Malte Eggers ist ADAC-Pannenhelfer. Tag für Tag ist er auf Hamburgs Straßen unterwegs, um Autofahrern in Not zu helfen. Wie geht es den gelben Engeln in den Tagen der Krise? Eine Reportage

Für einen Moment herrscht Schweigen. Malte Eggers, Pannenhelfer des in die Schlagzeilen geratenen ADAC, hat mehrfach geprüft. Doch an der Diagnose führt kein Weg vorbei: Die Batterie im silbergrauen VW Bora von Kurt Hasch ist hin. Malte Eggers fasst sich ein Herz und sagt: „Ich kann Ihnen eine neue Batterie verkaufen.“

Da ist sie, die Situation, die in diesen Tagen wohl allen Beteiligten Unbehagen bereitet. Dem ADAC-Pannenhelfer, weil Medienberichten zufolge der Automobilclub einer Drückerkolonne gleich am Verkauf von Autobatterien kräftig mitverdienen soll; dem Autofahrer, weil Not und Sorge, über den Tisch gezogen zu werden, gleichermaßen groß sind.

Doch Kurt Hasch überlegt nur kurz. „Ich nehme die Batterie“, sagt er und fügt hinzu: „Seit mehr als 30 Jahren bin ich nun schon im ADAC. Ich vertraue dem Verein.“ Malte Eggers hört das mit einem Lächeln und wuchtet eine neue Batterie aus seinem gelben Werkstattwagen. Rund 150 Euro wird sie kosten. Kein Pappenstiel. Aber immerhin spart Kurt Hasch sich den Austausch in der Werkstatt, der Geld kostet.

Deutschlands größter Automobilclub ADAC ist unter Druck geraten, seit im Januar Mauscheleien bei der Vergabe des Preises „Gelber Engel“ bekannt geworden waren. Am 10. Februar 2014 trat ADAC-Präsident Peter Meyer zurück. Die Hersteller Volkswagen, Daimler und BMW kündigten an, 40 „Gelbe Engel“ zurückgeben zu wollen.

Malte Eggers ärgert besonders der Eindruck, er würde sich mit dem Verkauf einer Batterie die Taschen füllen. „Früher floss das in unser Bewertungssystem mit sechs Punkten ein“, sagt er und verstaut Werkzeug in seinem Werkstattwagen. „Das war nicht mal ein Euro.“ Inzwischen spielt der Verkauf einer Batterie bei der internen Bewertung eines Pannenhelfers keine Rolle mehr.

Zudem bietet der 28-Jährige den Autobesitzern ohnehin nur eine Batterie an, wenn er sich ganz sicher ist, dass der Wagen wegen der Batterie liegen geblieben ist. „Dann gibt es auch keinen Ärger, wenn die Batterie nicht die Ursache für die Panne war.“

Ich bin mit Malte Eggers in seinem „gelben Engel“ einen Tag lang unterwegs und will herausfinden, welche Auswirkungen der ADAC-Skandal auf seine tägliche Arbeit hat. Wie reagieren Vereinsmitglieder, die bei einer Panne den gelben Engel rufen? Was geht dem Helfer durch den Kopf, wenn er Woche für Woche in den Zeitungen und Zeitschriften negative Berichte über seinen Arbeitgeber lesen muss?

Als wir uns in Hamburgs Innenstadt treffen, begegnet mir ein junger Mann, dem die Attitüde von Überheblichkeit fremd zu sein scheint. Vielmehr wirkt der 28-Jährige wie ein Junge, den Schwiegermütter lieben: solide, nett und freundlich. Mit seiner Freundin Sonja – sie arbeitet unter der Woche in Berlin für das Filmfest Berlinale – lebt Malte Eggers in Tremsbüttel in einer Doppelhaushälfte, ein paar Kilometer von seinen Eltern entfernt.

