Handgemachtes für die Füße ist in Hamburg angesagt. Selbst Preise von 2000 Euro pro Paar schrecken viele Kunden nicht ab. Qualität statt Massenware ist gefragt

Hamburg. Ein feiner Hauch von Leder liegt in der Luft, Dutzende Holzleisten für Schuhe hängen an der Decke und zieren die Regale im Eingangsbereich der Maßschuhwerkstatt von Laila Olbrich. Musik läuft – und man hört ein leises Hämmern. Die Schuhmacherin sitzt an ihrer Werkbank und bereitet ein Paar handgemachte Schuhe zum Rahmennähen vor. Maßschuhe – das ist die Leidenschaft der Frau aus Wuppertal, die vor rund zehn Jahren ihren ersten Laden in Hamburg eröffnet hat. In einem Hinterhof in der Lilienstraße fertigt sie, wie auch eine Handvoll anderer Spezialisten in der Hansestadt, rahmengenähte Schuhe, die perfekt sitzen und bei pfleglichem Umgang über viele Jahre getragen werden können. „Rahmengenäht sowie handgemacht, das sind leider keine geschützten Begriffe“, sagt sie. „Mit solchen Termini werden angeblich hochwertige Schuhe beworben, doch kaum ein Mensch weiß, was zum Beispiel rahmengenäht wirklich bedeutet und welche großen Unterschiede es bei der Herstellung von Schuhen gibt.“

Der traditionelle Schuhhandel stagniert derweil. Auch Hamburg ist betroffen. Seit Monaten schon kämpft die Kette Görtz um ihre Existenz. Auch andere Betriebe der Branche sind von sinkenden Umsätzen betroffen, seit Internetfirmen wie Zalando online günstiges Schuhwerk anbieten. Meist bestellen die Kunden drei bis vier Paar auf einmal, denn sie können die Schuhe auch nur anprobieren und danach zurückschicken. Die Versandgebühr entfällt bei diesen Firmen. Während klassische Schuhhändler unter dieser Konkurrenz leiden, finden die Maßschuhmacher immer mehr Kunden. Probleme an den Füßen und die Vorliebe für Meisterqualität sorgen dafür, dass dieses Handwerk einen Aufschwung erlebt.

Gut eine Woche lang näht Laila Olbrich an einem Paar Schuhe

Die Fertigung von Maßschuhen beansprucht viel Zeit. Als Erstes wird die Brandsohle, die direkt unter dem Leisten liegt, mit drei Nägeln befestigt. Das Leder hierfür, sogenanntes Bodenleder, bestellt Olbrich in Deutschland bei zwei verschiedenen Firmen, die ebenfalls nach alter Tradition arbeiten und die Lederhäute in großen Gruben rein pflanzlich in Eichenlohe gerben. „Das Bodenleder für industriell gefertigte Schuhe wird heutzutage leider fast ausschließlich synthetisch gegerbt, das geht schneller und ist billiger“, sagt sie. Mit einer Ahle wird als nächstes die Einstechbahn der Brandsohle vorgestochen, dann kann der Schaft – das Gehäuse des Schuhs – aufgezwickt werden. Das heißt, er wird über den Leisten gezogen und mit vielen kleinen Nägeln auf der Unterseite des Leistens an der Brandsohle befestigt. Nun kommt der Rahmen, ein schmaler Streifen aus kräftigem Leder, welches Olbrich vorher in Wasser eingeweicht hat, damit man ihn leichter mit zwei Nadeln, einem Pechfaden und der Ahle annähen kann. Stich für Stich werden die Nägel entfernt und die entscheidenden Teile des Schuhs hierdurch „für immer und ewig verbunden“, so die Meisterin. „Das ist die alte Tradition unseres Gewerks, und man kann es nicht vergleichen mit der maschinellen Rahmennaht, die sich nach einiger Zeit lösen kann, da die Einstechbahn hier nur durch ein Stoffband an der Brandsohle verklebt ist“, sagt sie.

