Balsamico-Essig statt Rotkohl. Wie Stefan Leitz den Hamburger Gurkenhersteller verändert. Und warum er lieber dort als im Großkonzern arbeitet

Hamburg. Stefan Leitz war mal ein einflussreicher Mann in der deutschen Lebensmittelindustrie. Als Vertriebschef von Unilever Deutschland war er verantwortlich für milliardenschwere Marken wie Knorr, Dove oder Langnese. Wenn Leitz die Chefs großer Supermarktketten sprechen wollte, brauchte er nur kurz mal in deren Vorzimmern durch zu klingeln und schon standen die Manager für ein Gespräch zur Verfügung. Immerhin wartete ein Repräsentant des drittgrößten Konsumgüterkonzerns der Welt in der Leitung.

Solch einen kurzen Draht zu den Handelskonzernen hat Leitz mittlerweile nicht mehr. Der Zugang zu den Großen der Branche ist schwieriger geworden, seit der 50-Jährige seinen gut dotierten Posten bei Unilever vor fast einem Jahr kündigte und als Chef zum Mittelständler Carl Kühne in Bahrenfeld wechselte. Der Hersteller kommt gerade mal auf einem Jahresumsatz von gut 300 Millionen Euro. Kernprodukte sind Essig, Gurken, Dressings und Kraut. Bei Rotkohl ist man Platzhirsch in Deutschland. Es gibt Produkte, die mehr im Trend liegen.

Die beiden Zentralen von Unilever und Kühne liegen Luftlinie nur einige Kilometer auseinander und sind doch Welten voneinander entfernt. Hier die moderne, luftige Architektur mit Café, eigenem Markenshop und direktem Wasseranschluss, dort der gedrungene Backsteinbau aus den zwanziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts.

Wenn Leitz in Bahrenfeld aus dem Konferenzraum blickt, dann fällt sein Blick auf die meist verstopfte Stresemannstraße und auf Wohnblocks, die dort in die Höhe gewachsen sind, wo früher mal die Hamburger Fabrik von Kühne stand. Nach einem Brand in den 1990er-Jahren ist sie längst weg, Kühne produziert heute überwiegend im Osten und Süden der Republik. Essig in Hagenow, Dressings in Berlin, Rotkohl in Schweinfurt. In der Zentrale, die ein wenig einsam und irgendwie übrig geblieben an den Kühnehöfen steht, arbeiten heute noch 150 Mitarbeiter, weltweit sind es immerhin 1500.

Oberflächlich betrachtet könnte man also den Wechsel von Stefan Leitz zu Kühne für einen Abstieg halten. Doch der Mann mit dem jungenhaften Lächeln und dem zupackenden Händedruck wirkt absolut nicht so, als würde er dies so empfinden. „Ich habe es nicht für eine Sekunde bereut, zu Kühne gegangen zu sein“, sagt der Vorsitzende der Geschäftsführung. „Es fühlt sich ganz anders an als in einem Konzern. Hier empfinde ich mich viel mehr als Unternehmer, der praktisch für alle Bereiche verantwortlich ist.“ Und dann wählt der bekennende Mercedes-Fan einen Vergleich aus der Automobilindustrie: „Es ist doch viel schöner, ein ganzes Auto gestalten zu können als nur den Rückspiegel.“

Während bei Unilever Deutschland die Spielräume immer enger wurden und alle wichtigen Entscheidungen mittlerweile in den Konzernzentralen in London oder Rotterdam fallen, muss sich Leitz bei Kühne lediglich mit den Eigentümern des Familienunternehmens abstimmen. Man versteht sich. „Bei uns menschelt es mehr“, sagt Leitz.

„In meinem ersten Jahr habe ich eine steile Lernkurve hinter mir“, erzählt der Chef. Er ist viel gereist, hat sich die Produktionsstätten angesehen, sich aber auch von Gurkenbauern erläutern lassen, wie viel Aufmerksam und Pflege die empfindlichen Früchte brauchen.