Dass der gelernte Kfz-Mechatroniker einen Audi und ein Motorrad fährt, überrascht mich nicht. Allerdings hatte ich Exotischeres erwartet als einen Audi 80 – auch wenn es die Cabrioversion ist – und eine GSX 750 Suzuki. „Von Rennmaschinen bin ich weg“, erzählt er. Seine Suzuki sei eine Tourenmaschine mit Koffersystem. „Manchmal fahren meine Freundin und ich im Sommer an die Ostsee.“ Auf einer Rennmaschine schwer vorstellbar.

Der erste Hilferuf erreicht uns aus Altona von einer jungen Frau, deren Fahrzeug mit einem Reifenschaden liegen geblieben ist. Als wir in die Nebenstraße einbiegen, wartet sie schon auf dem Gehsteig. Malte Eggers hat die Frau zuvor angerufen und sein Kommen angekündigt. Das wird er auf seiner Tour bei jedem „Kunden“ machen. „Das ist persönlicher und verkürzt etwas die Wartezeit“, erzählt er.

Mehr als 40 Minuten müssen die Autofahrer an diesem Tag nicht warten. Der Disponent in der Pannenhelfer-Zentrale in Bergedorf weiß, dass Malte Eggers im Westen Hamburgs unterwegs ist, und teilt ihm Notrufe aus dieser Region zu. „Unser Ziel ist es, innerhalb von 42 Minuten am Einsatzort zu sein“, sagt der Pannenhelfer.

Insgesamt 86 gelbe Engel beschäftigt der ADAC im Großraum Hamburg. Zwischen 40 und 45 sind – über den Tag verteilt – auf den Straßen unterwegs. Pinneberg und Ahrensburg im Norden gehören zum Großraum wie Buxtehude und Lüneburg im Süden – die Autobahnen eingeschlossen. „Im Sommer bin auch mal an der Ostseeküste unterwegs“, erzählt Malte Eggers. Vor allem an den heißen Tagen der Urlaubssaison.

Zwischen 700 und 900 Pannenfälle fallen im Hamburger Großraum an einem normalen Tag an. Rund 155.000 waren es im vergangenen Jahr. An einem normalen Tag kommt Malte Eggers auf bis zu zwölf Einsätze. Heftig wird es bei schwierigem Wetter. Vor drei Wochen, Ende Januar, erlebte er so einen Tag: Rund 3800 Einsätze allein im Großraum Hamburg standen am Ende auf der Tafel. „Das war das Dreifache des Normalen.“

Doch unser gemeinsamer Tag wird ein normaler Tag werden. Malte Eggers ist inzwischen ausgestiegen und hat die junge Frau höflich begrüßt. Fast ein wenig schüchtern wirkt er. Zunächst lässt der 28-Jährige sich kurz erzählen, was dem Auto fehlt – obwohl der platte Reifen nicht zu übersehen ist. Dann holt er einen Wagenheber aus seiner mobilen Werkstatt und kniet sich vor das Auto.

Der junge Mann weiß, dass es nicht nur um die Reparatur eines Autos geht. „Das mag am Ende meine Hauptarbeit sein“, erzählt er. „Aber bei manchem Notfall geht es um mehr.“ Da ist die Mutter, deren Kind sich im Auto eingeschlossen hat und die fast verrückt wird vor Angst. Oder die alte Dame, deren Ehemann ein Jahr zuvor in ihrem Auto an einem Herzinfarkt gestorben war und die den Pannenhelfer völlig aufgelöst erwartet, weil sie eine Beule in das Fahrzeug gefahren hatte.

„Ich muss nicht nur das Auto reparieren, sondern auch die Menschen verstehen können“, sagt Malte Eggers. Soziale Kompetenz nennen die Experten das. Sie wird bei dem Eignungstest bewertet, ohne den ein ADAC-Pannenhelfer nicht eingestellt wird. Und sie wird bei der jährlichen Weiterbildung geschult, wie Elmar Korte, Regionalleiter Nord des ADAC, berichtet.

