Senvion-Chef Andreas Nauen über den neuen Namen des Hamburger Unternehmens und die Perspektiven der Energiewende

Hamburg. Seit 2010 führt der Maschinenbauingenieur und Betriebswirt Andreas Nauen, 49, das Hamburger Windkraftunternehmen Senvion, das bis Ende 2013 Repower Systems hieß. Da das Unternehmen diesen Namen nur befristet in Lizenz führen durfte, musste es zu Beginn dieses Jahres umfirmieren. Senvion, das dem indischen Windkraftkonzern Suzlon gehört, ist mit 3300 Mitarbeitern einer der führenden Hersteller von Windturbinen für Land- und Seestandorte. Nauen hatte von 2004 bis 2010 die Windkraftsparte von Siemens aufgebaut, die im Offshore-Geschäft mittlerweile der härteste Konkurrent von Senvion ist.

Hamburger Abendblatt:

Herr Nauen, Sie melden Kurzarbeit für Ihre Rotorblattfertigung in Bremerhaven an, obwohl die neue Bundesregierung die Offshore-Windkraft in den kommenden Jahren doch deutlich weiter ausbauen lassen will. Wie passt das zusammen?

Andreas Nauen:

Vor der Bundestagswahl im vergangenen Jahr wurden viele Projekte gestoppt, weil nicht sicher war, wie die Förderbedingungen für Windparks auf See künftig aussehen würden. Das betrifft dann irgendwann natürlich auch unsere Produktion. Wir glauben aber weiterhin fest an die Offshore-Windkraft und werden versuchen, die Produktionslücken zunächst mit Aufträgen für Windturbinen zu füllen, die an Landstandorten installiert werden.

Wie lange soll in Ihrem Werk in Bremerhaven Kurzarbeit gelten?

Nauen:

Wir melden den zulässigen Höchstrahmen von einem Jahr an und werden sehen, wie viel Zeit wir tatsächlich in Anspruch nehmen müssen.

Wird die bevorstehende Novelle des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) und die fortlaufende Förderung der Offshore-Windkraft den Markt jetzt wieder in Bewegung bringen?

Nauen:

Die Fristverlängerung bei der Vergütung für Offshore-Windparks, des sogenannten Stauchungsmodells, bis zum Jahr 2019, führt nach unserem Eindruck dazu, dass sich viele Unternehmen ihre Projekte für Offshore-Windparks jetzt wieder genauer ansehen, die zuletzt ruhten. Ich glaube, dass das eine oder andere Projekt jetzt wirklich vorangeht. Es sollte allerdings nicht der Eindruck entstehen, dass deshalb die Kunden mit Aufträgen für Windturbinen, die sie für deutsche Offshore-Windparkprojekte brauchen, jetzt Schlange stehen. So schnell geht das nicht. Das liegt aber in der Natur der Sache, denn der Aufbau eines Offshore-Windparks ist sehr komplex.

Sind derzeit auch andere Standorte von Senvion gefährdet?

Nauen:

Die Rotorblattfabrik in Bremerhaven war einmal speziell für Offshore-Windturbinen aufgebaut worden, deshalb ist das Werk jetzt von Kurzarbeit betroffen. Aber die Produktion unserer Windturbinen für Landstandorte in Husum und in Trampe und die Arbeit der Service- und Technologiezentren in Osterrönfeld und in Osnabrück läuft ja unabhängig von der Entwicklung am Offshore-Markt.

Macht Ihnen Siemens Sorge mit deren neuer Sechs-Megawatt-Maschine für den Offshore-Windkraftmarkt?

Nauen:

Das ist eine normale Wettbewerbssituation. Getrieben sicher auch durch unsere Maschine 6M, hat sich am Offshore-Markt eine Sechs-Megawatt- Klasse herausgebildet, in die nun auch andere Hersteller hineingehen ...

... was letztlich auch dazu beiträgt, die Kosten für Strom aus Offshore-Anlagen schneller zu senken.

Nauen:

Die ganze Branche muss daran arbeiten, Strom aus Offshore-Anlagen günstiger zu erzeugen. Die politische Diskussion um die Kosten der Energiewende ist ja nicht falsch.

Teilen Sie Prognosen, dass die Kosten für Offshore-Windstrom in den kommenden Jahren um 30 bis 40 Prozent gesenkt werden können?

Nauen:

Ich glaube, das ist zu schaffen. Das erfordert aber einen stetigen Ausbau von Offshore-Windparks. Sie können das beispielhaft auch auf einen Anzug übertragen: Ein maßgeschneidertes Einzelstück kann niemals so günstig sein wie eine Serienfertigung in gleicher Qualität. Wir brauchen große Stückzahlen im industriellen Maßstab, um die Kosten zu senken.

Welche Länder und Märkte sind für Senvion besonders wichtig?

Nauen:

Bei der Offshore-Windkraft sind es vor allem Deutschland, Belgien, die Niederlande und Großbritannien. Bei der Windkraft an Landstandorten ist es ebenfalls Mitteleuropa mit Fokus auf Deutschland. Bei der Windkraft an Landstandorten haben wir obendrein auch gute Möglichkeiten in Kanada oder in Australien. In Kanada werden wir dieses Jahr die 1000-Megawatt-Grenze bei der installierten Leistung unserer Windturbinen überschreiten. Die USA waren für uns in den vergangenen Jahren ein großer Markt. Aber durch das gelegentliche wirtschaftspolitische Auf und Ab und dadurch, dass wir dort die meisten Komponenten importieren müssten, sind wir dort derzeit nicht so stark vertreten.

