Unilever will laut Werbung die Welt verbessern. Doch die Hamburger Deutschland-Zentrale leidet unter Sparzwängen. Der Betriebsrat ist alarmiert

Hamburg. Wenn sich Unilever-Chef Paul Polman zur Strategie des weltweit drittgrößten Konsumgüterkonzerns äußert, dann gibt er sich gern präsidial. Erst am vergangenen Freitag saß der 56-jährige Niederländer beim Weltwirtschaftsgipfel in Davos neben Uno-Generalsekretär Ban Ki-moon und sprach über die Verantwortung der Unternehmer für den Planeten. Sätze wie „Wir haben die Chance, die Armut in der Welt zu beseitigen“, sagte er da und: „Die Wirtschaft muss der Gesellschaft dienen.“

Einen „Sustainable Living Plan“ hat sich Polman für Unilever ausgedacht, also einen Plan für nachhaltiges Leben. Bis zum Jahr 2020 soll sich der Konzernumsatz im Vergleich zum Jahr 2010 auf 80 Milliarden Euro verdoppelt haben. Zugleich will Polman aber auch die Auswirkungen, die die Herstellung der Waren auf die Umwelt hat, um die Hälfte reduzieren und die Lebensbedingungen der Menschen in den Entwicklungsländern verbessern.

Und so schwärmen Mitarbeiter aus, um rund 500 Millionen Menschen mit Wasserfiltern und auf diese Weise mit sauberem Trinkwasser zu versorgen. In Vietnam wurde die Domestos Toiletten Akademie eingerichtet, um lokale Unternehmer darin zu schulen, hygienische Sanitäranlagen zu produzieren und anzubieten. Es gibt bei Unilever Programme zur Reduzierung des Salzgehalts und des Anteils gesättigter Fettsäuren in den eigenen Lebensmitteln oder zur Einbeziehung von 500.000 Kleinbauern in die Lieferkette und die damit verbundene, angebliche Verbesserung ihrer Lebensumstände.

Pläne wie diese haben Polman intern schon den Spitznamen „Messias“ eingebracht. Manchmal scheint es, der Niederländer wolle mit Produkten wie Knorr, Rama, Dove oder Domestos nichts weniger als die Welt retten. Gewinne? Eher Nebensache.

In der Hamburger Deutschland-Zentrale wäre es vielen Beschäftigten allerdings ganz recht, wenn der Konzernchef seine Leidenschaft für die Verbesserung der Welt auch konkret an der Elbe erkennen ließe. Hier regiert nämlich seit Jahren auf personeller Ebene der Rotstift. Die Erhöhung der Rendite scheint dabei keine Nebensache, sondern das Hauptziel zu sein.

„Ich wünsche mir, dass Herr Polman die gleichen Maßstäbe, die er in puncto Nachhaltigkeit im Gesamtkonzern anlegt, auch in der Personalpolitik in Deutschland und Europa anwendet“, sagt Hermann Soggeberg, Konzernbetriebsratsvorsitzender von Unilever und stellvertretender Aufsichtsratschef der Deutschland-Holding des niederländisch-britischen Unternehmens. „In den vergangenen Jahren haben wir einen massiven Abbau von Arbeitsplätzen und immer neue Sparrunden erlebt, die mit einer abnehmenden Bedeutung Europas im Gesamtkonzern einhergingen.“ Mittlerweile habe sich Europa und damit auch die Hamburger Zentrale zu einem „Stiefkind“ im Unternehmen entwickelt, so Soggeberg.

70.000 Arbeitsplätze hat Unilever seit den 1970er-Jahren in Europa laut Betriebsrat abgebaut. In Hamburg gingen seit Ende der 90er-Jahre rund 750 Stellen und damit rund 45 Prozent aller Jobs verloren. Arbeiteten 1999 noch 1650 Menschen für Unilever in der Hansestadt, so waren es im vergangenen Jahr gerade mal noch 900, wie aus der jährlichen Arbeitsplatzumfrage des Abendblatts hervorgeht.

Wer noch da ist, muss eine höhere Leistung bringen. Ein Bewertungssystem, das die Beschäftigten je nach Performance in eine Matrix mit Farben wie Rot, Gelb und Grün einordnet, hat der Konzern von der Managementebene auf den Tarifbereich übertragen.

Nach den Worten von Unilever-Sprecher Konstantin Bark dienten die jüngsten Personalmaßnahmen unter anderem dazu, „unsere europäische Wettbewerbsfähigkeit“ sicherzustellen. Man verbessere kontinuierlich die eigene Arbeitsweise und setze neueste Technologien ein, um „unsere Effizienz zu steigern und interne Kosten zu minimieren“. Grundsätzlich sei die DACH-Region, also Deutschland, Österreich und die Schweiz, einer der wichtigsten Märkte von Unilever, woran sich auch in Zukunft nichts ändere.