Einfühlungsvermögen, entspanntes Auftreten und Ruhe ausstrahlen: Was sich im Gespräch einfach anhört, ist im Alltag nicht immer leicht durchzuhalten. Malte Eggers profitiert davon, dass er in seinem Heimatort Mitglied der freiwilligen Feuerwehr ist. Am Ende aber zählt Erfahrung. „Wenn ich die Menschen sehe, dann weiß ich fast immer sofort, wie ich mit ihnen umgehen muss“, berichtet der 28-Jährige. Einem Autofahrer, der besser zu wissen glaubt, was dem Wagen fehlt, sagt er dann gern: „Sie haben vollkommen recht, aber vielleicht sollte ich hier noch mal schauen.“ Oder er macht dem Fahrzeughalter, der auf der Autobahn liegen geblieben und sich sicher ist, es liege nicht am leeren Tank, ein lukratives Angebot: „Ich habe ihm vorgeschlagen, dass ich den Sprit bezahle, wenn es daran nicht liegt.“ Natürlich lag es am Ende am fehlenden Benzin.

Der Reifenwechsel in Altona dauert keine zehn Minuten, und eigentlich könnte Malte Eggers seinen Einsatz jetzt abschließen. Aber die junge Frau bittet ihn noch, einen Blick auf die Beule in der Hintertür zu werfen. Sie lächelt schuldbewusst und fragt, ob sie noch fahren könne. Malte Eggers prüft kurz und nickt dann kräftig mit dem Kopf. „Kein Problem.“

Die ADAC-Helfer haben bei ihren Einsätzen nicht nur die aktuelle Panne im Blick. Er könne zwar dank der neuen Batterie seine Frau zum Arzt fahren, sagt Malte Eggers zu Kurt Hasch. In den nächsten Tagen allerdings führe an einer Werkstatt kein Weg vorbei.

Der Pannenhelfer hatte bei seinem routinemäßigen Blick in den Motorraum nämlich entdeckt, dass einer der beiden Lüfter seinen Geist aufgegeben hat. „Jetzt im Winter schafft der eine Lüfter die Kühlung noch“, sagt der ADAC-Experte. „Sobald es aber warm wird, reicht er allein nicht mehr.“

Wir sitzen wieder im warmen Wagen. Mit schnellen Bewegungen tippen die Finger von Malte Eggers auf einem DIN-A4-großen Computerdisplay Daten ein: Fahrzeugtyp, Fahrzeugalter, Motorart, Kilometerstand, Pannengrund. In seiner linken Hand hält der 28-Jährige ein Buch, in dem die Codes für die Fahrzeugtypen aufgelistet sind. Am Ende drückt Malte Eggers seinen Zeigefinger auf einen „Senden“-Button, und ein Bestätigungston erklingt. „Alle Daten fließen jetzt in die ADAC-Pannenstatistik ein und können ausgewertet werden“, sagt er.

Eigentlich ein faires Verfahren. Jetzt ist aber auch diese Statistik in Verruf geraten. So werden die Pannen von sogenannten Assistance-Partnern des ADAC nicht gezählt.

Als Folge bilden nicht die rund 4,2 Millionen Pannen im vergangenen Jahr die Grundlage der Pannenstatistik, sondern lediglich 170.000 Fälle. Der Verdacht: Automobilunternehmen wie BMW und Volkswagen werden, da sie nicht Partner des ADAC-Assistance-Programms sind, benachteiligt.

Malte Eggers ist zurückhaltend, was die Skandale an der Spitze des ADAC angeht. Aber wer mit dem 28-Jährigen mehrere Stunden unterwegs ist, merkt, dass die Vorgänge an ihm und seinem Selbstverständnis nagen. Als ich ihn direkt darauf anspreche, dauert es eine Weile, bis er antwortet.

„Die Leute, zu denen ich jeden Tag komme, kann ich durch meine gute Arbeit überzeugen“, sagt er schließlich. Sorgen macht Malte Eggers sich – und das klingt im ersten Moment paradox – über jene Vereinsmitglieder, „die keine Panne haben und bei denen das Misstrauen uns gegenüber wächst“.