Gut eine Woche lang arbeitet Olbrich an einem Paar Schuhe. Das hat seinen Preis. 1800 Euro kostet ein Paar im Schnitt. Bei einer Erstanfertigung muss der Kunde jedoch einige Monate lang warten, da vor dem eigentlichen Schuhbau erst einmal der Leisten auf Maß gebracht werden muss. Die Rohleisten bestellt sie in Süddeutschland, wohin sie die Trittspur schickt, das ist ein Blatt Papier, auf dem der genaue Fußabdruck mit den dazugehörigen Maßen eingezeichnet sind. Anhand dieses Musters werden die Leisten geschliffen und bearbeitet. Danach baut Olbrich Probeschuhe. Der Kunde kommt zur Kontrolle. Alle Leisten bewahrt sie auf, sodass beim nächsten Auftrag die Wartezeit kürzer ist.

Je nach Wunsch des Kunden (Leder aus Straußenbein, Applikationen) können die Kosten noch weiter steigen. Am liebsten arbeitet Olbrich mit Oberledern aus feinem Kalbsleder und stabilem Rindsleder, und gerne hat sie farbiges Leder, wie man an ihren selbst gefertigten roten Stiefeletten sieht. „Die meisten männlichen Kunden wählen die Farbe Schwarz, weil man sie zu allem tragen kann“, sagt Olbrich. Die Wünsche sind zum Teil ausgefallen. „Einmal bestellte ein Kunde weinrote Schuhe. Ich hatte gerade das Leder bestellt, als er nochmals kam und plötzlich grüne wollte. Er sagte, er habe davon geträumt.“ Natürlich bekam er die gewünschte Farbe.

Neben zahlreichen Geschäftsleuten und der hanseatischen Damenwelt kommen auch einige Männer, die gerne in Damenschuhen oder -stiefeln unterwegs sind, in ihre Werkstatt. Denn der Männerfuß passt meist nicht in die handelsüblichen Damenschuhe. Frauen suchen sich oft besondere Modelle in den unterschiedlichsten Farbtönen aus. Mit den Oberledern, den Schaftmodellen und den fertigen Leisten geht Olbrich zu dem Hamburger Spezialbetrieb von Stephen Owusu. Er ist Schäftemacher.

Zusätzlich bietet Olbrich maßgefertigte Schuhe einer belgischen Manufaktur für 400 Euro pro Paar an. Dafür stehen nochmals gut 100 schwarze Schuhe in einem Regal, die eigens zum Anprobieren sind. „Das sind meine Schlupfgrößen, in diesem System gibt es für jede volle und halbe Größe zusätzlich drei Weiten. Die passenden Schuhe kann man in unterschiedlichen Größen oder Weiten bestellen.“ Nach dem Ausmessen wird der Auftrag nach Belgien versandt. Auch Reparaturen führt sie durch. „Aber nur an hochwertigen Schuhen.“

Viele Kunden kommen auch wegen kleiner orthopädischer Probleme, einem ungleichen Spann der Füße oder außergewöhnlicher Maße. Für einen mehr als zwei Meter großen Mann hat Olbrich gerade ein Paar Maßschuhe angefertigt. Sehr stabil gebaut, mit dickem Boden, damit er sie nicht in einem oder zwei Jahren durchgetreten hat. „Solche Schuhe brauchen etwas länger, bis sie richtig eingelaufen sind – doch es lohnt sich“, sagt sie. Auch Thomas Keil in der Keplerstraße ist ein Meister seines Fachs, genauso wie die Firma Strade aus Harburg und andere Unternehmen, die orthopädische Schuhe herstellen. Allein im Hamburger Telefonbuch stehen 35 Adressen aus diesem orthopädischen Gewerbe.

Ende des 18. Jahrhunderts entstanden die ersten industriellen Schuhfabriken

Einer der bekanntesten Schuhmacher Deutschlands ist Benjamin Klemann mit seinen Klemann Shoes. Von 2300 Euro an können weibliche und männliche Kunden dort Maßschuhe erwerben. Echte Klemanns erkennt man an dem kleinen ins Leder geprägten Kleeblatt. Kunden aus 19 Ländern der Welt kommen zu ihm in die Poolstraße, wo seine vierköpfige Familie und vier Mitarbeiter seit 2007 werkeln.

