von Blohm+Voss Industries.

Blohm + Voss Industries baut eine vierte Sparte für Schiffskomponenten auf

Im Jahr 2010 war die große, bunte Illustration als interne Eigenwerbung angefertigt worden – zweimal nacheinander. „In der ersten Fassung fehlte die Arabische Halbinsel“, sagt Martin Johannsmann, 50, Co-Geschäftsführer von Blohm+Voss Industries. „Das gefiel den Vertretern von Abu Dhabi Mar nicht, die Blohm+Voss seinerzeit übernehmen wollten.“ Das Graffiti musste noch einmal neu produziert werden, für 5000 Euro, mit Arabischer Halbinsel darauf. „Die Investition hat sich nicht gelohnt“, sagt Johannsmann. Die Verkaufsverhandlungen zwischen ThyssenKrupp und Abu Dhabi Mar scheiterten 2011. Stattdessen wurde Hamburgs letzte Großwerft Blohm+Voss Anfang 2012 an den britischen Finanzinvestor Star Capital Partners verkauft. Der wiederum reichte den Unternehmensteil Blohm+Voss Industries Anfang 2013 an den schwedischen Konzern SKF weiter. „Wir sind sehr froh, dass die Zentrale unseres Mutterkonzerns heute in Schweden sitzt“, sagt Johannsmann. Auch auf dem großen Simplex-Transparent ist Skandinavien gut zu sehen.

Der Schiffsausrüster Blohm+Voss Industries (BVI) hat eine wechselvolle Geschichte hinter sich, die 1918 mit der Gründung der Deutschen Werft in Hamburg begann, die später zu Blohm+Voss führte und zu Beginn des vergangenen Jahres schließlich zu SKF. Im Februar 2016 wird der Namensteil Blohm+Voss entfallen, denn die Rechte darauf liegen weiterhin bei der Hamburger Traditionswerft auf dem Grundstück nebenan. „Dann wird SKF sicher den zentralen Bestandteil unseres Namens bilden“, sagt Johannsmann.

Während Eigner und Namen wechselten und wechseln, entwickelte das Unternehmen selbst über Jahrzehnte eine erstaunliche Kontinuität – immer aufwärts an den Schifffahrtsmärkten der Welt. Zum 1. April gründete BVI einen neuen, vierten Geschäftsbereich, dessen Inhalt zunächst streng geheim bleibt. Die neue Sparte soll die drei bisherigen Produktbereiche im Unternehmen ergänzen, die Fertigung von Wellenkomponenten, Stabilisatoren und Entölern. Für den neuen Bereich werden derzeit Technologien, die BVI neu erworben hat, verifiziert und patentrechtlich geschützt. Es dreht sich auch bei diesem neuen Geschäftsfeld um Zubehör für Schiffe, so viel verrät BVI. Womöglich könne die Sparte schon zur international wichtigsten Schiffbaumesse SMM im September in Hamburg präsentiert werden, heißt es. Wenn es laufe wie erhofft, werde man „eine signifikante Zahl neuer Mitarbeiter einstellen“, sagt Johannsmann.

Mit seinen drei Produktgruppen ist BVI weltweit in der Schifffahrt vertreten. 420 Mitarbeiter, davon 340 in Hamburg, erwirtschafteten im Geschäftsjahr 2012/2013 97Millionen Euro Umsatz. Die Sparte Wellenkomponenten sorgt mit Gleit- und Schublagern, Stevenrohrsystemen und Stevenrohrabdichtungen dafür, dass Schiffswellen enorme Laufleistungen sicher bewältigen, dass keine Schmierstoffe ins Meer gelangen und kein Seewasser in die Wellenanlagen. Stabilisatoren – feste und klappbare Seitenflügel – aller Größen lassen Schiffe ruhiger laufen, vom Kreuzfahrtschiff bis zum Patrouillenboot. Entöler schließlich braucht man auf Schiffen, um Öle, Fette und andere Schadstoffe bis auf das gesetzlich vorgeschriebene Minimum hin abzufiltern, bevor Kühl- oder Bilgenwasser wieder außenbords gepumpt wird.