ADAC-Nord-Chef Korte sagt es direkter: „Mehr als 90 Prozent der ADAC-Mitglieder treten bei uns wegen der Pannenhilfe ein. Auf die kommt es jetzt an, damit der Verein sich das Vertrauen der Menschen wieder erarbeiten kann.“

Eine 87-prozentige Erfolgsquote hier im Norden sei ein erster Schritt dahin, sagt Korte. Malte Eggers ist stolz darauf, dass er im vergangenen Jahr bei 91 Prozent seiner Einsätze das liegen gebliebene Fahrzeug wieder flottgemacht hat. Er empfindet es als „persönliche Niederlage, wenn ich den Abschleppwagen rufen muss“.

Interessant ist die Erfahrung, die Malte Eggers und ich während unseres gemeinsamen Tages bei den ADAC-Kunden machen. Von Vorwürfen oder gar Beschimpfungen keine Spur. „Als die Skandale rauskamen, habe ich kurz überlegt, auszutreten“, sagt ein älterer Herr aus Rissen, dessen Batterie sich über Nacht durch ein vergessenes Standlicht entladen hatte. „Aber ich bin nun schon über 20 Jahre dabei.“

Karen Scherer, das Auto ihrer Tochter hatte Hilfe nötig, glaubt: „Es ist doch wie so oft im Leben. Die Verantwortlichen an der Unternehmensspitze machen Fehler, und die Mitarbeiter an der Basis müssen es ausbaden.“ Auch Jutta Hasch hat ihr Vertrauen in die gelben Engel nicht verloren. „Wir sind doch froh, dass wir so rasch kompetente Hilfe erhalten haben.“

Zwar wird die Reparatur die Familie Hasch einige Hundert Euro kosten. „Aber mir ist es lieber, der Fehler wurde jetzt entdeckt, als dass wir später irgendwo liegen bleiben“, sagt Jutta Hasch. Schließlich hätten sie und ihr Mann geplant, im Sommer nach Frankreich in die Alpen zu fahren. „Dorthin, wo die Radrennfahrer hinaufmüssen.“

Inzwischen haben wir fünf Einsätze hinter uns. Das Autotelefon von Malte Eggers klingelt. „Wie sieht es aus? Willst du Pause machen?“, fragt sein Disponent, und es rauscht in der Freisprechanlage. „Ja, jetzt würde es passen“, lautet die Antwort. Sekunden später ertönt ein Piepton und auf dem Display wird die Bestätigung angezeigt. Jetzt hat der Pannenhelfer zehn Minuten Zeit, ein Café, ein Restaurant oder eine Kneipe zu finden. Dann beginnt die 30-minütige Mittagspause.

Bevor wir mit der Suche starten, räumt der Pannenhelfer noch die Werkzeuge in seinem Werkstattwagen auf. Plötzlich zieht er eine kleine Schublade auf und zeigt mir mit einem verschmitzten Lächeln sein „Diebstahlswerkzeug“. „Das ist ein Generalschlüssel für Volkswagen“, sagt er und hält zwei eigentlich normal aussehende Autoschlüssel in die Luft. Dann öffnet er ein kleines Kästchen, in dem ein länglicher Stab zu erkennen ist. Daimler und BMW bekommt er damit auf.

„Wir lassen niemanden stehen“, sagt Malte Eggers und meint damit nicht nur Autofahrer. Auch unter Rollstuhlfahrern hat es sich inzwischen herumgesprochen, dass die gelben Engel im Notfall kommen. Einmal habe er – „bei 35 Grad Hitze“ – einen Mann fast 45 Minuten nach Hause geschoben. Die Batterie des Rollstuhls war leer.

Am Ende des Tages mit Malte Eggers ist es für mich als Begleiter schwierig, die beiden Gesichter des ADAC in Einklang zu bringen. Die Mauscheleien, für die wohl vor allem Führungskräfte des Vereins verantwortlich sind, haben dessen Image schwer beschädigt. Und es ist längst nicht sicher, ob nicht noch weitere Unregelmäßigkeiten ans Tageslicht kommen.

Auf der anderen Seite sind da die gelben Engel wie Malte Eggers, die ihren Job mit Leidenschaft machen. „Wenn ich im Sommer jemandem den Urlaub rette, dann ist das ein Supergefühl“, sprudelt es beim Abschied aus ihm heraus. Und er fügt hinzu: „Ich bin einer von den Guten.“