Tatsache ist aber auch, dass Europa im Gesamtkonzern eine immer geringere Rolle spielt. Längst haben Asien und Amerika den alten Kontinent beim Umsatz überflügelt. Mit fast acht Prozent auf 20 Milliarden Euro legten die Erlöse in Staaten wie China, Indonesien oder Russland im vergangenen Jahr am stärksten zu, Nord- und Südamerika brachten es mit Boomländern wie Brasilien immerhin noch auf ein Plus von 4,6 Prozent. In der EU gingen die Umsätze angesichts der Konsumschwäche hingegen um 1,1 Prozent auf 13,5 Milliarden Euro zurück. Auch die beachtliche Steigerung des Konzerngewinns um neun Prozent auf 5,3 Milliarden Euro kam vor allem aus Übersee.

Unilevers Umsatzschwäche in Europa ist dabei nicht nur der unterschiedlichen Wachstumsdynamik in der Welt geschuldet. Sie ist auch ein Resultat der Strategie, sich ausschließlich auf die großen globalen Marken wie Knorr, Langnese, Dove oder Domestos zu konzentrieren und regionale Produkte, insbesondere im Lebensmittelbereich, an Wettbewerber zu verkaufen.

Betriebsratschef Soggeberg hat seine Karriere mal bei Iglo begonnen, jener Tiefkühlmarke mit dem bekannten Käpt’n, die Unilever schon 2006 für rund 1,7 Milliarden Euro an den Finanzinvestor Permira verkaufte. Der machte aus dem schon damals rentablen Fischstäbchenhersteller ein Unternehmen mit noch höheren Gewinnen. „Da frage ich mich schon, warum wir das eigentlich nicht selbst hingekriegt haben“, sagt Soggeberg, der den Verkauf noch heute für einen Fehler hält.

Die Liste der Marken ist lang, die bei Unilever über die Jahre verloren gegangen sind. Der größte Fischverarbeiter der Republik, die Deutsche See, zählt ebenso dazu wie die Kette Nordsee, heute mit einem Umsatz von rund 300 Millionen Euro die fünftgrößte Fast-Food-Kette Deutschlands. Marken wie Livio-Öl, Biskin oder Palmin verleibte sich der Elmshorner Frühstücksflockenhersteller Kölln ein und reichte sie später weiter, Bressot-Käse ging an einen französischen Konkurrenten und Dextro-Energy-Traubenzucker an eine Hamburger Holding namens Zertus.

All diese Verkäufe fanden noch vor dem Amtsantritt Polmans als Konzernchef im Jahr 2008 statt. Doch auch unter dem Niederländer ging der Konzentrationsprozess weiter. So wurde erst im vergangenen Jahr ein Großteil der Marketingaktivitäten in Rotterdam gebündelt, was auch in Hamburg zu einem Abbau von rund 100 Stellen in der Verwaltung führte. Diverse Marketingmanager packten ihre Koffer und zogen in die Niederlande um.

Als nächste, urdeutsche Marke dürfte Bifi-Salami an einen neuen Eigentümer gehen. Nach Informationen dieser Zeitung war sich Unilever kurz vor Weihnachten praktisch schon handelseinig mit der irischen Kerry Group, die die Marke samt Wurstfabrik im fränkischen Ansbach und 450 Beschäftigten erwerben wollte. Kurz vor Abschluss des Deals machten die Iren dann doch noch einen Rückzieher. Weiter von einer Ausgliederung bedroht sind auch die Marken Mondamin und Pfanni, weil sich Kartoffelklöße, ähnlich wie Salamisnacks nur bedingt global vermarkten lassen.

Mit jeder deutschen Marke, die aus dem Portfolio von Unilever verschwindet, sinkt auch die Bedeutung der Hamburger Zentrale. Mischte sich ein früherer Deutschland-Chef wie Johann C. Lindenberg als Vorsitzender des Markenverbands noch aktiv in aktuelle Debatten ein und geißelte etwa die Preiskämpfe im Handel, so hält sich der heutige Unilever-Verantwortliche, der Niederländer Harry Brouwer, weitgehend bedeckt. „Mein Eindruck ist, dass das Management in Hamburg heute nur noch sehr wenige, eigenständige Entscheidungen treffen kann“, sagt Betriebsrat Soggeberg. „Alle wichtigen Beschlüsse fallen in den Zentralen in Rotterdam oder London.“

Für einen immer kleineren Entscheidungsspielraum auf lokaler Ebene spricht auch die Tatsache, dass langjährige Experten mit besonderen Kenntnissen des deutschen Marktes nach ihrem Weggang durch zuvor international tätige Manager ersetzt werden. Ein niederländischer Hintergrund wirkt sich bei vielen Kandidaten zudem karrierefördernd aus.

