Becker Marine Systems will Urlauber mit neuen Schiffen auf Nordseeinseln bringen – und damit einem Monopolisten Konkurrenz machen

Hamburg. Dirk Lehmann will Reeder werden. Man könnte meinen, es gäbe derzeit eher zu viele davon. Aber der Mehrheitseigner des Harburger Ingenieurunternehmens Becker Marine Systems hat einen Markt entdeckt. Lehmann, 50, der auch Co-Geschäftsführer seines Unternehmens ist, plant, die Nordseeinseln Föhr und Amrum künftig mit eigenen Fähren zu bedienen. Mit selbst entworfenen Elektroschiffen, den Wattenfähren, will Lehmann dem bisherigen Monopolisten Wyker Dampfschiffs-Reederei (W.D.R.) im ökosensiblen Fahrwasser des Wattenmeers Konkurrenz machen. W.D.R. mit Sitz auf Föhr allerdings weigert sich, den Zugang über den unternehmenseigenen Anleger in der Inselhauptstadt Wyk für den frechen Wettbewerber zu öffnen. „Der Fall liegt zur Vermittlung bei der Landesregierung von Schleswig-Holstein“, sagt Lehmann. „Wenn wir von dort keine Lösung bekommen, wenden wir uns an die Bundesregierung und dann an die EU-Kommission.“

Die Wattenfähren sollen ökologische Vorzeigeschiffe werden. Nachts laden sie ihre Batterien mit der Hilfe der am nordfriesischen Wattenmeer reichlich verfügbaren Windkraft auf, so das Konzept. Ein Gasmotor zur Stromerzeugung ergänzt den Elektroantrieb an Bord. Die Abwärme aus dem Betrieb der Fähren soll in modernen Salzwärmespeichern aufgefangen und – transportabel in Containern – nachts zur Beheizung des Hallenbades von Wyk auf Föhr genutzt werden. 50 Arbeitsplätze will Lehmann auf der Insel für den Betrieb von zwei Fähren schaffen. Dafür braucht das Unternehmen Zugang nach Föhr, über den Anleger von W.D.R.: „Wir sitzen auf Investitionsplänen von 25 Millionen Euro“, sagt Lehmann. „Es ist unsäglich, dass ein privatwirtschaftliches Unternehmen den öffentlichen Zugang zu einem deutschen Hafen blockieren kann.“ Der Ausgang des Streits ist offen. Lehmann lässt keinen Zweifel daran, dass er nicht nachgeben wird: „Das ist ein Schildbürgerstreich. Wir lassen uns das nicht gefallen.“

Lehmann führt Becker Marine Systems gemeinsam mit Henning Kuhlmann. Beide drängen darauf, dass die Stadt Wyk ihren Einfluss geltend macht, die 31,5 Prozent der Anteile an W.D.R. hält. Die nordfriesische Reederei wiederum argumentiert, dass W.D.R. nicht nur Föhr, Amrum und die Halligen Langeness und Hooge seit 1885 sicher mit dem Festland verbindet, sondern dass das Unternehmen auch Grundversorgung und Daseinsvorsorge etwa mit dem öffentlichen Busverkehr auf Föhr und Amrum betreibe – ohne staatliche Unterstützung. Für einen Wettbewerber sei der Markt schlicht nicht groß genug, argumentiert W.D.R-Chef Axel Meynköhn. Becker Marine Systems hingegen setzt vor allem auf den technologischen Fortschritt: „Unsere Wattenfähren würden wesentlich effizienter und umweltschonender fahren als die Schiffe, die dort heute unterwegs sind“, sagt Lehmann. „Man wird sie weder hören noch riechen.“

Becker Marine Systems strotzt vor Selbstbewusstsein, das Geschäft boomt wie nie zuvor. „Im Jahr 2013 hatten wir rund 90 Millionen Euro Umsatz, 2014 werden es gut 20 Prozent mehr sein“, sagt Lehmann. Auch der Auftragsbestand von mehr als 100 Millionen Euro im Konstruktionsgeschäft dürfte nicht das letzte Wort sein: „Wir wachsen weiter deutlich.“ Vor gut zehn Jahren bezog Becker Marine Systems seine Büros im Harburger Gewerbegebiet Neuländer Kamp. Damals arbeiteten etwa 40 Mitarbeiter für das auf Schiffsausstattung spezialisierte Konstruktionsbüro. Mittlerweile sitzen in Harburg 105 von weltweit gut 200 Mitarbeitern. Im Februar bezieht die Belegschaft eine dreimal so große Bürofläche in der Blohmstraße am Harburger Binnenhafen. Die bietet bis zu 200 Mitarbeitern Platz. Geht es so weiter wie in den vergangenen Jahren, könnte es auch dort bald eng werden. „In diesem Jahr stellen wir wahrscheinlich zehn zusätzliche Mitarbeiter am Standort ein“, sagt Lehmann. „Wir brauchen Schiffbauingenieure, Stahlbauexperten, Maschinenbauer.“

Der Boom des Unternehmens beschreibt eine Erfolgsgeschichte, die auf Fleiß, Kreativität und langfristigem Denken beruht. Getragen wird das Wachstum von Becker Marine Systems von einem Richtungswandel hin zu mehr Effizienz, der die internationale Schifffahrt in den kommenden Jahren prägen dürfte. Der Schiffbauingenieur Lehmann kam im Jahr 2001 zu Becker Marine Systems, seit 2002 ist er einer von heutzutage vier Gesellschaftern des Unternehmens. Seit der Mitte des vergangenen Jahrzehnts trieb Becker Marine Systems gezielt die Entwicklung von Technologien voran, mit denen Reedereien auf ihren Schiffen Brennstoff einsparen können. Spezielle Anströmdüsen für Schiffspropeller – das System Becker Mewis Duct – und innovative Ruderkonzepte senken den Energiebedarf von Schiffen deutlich.

