HWWI-Chef Thomas Straubhaar sagt der Stadt ein ökonomisch gutes Jahr voraus und warnt vor den Gefahren einer Immobilien- und Aktienblase

Hamburg. Im Spätsommer dieses Jahres wird Thomas Straubhaar die Leitung des Hamburgischen WeltWirtschaftsInstituts (HWWI) abgeben. Den 56-Jährigen gebürtigen Schweizer zieht es in die USA, wo er einen Forschungsauftrag erhalten hat. Das Abendblatt sprach mit dem weit über Hamburgs Grenzen hinaus bekannten Ökonomen über seine neue Herausforderung, die Wirtschaftsperspektiven für Hamburg, den Euro und nicht enden wollende Bankenskandale.

Hamburger Abendblatt:

Im September gehen Sie für einen Forschungsauftrag an die Transatlantic Academy in Washington. Haben Sie sich schon eine Unterkunft in den USA gesucht?

Thomas Straubhaar:

Ich werde jeweils nur kurze Zeitabschnitte in Washington sein, zwei oder drei Wochen. Dafür reichen mir ein Hotelzimmer oder ein kleines Appartement. Meine Frau wird mich dann sicherlich ab und zu begleiten.

Werden Sie Ihren ersten Wohnsitz vor den Toren Hamburgs behalten?

Straubhaar:

Auf jeden Fall. Ich werde weiterhin an der Universität Hamburg lehren und habe vor, meine Vorlesungen weiter zu verbessern.

Was genau wird Ihr Forschungsschwerpunkt in Washington sein?

Straubhaar:

Es geht um die Zukunft der Globalisierung. Dabei verfolge ich zwei Thesen. Zum einen bin ich der Auffassung, dass sich die Globalisierung insgesamt wandeln wird. Nicht mehr die Quantität, sondern die Qualität von Waren und Dienstleistungen wird künftig im Handel die herausragende Bedeutung spielen. Es wird weniger um Produkte, dafür immer mehr um Prozesse gehen. Das heißt: Die Wachstumsraten – zum Beispiel beim Transport von Containern – werden sich abflachen. Dagegen werden die perfekte Organisation, Durchführung, Finanzierung, Versicherung und Kontrolle von Abläufen, also das Wissen, wie und wo man produziert und handelt, viel wichtiger als heute. Zum anderen gehe ich davon aus, dass der Widerstand gegen die Globalisierung stark wächst. Protektionismus und Währungskriege werden zunehmen. Und die Bevölkerung wird wegen der sozialen Ungleichheiten, die durch die Globalisierung entstanden sind, verstärkt auf die Straße gehen und protestieren.

Mal Hand aufs Herz: Wie viel Spaß macht es Ihnen noch, alle paar Monate Wirtschaftsprognosen abzugeben, von denen nicht wenige später von der Realität eingeholt werden?

Straubhaar:

Es ist überhaupt nicht so, dass mir die Arbeit in einem Forschungsinstitut keinen Spaß mehr macht. Im Gegenteil: Ich gehe weiterhin mit großer Freude zur Arbeit. Aber ich denke, gerade mit Blick auf das HWWI, dass neue Impulse durch eine neue Führung durchaus sinnvoll sind.

Wie sehen Sie die Perspektiven des Wirtschaftsstandortes Hamburg 2014?

Straubhaar:

Ich bin beim Blick auf dieses Jahr sehr optimistisch für Deutschland und Hamburg. Bundesweit gehe ich von einem Wirtschaftswachstum von 1,5 bis 2,0 Prozent aus. Hamburg dürfte hier einen ähnlichen Wert erreichen. Allerdings muss sich die lokale Wirtschaft sehr anstrengen. Denn 2014 wird weniger vom Außenhandel als von einer starken Binnennachfrage bestimmt. Auf dem Arbeitsmarkt geht der Weg für Deutschland weiter klar in Richtung Vollbeschäftigung – also hin zu einer Arbeitslosenquote von weniger als fünf Prozent. Hamburg wird meiner Meinung nach im Jahresdurchschnitt deutlich unter der aktuellen Marke von rund 70.000 Erwerbslosen liegen.

Wie wichtig ist aus der Sicht des Ökonomen die zügige Realisierung der Elbvertiefung für Hamburg?

Straubhaar:

Eine leistungsfähige Infrastruktur ist gerade für eine Handelsmetropole wie Hamburg von immenser Bedeutung. Und dazu zählt auch die Elbvertiefung.

Auf welche Branchen sollte Hamburg in den kommenden Jahren sein Hauptaugenmerk richten?

Straubhaar:

Neben dem Hafen sollten die Luftfahrt, generell die Industrie, aber auch die erneuerbaren Energien eine wichtige Rolle spielen. Hamburg tut gut daran, sich seinen breit angelegten Branchenmix zu bewahren. Dabei ist der starke industrielle Kern der zentrale Erfolgsfaktor.