Das einst modernste Margarinewerk in Othmarschen ist lange geschlossen

Ihre ehemalige Bedeutung als Produktionsstandort für Unilever hat die Hansestadt ohnehin schon vor Jahrzehnten eingebüßt. In Othmarschen, unweit der Autobahn 7, stand mal das modernste Magarinewerk Europas, in dem auch Rama hergestellt wurde. Seit 1994 ist das Werk geschlossen, Margarine kommt heute aus dem Werk Pratau bei Wittenberg.

An dem einstigen Kernprodukt Margarine lässt sich wohl am besten der Wandel beschreiben, den Unilever in den vergangenen Jahrzehnten durchgemacht hat. Mit dem Butterersatz ist Unilever groß geworden, der Konzern ging Ende der 1920er-Jahre aus einem Zusammenschluss aus der Margarine-Union und dem britischen Seifenfabrikanten Lever Brothers Ltd. hervor.

Heute allerdings sind Rama, Becel, Lätta und Co. zu den Sorgenkindern des weltweit operierenden Unternehmens geworden. Zwar seien neue Produkte wie Rama mit Butter in Deutschland oder „I can’t believe it’s not Butter“ in den USA von den Kunden gut angenommen worden, heißt es dazu kurz im Jahresbericht für 2013. Dennoch seien die Umsätze insgesamt aufgrund des rückläufigen Margarinemarkts gesunken. Nach Informationen dieser Zeitung sollen die Rückgänge im hohen einstelligen Prozentbereich liegen.

Das hat einerseits mit veränderten Verzehrgewohnheiten zu tun: Die Verbraucher schmieren einfach nicht mehr so viele Brote wie früher, die klassische Abendbrotmahlzeit verliert zusehends an Bedeutung. Rezeptänderungen, etwa eine Reduzierung des Fettanteils bei Rama, rufen zudem schnell die Ernährungsexperten auf den Plan. So monierte etwa die Verbraucherzentrale Hamburg jüngst, der Konzern habe bei Rama das Fett so weit durch billigeres Wasser ersetzt, dass das Produkt schon gar nicht mehr als Margarine, sondern nur noch als Streichfett gelten könne.

Bei innovativen Produkten wie der cholesterinsenkenden Margarine Becel pro.activ liefert sich der Konzern schon seit Jahren einen Schlagabtausch mit der Organisation Foodwatch, die Lebensmittel mit einem gesundheitlichen Zusatznutzen grundsätzlich in die Apotheke verbannen möchte. Einen juristischen Streit vor dem Hamburger Oberlandesgericht konnte der Konzern zwar für sich entscheiden, doch das Image der Marke ist dennoch angekratzt.

Aus Sicht des Betriebsrats sind die Probleme im Margarinebereich auch hausgemacht. „Die Konzernspitze hat über Jahre hinweg die Investitionen in diesem Sektor zurückgefahren, Marketingausgaben gekürzt und Werke geschlossen“, so Soggeberg. „Dabei hätte man auch aus einem Gedanken der Nachhaltigkeit heraus eher antizyklisch agieren und die Investitionen steigern müssen.“

In der Führungsspitze hält man dem entgegen, dass der Konzern längst umgesteuert habe. „Insgesamt haben wir im vergangenen Jahr die Werbeausgaben gegenüber dem Vorjahr nahezu verdoppelt“, sagt Unternehmenssprecher Bark. Damit habe man im zweiten Halbjahr sogar die Werbekraft eines Unternehmens wie Zalando übertroffen. Bei Becel seien sowohl die Qualität, als auch Geschmack und Verpackung verbessert worden. „Wir sehen jetzt eine positive Entwicklung, die zeigt, dass sich unsere Investitionen auszahlen.“

Der größte Umsatztreiber bei Unilever ist aber ohnehin längst der Bereich Körperpflege. Gut 18 Milliarden Euro und damit etwa sieben Prozent mehr als im Vorjahr steuerten weltweit funktionierende Marken wie Dove, Axe und Rexona zu den Gesamterlösen von fast 50 Milliarden Euro im Jahr 2013 bei. Noch stärker wuchs der Bereich Haushaltspflegemittel (Cif, Domestos) mit einem Plus von acht Prozent auf fast neun Milliarden Euro. Im Lebensmittelbereich stagnierten die Erlöse bei 13,4 Milliarden Euro. Nur die Sparte Erfrischungen mit Langnese-Eis und Lipton-Tee legte noch leicht zu.

Vor diesem Hintergrund fürchten manche Mitarbeiter schon, der Kampf ums Margarinegeschäft könne eine Art Endspiel für den Lebensmittelbereich als Ganzes sein. Gelingt es hier nicht, die Verkaufszahlen ins Positive zu drehen, könnte die gesamte Sparte zur Disposition gestellt werden. Eine These, von der man im Konzern offiziell aber nichts hören will. „Der Bereich Lebensmittel gehört für Unilever zum Kerngeschäft und wird genauso wie unsere anderen Geschäftsbereiche unterstützt“, betont Sprecher Bark.