Als das Unternehmen diese Technologien auflegte, tendierte die Schifffahrtsbranche allerdings genau in die Gegenrichtung. Die 2000er-Jahre waren das Jahrzehnt der „Emma Maersk“. Das damalige Flaggschiff der dänischen Reederei Maersk kam 2006 mit einer Leistung von 109.000 PS an den Markt, sieben Schwesterschiffe folgten. Nie zuvor hatte ein einzelner Motor so viel Kraft entwickelt, wie die 14-Zylinder-Maschine von Wärtsilä, die diese und andere Großfrachter antreibt.

Doch die Zeit des PS-Rausches ist spätestens seit dem Beginn der Schifffahrtskrise im Jahr 2009 und angesichts drastisch steigender Brennstoffpreise vorüber. Kosten von mehr als 600 Dollar je Tonne Bunkeröl trugen erheblich dazu bei, dass die meisten führenden Reedereien vor allem im Containergeschäft in den vergangenen Jahren kaum Geld verdienten oder aber Verluste schrieben. „In den 2000er-Jahren ging es in der Containerschifffahrt darum, enorm wachsende Gütermengen möglichst schnell zwischen den Kontinenten zu transportieren, vor allem zwischen Asien und Europa“, sagt Lehmann. „Die Schifffahrt erlebt nun einen Paradigmenwechsel: Das Mengenwachstum ist deutlich abgeflacht. Zugleich ist der Zwang, Schiffe sparsamer und effizienter zu fahren, sehr viel stärker als noch vor einigen Jahren.“

Das gilt nicht nur für den Brennstoffverbrauch, sondern auch für den Ausstoß von Schadstoffen wie Schwefeldioxid und Stickoxid. Von 2015 an gelten an der Ostsee, an der Nordsee und an den US-Küsten strengere Abgasregeln für die Schifffahrt. Die Branche räsoniert, wie sie die Auflagen umsetzen soll. Alle Alternativen sind teuer, sei es der Einsatz von Marinediesel anstelle von Bunkeröl oder von Abgasreinigungsanlagen, den „Scrubbern“.

Von diesen Megatrends will Becker Marine Systems profitieren. Einer der spektakulärsten Aufträge, die er und seine Mitarbeiter zuletzt errungen haben, ist die Ausrüstung der künftig weltgrößten Containerschiffe mit Mewis-Düsen und Becker-Rudern. Die arabische Reederei UASC lässt derzeit auf der Hyundai-Werft in Südkorea Giganten bauen, die 18.800 Containereinheiten (TEU) tragen können, das sind noch einmal 800 TEU mehr als die neuen Großschiffe, die Maersk seit dem Sommer 2013 in Fahrt bringt. Von 2015 an sollen die neuen UASC-Schiffe zum Einsatz kommen. „Sie werden weniger Brennstoff verbrauchen als die neueste Generation der 18.000-TEU-Schiffe von Maersk“, sagt Lehmann. Das könnte den Verdrängungswettbewerb in der Branche weiter beschleunigen. Größere, effizientere Schiffe ersetzen in vielen Fahrtgebieten kleinere und ältere Frachter. Obendrein werden auch für die Fernrouten inzwischen Motoren entwickelt, die mit Erdgas laufen.

Lehmann und seine Mannschaft befassen sich schon lange mit Erdgas als Brennstoff. Erdgas setzt bei der Verbrennung weit weniger Schadstoffe frei als Schweröl. Und es ist beim Preis mittlerweile konkurrenzfähig zum relativ sauberen Marinediesel. In allen wichtigen Hafenregionen der Welt entstehen Tanklager und Versorgungsstationen für tiefgekühltes, verflüssigtes Erdgas, sogenanntes LNG. „Wir haben die Verbindungen zur Energiewirtschaft und werden die erforderlichen Bezugsverträge mitbringen, um Schiffe und Bargen im größeren Umfang mit LNG zu betreiben“, sagt Lehmann.

Mehrere Projekte treibt sein Unternehmen derzeit voran. Mitte Januar wurde auf einer Werft in der Slowakischen Republik der Kiel für die erste von geplanten 15 sogenannten LNG-Bargen gelegt. Die Erdgasmotoren auf diesen Bargen erzeugen Strom, mit dem zunächst vor allem Kreuzfahrtschiffe in europäischen Häfen versorgt werden sollen. Die erste Barge soll im August in Hamburg ankommen. Die Hansestadt will den Kreuzfahrttourismus deutlich ausbauen. Um die Umweltbelastung zu begrenzen, müssen die Schiffe entweder von Landanschlüssen aus mit Strom versorgt werden, oder mithilfe schwimmender Gaskraftwerke wie jenen von Becker Marine Systems.

Der nächste Schritt für das Unternehmen könnten Zubringerschiffe für die Feederdienste in die Ostsee sein, die mit Gasmotoren und LNG angetrieben werden. „Wir wollen in diesem Bereich weiter investieren“, sagt Lehmann. „Es ist gut möglich, dass wir bald Feederschiffe mit Erdgasmotoren bauen lassen. Die Größenordnung wäre etwa 1100 Containereinheiten Tragfähigkeit. Solche Schiffe würden wir gemeinsam mit Konstruktionsbüros selbst entwickeln und sie dann an Reedereien verchartern.“ Denn das Wattenmeer ist den Harburgern längst nicht genug.