In den Hochregallagern liegen stählerne Rohlinge für Stevenrohrabdichtungen im Wert von Millionen Euro. Braucht eine Reederei ein Ersatzteil, wird es innerhalb von 48 Stunden in den entsprechenden Endabmessungen ausgefertigt und an jeden gängigen Hafen international geliefert. Bei Bedarf sind BVI-Techniker für den Einbau des Ersatzteils mit dabei. Rund 60.000 Wellendichtungen der Marke Simplex in gut 2000 verschiedenen Varianten für alle denkbaren Schiffstypen sind derzeit weltweit im Einsatz. Damit hält das Unternehmen einen Weltmarktanteil von etwa einem Drittel.

Die zahlreichen Wellenkomponenten von BVI sind Maßanfertigungen, entsprechend flexibel werden die Anlagen in der Fabrikhalle jeweils ausgelegt. „Jeder Mitarbeiter muss mindestens drei Maschinen bedienen können“, sagt Johannsmann. Die Fertigung der Stabilisatoren ist ebenfalls ein individuelles Geschäft für jeden einzelnen Schiffstyp. Das gilt auch für die Entölersysteme. Die starke Spezialisierung hat BVI während der zurückliegenden Krise der internationalen Schifffahrt sehr geholfen. Seit 2009 schon leiden etliche Reedereien unter Überkapazitäten und Preisverfall. „Mehr als 50 Prozent unseres Geschäfts macht der Service für unsere Produkte aus“, sagt Johannsmann. „Bei der Fertigung wiederum sind wir völlig flexibel von der 35-Stunden-Woche für alle bis hin zu zwei Zehn-Stunden-Schichten an einem Werktag. So sind wir ohne Schrammen durch die Krise gekommen – ohne Kurzarbeit, und ohne auch nur unsere Arbeitszeitstundenkonten anzugreifen.“

BVI betreibt stabile Geschäfte, das änderte sich auch nach der Übernahme durch die SKF-Gruppe nicht, im Gegenteil. SKF ist ein weltweit führender Anbieter von Dicht-, Schmier- und Lagersystemen, mit 48.400 Mitarbeitern in rund 140 Ländern und einem Umsatz von gut 7,5 Milliarden Euro im vergangenen Jahr. Der Konzern stellt unter anderem sogenannte Wälzlager her, zum Beispiel Kugel- oder Nadellager, die auf den Einsatz bei unterschiedlichen Drehzahlen und Belastungszuständen hin optimiert sind, etwa für den Automobilbau. BVI wiederum fertigt Gleitlager, die in der Regel bei konstanter Drehzahl arbeiten, aber zugleich Vibrationen ausgleichen müssen wie etwa bei Antriebswellen auf Schiffen.

Aus Sicht der Unternehmen ergänzen sich die Produkte und das Wissen von SKF und BVI ideal. Das neue Hamburger Tochterunternehmen verschafft SKF einen deutlich besseren Zugang in die maritime Wirtschaft. Zugleich entstehen gemeinsame Stärken etwa am Markt für erneuerbare Energien. „Wir haben kürzlich Wälzlager von SKF aufgearbeitet, die auf Windturbinen eingesetzt werden, Bauteile, die jeweils 30 Tonnen wiegen und mehr als vier Meter lang sind“, nennt Johannsmann ein Beispiel. „SKF fertigt solche Lager in Großserien, der Konzern ist aber nicht darauf optimiert, sie auch zu warten. Mit unseren Maschinen und der logistischen Anbindung direkt an der Hafenkante geht das ausgezeichnet.“

Gezeitenkraftwerke auf den Meeren gelten als lukrativer Zukunftsmarkt

Auch die gemeinsame Entwicklung von langzeittauglichen Lagern für Wellen- und Gezeitenkraftwerke sei ein Thema zwischen Mutter- und Tochterunternehmen. Solche Anlagen nutzen die Bewegungen des Meeres, um Energie zu erzeugen. „Bislang gibt es nur Prototypen von Tidenturbinen, die unter Wasser Strom aus den Gezeiten gewinnen“, sagt Johannsmann. „Dieser Markt steht heute da, wo die Windkraft vor 30 Jahren war, und er gilt als ein sehr zukunftsträchtiges Geschäft. Wir haben die Lager, Laufsysteme und Abdichtungen, die man für den Bau solcher Anlagen braucht. Und vor allem die Expertise dafür, wie beim Betrieb eines Großgerätes im Wasser kein Öl oder Fett da hineingerät.“