Welche Maschinen verkaufen Sie für Landstandorte?

Nauen:

Verschiedene Typen zwischen zwei und 3,4 Megawatt Leistung. Der Trend geht dabei zu den größeren Windkraftturbinen, weil die Stromerzeugung mit leistungsstärkeren Maschinen einfach günstiger ist.

Wann kann Strom aus Windkraftwerken an Landstandorten in Deutschland ohne Subventionen wettbewerbsfähig erzeugt werden?

Nauen:

An der Küste kommt man jetzt schon zu einer sehr günstigen Stromerzeugung ...

... was kostet das je Kilowattstunde? Sind sieben Cent oder weniger realistisch, gemessen als reine Stromgestehungskosten, die denen von Großkraftwerken vergleichbar wären?

Nauen:

Das ist zu schaffen. Allerdings kommen zu den reinen Gestehungskosten der Maschine noch die jeweiligen Kosten des Stromversorgers und des Netzbetreibers hinzu. Man sieht aber ein deutliches Gefälle bei den Stromgestehungskosten. Die Windkraft in Norddeutschland profitiert dabei auch noch von deutlich konstanteren Winderträgen als der Süden.

Wie kann Windstrom in naher Zukunft sonst noch günstiger werden?

Nauen:

Im Prinzip gibt es dafür drei Hebel: Erstens, mehr Kilowattstunden Strom aus einer Maschine herauszuholen, zum Beispiel mit weiter optimierten Rotorblättern oder einem besseren Wirkungsgrad der Windturbine. Zwischen einer und der nächsten Generation einer Windkraftanlage kommen durchaus 15 bis 20 Prozent mehr Ertrag heraus. Bei unserer Sechs-Megawatt-Offshore-Anlage des Typs 6M zum Beispiel haben wir den Rotordurchmesser von 126 auf 152 Meter erhöht. Daraus ergeben sich 20 Prozent mehr Stromausbeute am selben Standort. An süddeutschen Landstandorten wiederum können wir die Ergiebigkeit der Maschinen durch höhere Türme erhöhen. Zweitens geht es darum, die Windturbine selbst günstiger zu fertigen. Und drittens können die Kosten außerhalb der Maschine gesenkt werden, etwa beim Aufbau und der Wartung der Anlagen. Das betrifft besonders die Offshore-Windkraft mit der extrem aufwendigen Montage auf See.

Was bringt das sogenannte Repowering, der Ersatz kleinerer durch größere Anlagen am selben Standort, der mittlerweile vielerorts vollzogen wird?

Nauen:

Das bringt enorm viel. Die Faustformel in der Branche lautet: Mit der Hälfte der Maschinen wird die installierte Leistung verdoppelt und die Stromausbeute verdreifacht.

Allerdings wecken höhere oder größere Maschinen schnell auch den Widerstand von Anwohnern.

Nauen:

Diese Sorgen müssen wir als Hersteller ernst nehmen und immer weiter daran arbeiten, die Belastungen zum Beispiel durch Rotorengeräusche zu reduzieren. Das tun wir in unserem Forschungszentrum in Osterrönfeld bei der Entwicklung neuer Rotorblätter.

Sparen Sie personell auch bei Forschung und Entwicklung?

Nauen:

Keineswegs. Wir haben in Osterrönfeld bei Rendsburg und in Osnabrück allein 300 Ingenieure in der Forschung und Entwicklung, außerdem rund 150 im operativen Betrieb bei der Unterstützung von Projekten, Service und Wartung der Anlagen.

Wie läuft die technologische Kooperation mit ihrem Mutterkonzern Suzlon?

Nauen:

Wir agieren technologisch völlig eigenständig und haben als Unternehmen unseren Eigenfinanzierungsvertrag mit Suzlon. Kooperation gibt es nur eingeschränkt, weil wir verschiedene Märkte mit verschiedenen Produkten bedienen. Beim Einkauf versuchen wir, bestimmte Komponenten von Suzlon zu verwenden. Selbstverständlich gilt dabei dieselbe Einkaufsrichtlinie wie für alle Lieferanten.

Welchen Aufwand bringt eine Umbenennung wie die von Repower Systems auf Senvion mit sich?

Nauen:

Das neue Logo auf dem Dach der Firmenzentrale oder meine neuen Visitenkarten, das sind ja noch die einfachsten Änderungen. Wir müssen aber auch sehr viele technische Dokumente verändern und anpassen, das ist das eigentlich Aufwendige.

Was hat es Senvion gekostet, den neuen Unternehmensnamen einzuführen?

Nauen:

Allein für ein neues Logo auf der Firmenzentrale ist man schon mit 50.000 Euro dabei. Aber der Hauptkostenpunkt ist natürlich die interne Leistung unserer Mitarbeiter, außerdem die Arbeit von vielen Anwälten, die so eine neue Marke rechtsfest machen und international absichern müssen. In jedem Land muss das einzeln angemeldet werden. Allein das bedeutet schon viel Kärrnerarbeit.

Ein hoher siebenstelliger Euro-Betrag ist insgesamt also fällig?

Nauen:

Ohne Weiteres.