Immer wieder kommen neue Banken-Skandale wie die Dividendentricks bei der HSH Nordbank an die Öffentlichkeit. Lässt Europa seine Geldhäuser an einer zu langen Leine laufen?

Straubhaar:

Wir haben das Bankenproblem in Europa definitiv nicht gelöst. Noch immer sind die Eigenkapitaldecken vieler Geldhäuser viel zu dünn. Es gibt zu hohe Ausfallrisiken bei zu wenig Eigenkapital – das muss sich schleunigst ändern. Am Ende sollten in Europa weniger, aber dafür besonders finanzstarke Banken übrig bleiben, deren Risiken nicht länger der Steuerzahler tragen darf. Es muss zu einer Konsolidierung kommen.

In den Medien ist es still geworden um den Euro. Ist die Euro-Krise aus Ihrer Sicht schon vorbei?

Straubhaar:

Solange die Bankenkrise nicht gelöst ist, geht auch die Euro-Krise nicht vorbei. Denn die Bankenkrise ist maßgeblich für die Staatsverschuldungskrise in Europa verantwortlich.

Wo liegen die größten Risiken?

Straubhaar:

Die größten Risiken sehe ich weiterhin in Ländern in Südeuropa – aber mit Sicherheit nicht in Deutschland.

Wird der Euro als Währung bestehen bleiben?

Straubhaar:

Klares Ja. Den Euro wird es länger geben, als wir uns dies vorstellen können. Vielleicht nicht in der Konstellation mit 18 Euro-Ländern. Es gilt, einen Mechanismus zu finden, damit wer will, den Euro verlassen kann. Weitere Länder könnten dem Währungsraum beitreten. Der Euro wird uns alle überleben.

Die US-Notenbank und die Europäische Zentralbank überschwemmen die Welt mit billigem Geld. Welche Gefahren drohen dadurch?

Straubhaar:

Erstens: Sparen lohnt sich nicht mehr. Der schnelllebige Konsum legt zu, langfristiges Denken und Investieren gehen verloren. Zweitens: Die tiefen Zinsen befördern die Bildung von neuen Preisblasen, wie wir sie meines Erachtens bei Aktien, Immobilien, Kunstwerken oder einigen Rohstoffen schon sehen. Diese Blasen könnten platzen und zu einer neuen Krise führen. Drittens: Wenn die Notenbanken die Leitzinsen erhöhen, wird dies die Staaten weiter unter Druck setzen, da die Zinslasten für die hohen Schuldenberge erdrückend steigen werden. Die Konjunktur wird darunter ebenfalls leiden.

Nach dem Lehrbuch müssten wir eigentlich hohe Inflationsraten haben. Doch das Gegenteil ist in Deutschland der Fall. Woran liegt das?

Straubhaar:

Die alten Weisheiten des Monetarismus gelten nicht mehr. Gemessen wurde Inflation früher an den Konsumwerten. Doch heute fließt das Geld in Vermögens- und Sachwerte, die ja deutlich gestiegen sind. Aber auch manch andere alte Lehrsätze sind Makulatur.

Welche denn?

Straubhaar:

Gelddrucken führt zur Inflation. Staatsanleihen sind sicher. Spare heute, damit du im Alter davon leben kannst. Beziehungen halten lebenslang – zum Beispiel im Job oder auch privat. Dies alles gilt heute nicht mehr.

Das HWWI hat sich seit seiner Gründung 2005 in der Forschungslandschaft etabliert. Sie haben Standorte in Bremen und Erfurt. Wie steht das Institut wirtschaftlich da?

Straubhaar:

Wir haben im Jahr 2013 wieder einen Rekord erreicht, beschäftigen nun insgesamt 54 Mitarbeiter an den drei Standorten und haben einen Umsatz von mehr als 3,5 Millionen Euro erzielt. Angesichts unserer steigenden Forschungsaufträge brauchen wir jedes Jahr auch immer mehr Spenden und Spender, weil wir uns als gemeinnützige GmbH je zu 50 Prozent aus Spenden und Aufträgen finanzieren müssen.

Planen Sie weitere Standorte?

Straubhaar:

Das möchte ich gerne der neuen Führung überlassen, die mich Ende August 2014 ablösen wird. Interessant ist sicherlich der Standort Brüssel, wo zunehmend die Musik spielt und nicht mehr in Berlin. Schon heute haben wir eine Mitarbeiterin, die hauptsächlich EU-Mittel für Projekte akquiriert. Das müssten aber drei, vier machen können.

Wer wird denn nun Ihr Nachfolger beim HWWI?

Straubhaar:

Es hat auf die Stellenausschreibung viele Bewerbungen gegeben. Die endgültige Entscheidung ist aber noch nicht gefallen, es soll allerdings künftig eine Doppelspitze geben. Und der jetzige Forschungsdirektor des HWWI, Michael Bräuninger, wird eine wichtige Rolle spielen.