Früher konnte man Schuhe nur in den Manufakturen der Schuhmeister erwerben. Erst Ende des 18. Jahrhunderts entstanden die ersten industriellen Fabriken, die Kleinbetriebe wurden nach und nach verdrängt. Sie mussten sich vor allem auf das Reparieren der meist im Ausland produzierten Schuhe konzentrieren. Die Zunft der Schuhmacher verlor ihre Mitglieder. Das geschieht auch heute in Hamburg, wo die Zahl der Handwerker von 2003 bis heute um 20 auf 84 Betriebe zurückging. Gleichzeitig erwachte bei den gut situierten Hanseaten das Interesse der Verbraucher an Maßschuhen.

Die bekannte Marke Oliver Grey residiert in der Steinstraße. Auch der Namensgeber Oliver E. Wassermann entwirft und fertigt rahmengenähte Schuhe, die in Ungarn nach Plänen aus der Hansestadt hergestellt werden. Kunden werden zuvor allerdings nicht extra vermessen. Es handelt sich bei Oliver Grey eher um gängige Schuhgrößen. „Unsere Kontrolle und die Endabnahme direkt in unseren Manufakturen ermöglichen hohe Fertigungsqualität“, sagt ein Mitarbeiter. Die Preise beginnen bei knapp 300 Euro pro Paar.

Die Auswahl an Maßschuhen in der Hansestadt ist vergleichsweise groß. Yalcin Dayar und sein Bruder Serkan von der Firma Der Maßschuh sind Schuhmacher in der dritten Generation. 1996 kam Yalcin Dayar aus der Türkei nach Deutschland. „Der Liebe zu einer Deutschtürkin wegen“, sagt Dayar. „Schon mein Großvater hatte einen Schuhmacherladen in Istanbul.“ Sein Vater hat diesen zur Manufaktur ausgebaut und acht Mitarbeiter beschäftigt. In Hamburg lernte Dayar schnell Deutsch. Mit Sprachkassetten im Walkman lief er durch die Stadt und lernte, wann immer er konnte. Als er die Sprache beherrschte, war es kaum ein Problem, Arbeit zu finden. „Zunächst hatte ich Aushilfsjobs. Dann stieg ich bei einem Schuhmacherunternehmen ein, zog bald an den deutschen Kollegen vorbei und wurde Filialleiter.“

Seit 2002 hat er seine Firma Der Maßschuh. Nachdem die erste Filiale am Eppendorfer Weg gut lief, eröffnete er die zweite Niederlassung in Winterhude in der Dorotheenstraße. Auch hier gibt es Hunderte von Probierschuhen und Leisten. „Wenn ein Besucher zu mir in den Laden kommt, erkenne ich meist auf den ersten Blick, welchen Leisten er benötigt“, sagt Dayar.

Für einen Kunden mit ungleichen Fußlängen hat er gerade Schuhe für 600 Euro in seinem Geschäft hergestellt. Mit seinem Bruder Serkan arbeitet er Hand in Hand. Der Bruder ist für die Schäfte zuständig. Die Schuhe oder Stiefel werden in Hamburg von den beiden Geschwistern produziert, wie Dayar versichert, der zwei Schuster und eine Auszubildende beschäftigt. „Falsche Schuhe machen krank“, sagt er. Der Kunde kann zwischen Dutzenden von Ledermustern wählen. „Pferdeleder ist das teuerste aus meinem Sortiment“, sagt Dayar und zeigt ein Stück, das höchstens für zwei Halbschuhe reicht. „Allein dieses Stück kostet mich im Einkauf 400 Euro“, sagt er. Maßschuhe gibt es in vielen unterschiedlichen Preisklassen. Der Unternehmer verkauft ab 279 Euro auch Damenschuhe in gängigen Größen, die er und sein Bruder selbst hergestellt haben. Zudem lässt er in Italien Schuhe fertigen, die er in Hamburg verkauft. „Wir sind während der Produktion vor Ort und beaufsichtigen sie“, sagt er. Am liebsten ist er aber in einem seiner beiden Läden in Hamburg und bedient hier die Kunden.