Bündnis feiert Sieg bei Wahlen zur Handelskammer in der Schanze. Strukturen für kleine Firmen sollen besser werden

Hamburg. Schon der Ort der Feier liegt weit ab der traditionellen Wertvorstellungen, die sonst im Prachtbau der Handelskammer am Börsenplatz herrschen. Schulterblatt 73, ein Musikclub mitten in der Schanze gleich neben der umstrittenen Roten Flora. Bei Bier und Sekt feiern rund 50 Hamburger Unternehmer einen phänomenalen Wahlsieg.

Das Bündnis „Die Kammer sind Wir!“ hat bei den Wahlen zum Plenum der Handelskammer abgeräumt. Es stellt mehr als 20 Prozent der gewählten 56 Mitglieder und ist damit stark genug, eigene Schwerpunkte zu setzen. Was die Hamburger Unternehmer, die eher kleine Betriebe führen, darunter verstehen, daran lassen sie an diesem Abend im Schanzenviertel keinen Zweifel: Sie wollen die eingefahrenen Strukturen der Handelskammer aufbrechen und ihr Selbstverständnis reformieren.

In kleinen Grüppchen stehen sie zusammen. Das Alter mehrheitlich zwischen 30 und 40. Sie sind überwiegend selbstständig und haben künftig alle einen ehrenamtlichen Nebenjob. Sie werden im Plenum der Handelskammer deren Arbeit und politische Ausrichtung mitbestimmen.

Noch sind die Gewählten weitgehend unbekannt. Ihrer Zustimmung bei den rund 166.000 wahlberechtigten Mitgliedern der Handelskammer tat das offenbar keinen Abbruch. „Diese Wahlen haben gezeigt, dass wenige Bürger viel verändern können, wenn sie sich nur engagieren“, sagt Gregor Hackmack, Kämpfer im Verein „Mehr Demokratie“ und Betreiber der Internet-Plattform Parlamentwatch. Ihm gelingt der Sprung ins Plenum für die Branche Dienstleistungen. Jetzt holt er sich erst einmal etwas zu trinken.

André Mücke, Inhaber einer kleinen Marketingagentur, kommt gar mit eigenem Fanclub: Junge Mädchen schwenken Fahnen mit seinem Namen darauf. Mücke ist ein gutes Beispiel für den Kantersieg, mit dem die Reformer die Kammer gestürmt haben: Er trat für die Medienwirtschaft zur Wahl an, die künftig mit fünf Sitzen im neuen Plenum der Handelskammer vertreten sein wird. Vier der Sitze nehmen Vertreter des Bündnisses „Die Kammer sind Wir!“ ein.

Noch deutlicher zeigt sich das Ergebnis des Wahlkampfes in der Wahlgruppe Industrie: Gerade einmal zwei Jahre ist das kleine Unternehmen von Tobias Schütt zum Betrieb von Solaranlagen auf Hausdächern alt. Trotzdem erhielt er mit 688 Stimmen den größten Wählerzuspruch und verwies bekannte Manager namhafter Unternehmen wie den Chef von Lufthansa Technik, August-Wilhelm Henningsen, Georg Mecke von Airbus und sogar den Vorsitzenden des Industrieverbands und Vorstandschef von Siemens Nord, Michael Westhagemann, auf die Plätze.

Tobias Bergmann, der Sprecher der Kammer-Rebellen, der mit 1015 Stimmen sogar das drittbeste Ergebnis aller Hamburger Kandidaten einfuhr, machte dann auch gleich den Anspruch deutlich, den die neue Bewegung an die Kammer stellen will: „Wir haben ein kleines Erdbeben verursacht“, sagt er im Jubel seiner Truppe. „Wir sind aber nicht gewählt worden, weil wir so charmant sind, sondern wegen unserer klaren inhaltlichen Positionen. Und die wollen wir jetzt in das Plenum der Kammer einbringen“, ruft Bergmann, der zwecks des besseren Verständnisses im allgemeinen Kneipenlärm auf eine Bank gestiegen ist.

Als Erstes wolle das Bündnis im Plenum beantragen, allen Kammermitgliedern den Jahresbeitrag für 2013 zurückzuerstatten. Zudem würden sie eine Änderung der Satzung beantragen, damit mehr Transparenz in die Kammer einzieht. „Und wir werden auch nicht Ruhe geben, bis wir das Gehalt des Hauptgeschäftsführers kennen“, sagt Bergmann. Des Weiteren werde das Bündnis das gesamte Beratungs- und Dienstleistungsangebot der Kammer durchforsten. Sollten dabei Programme entdeckt werden, die genauso gut von privaten Unternehmen übernommen werden können, würden sie aus dem Portfolio der Kammer gestrichen. Insgesamt müsse die Kammer mehr auf die Bedürfnisse der kleinen und mittleren Betriebe ausgerichtet werden, fordert Bergmann unter dem Beifall der Gäste, zu denen einige grüne Politiker gehören, wie der ehemalige Umweltstaatsrat Christian Maaß.

Bergmann betont, das Bündnis sei überparteilich: „Wir sind politische Menschen, aber wir sind als Unternehmer und nicht als Politiker in die Kammer gewählt worden.“ Der Institution verordnet Bergmann angesichts der geringen Wahlbeteiligung von nur zehn Prozent „mehr Bescheidenheit“ im Auftreten. Er wiederholt dazu seine Kritik an dem Einsatz der Handelskammer für Olympia in Hamburg: „Über die Olympischen Spiele wird beispielsweise nicht die Kammer entscheiden, sondern die Hamburger Bürger.“ Was sich die Kammer-Rebellen unter der neuen Bescheidenheit noch vorstellen, macht Bergmann an der politischen Haltung der Kammer deutlich: „Es wird künftig nicht mehr nur eine Meinung geben, sondern wir wollen den unterschiedlichen Stimmen im Plenum Gehör verschaffen.“

Die hauptamtlich Beschäftigten müssen sich auf neue Zeiten einstellen. Einige nutzen die Feier, um mit den Neumitgliedern ins Gespräch zu kommen. Darunter auch die Geschäftsführerin und Leiterin des Bereichs Börse, Gabriele Rose. Sie freut sich auf die Gespräche mit der neuen Truppe.