„Was ich am Anfang vielleicht unterschätzt habe, ist die Komplexität“, meint der Chef selbstkritisch. Kühne, das ist nicht nur der Essig- und Gurkenproduzent mit dem bekannten, grün-gelben Ritterlogo, sondern auch ein wichtiger Lieferant der Systemgastronomie. Burger King oder Subway bekommen nicht nur ihre Gurken von Kühne, sondern auch Würzsaucen, Senf oder Mayonnaise.

Seine Hauptaufgabe bei Kühne sieht der neue Chef darin, die Produktpalette zu modernisieren. Keine leichte Aufgabe in einem Traditionsunternehmen, dessen Wurzeln fast 300 Jahre zurückreichen und das noch immer stolz ist auf einen 1905 entwickelten Kräuteressig namens Surol. Der Name entstand, indem jeder zweite Buchstabe aus dem Wort „Sauerkohl“ gestrichen wurde.

Sauerkrautesser gibt es in Deutschland zwar noch, sie sterben aber langsam aus. Bei Rotkohl ist der durchschnittliche Kunde 55 Jahre oder älter. „Wir müssen die Marke Kühne verjüngen“, sagt Leitz. „Zukunft haben etwa Produkte wie Balsamico-Essig, aber auch unsere Grillsaucen und Salatdressings, die hohe Wachstumsraten aufweisen.“ Grillsaucen heißen bei Kühne jetzt auch schon mal Brandstifter oder Unschuldsengel und nicht mehr nur Zigeuner- oder Currysauce. Leitz will das Marketing aufs Internet und Facebook ausweiten. In seinem Büro hängt ein übergroßes Logo der Firma, das Auszubildende aus allen Abteilungen mit bunten Kästchen ausgemalt haben. Das soll zu einem neuen Gemeinschaftsgefühl beitragen. Zumindest ist es schon mal ein Anfang.

„Künftig könnten wir auch neue Premiummarken etwa bei Gurken oder Balsamico-Essig entwickeln“, sagt Leitz. „Die Marke Kühne ist eher im mittleren Preissegment angesiedelt, für das gehobene Segment brauchen wir möglicherweise einen zusätzlichen Namen.“

Große Wachstumschancen sieht Leitz für Kühne auch im Ausland. Etwa 40 Prozent des Umsatzes werden schon heute außerhalb Deutschlands erzielt. „Wir werden uns künftig auf viel versprechende Märkte wie Russland, China und USA konzentrieren“, kündigt Leitz an. In der Nähe von Moskau werde Kühne in den kommenden zwei bis drei Jahren mit dem Bau eines eigenen Werks beginnen, in dem vor allem Senf und Meerrettich für den osteuropäischen Markt hergestellt werden solle. Durch die Produktion direkt in Russland wollen die Hamburger das Problem der hohen Einfuhrzölle in dem Riesenreich umgehen und so für höhere Margen sorgen.

Erstaunlich gut verkaufen sich Kühne-Produkte auch in China. „Die Chinesen sind ganz verrückt nach Kühne-Gurken“, sagt Leitz. Westliche Produkte gelten in der dortigen Oberschicht noch immer als prestigeträchtig. Vor diesem Hintergrund hatten die Hamburger überlegt, auch in der Volksrepublik wie in Russland ein eigenes Werk zu eröffnen.

„Wir können aber nur eine solche Investition zurzeit in Angriff nehmen und haben das Projekt in China daher erst einmal auf Eis gelegt“, sagt Leitz. Ausgebaut werden sollen aber die Marketingaktivitäten im Reich der Mitte.

Erste Erfolge der neuen Strategie sind bei Kühne mittlerweile schon sichtbar. „Im laufenden Geschäftsjahr liegen wir beim Umsatz bislang etwa fünf Prozent über dem Vorjahreszeitraum“, sagt Leitz. „Ich gehe davon aus, dass wir auch im Gesamtjahr in gleicher Höhe zulegen können.“ Das Geschäftsjahr endet beim Gurkenhersteller immer Ende Juni.