Inhaber der Nordwandhalle in Wilhelmsburg bauen ihr Angebot aus und suchen einen weiteren Standort

Hamburg. Katrin Erenyi stützt sich mit beiden Füßen auf blaue Tritte an der Kletterwand, greift mit der linken Hand in den blauen Griff, zieht sich hoch und sichert sich ab, indem sie ihr Sicherungsseil durch Expressschlingen zieht: In Windeseile steigt die 36-Jährige die 16 Meter hohe Kletterwand der Nordwandhalle in Wilhelmsburg hoch. Zwischen 250 Routen können die Kletterer im Innenbereich wählen, sie entscheidet sich für „Spidercatwoman“. Dabei sei sie eigentlich doch ein wenig aus der Übung, sagt sie: „Seitdem ich die Halle betreibe, war ich so wenig klettern wie nie zuvor.“

Erenyi ist innerhalb von sechs Monaten quasi zweimal Mutter geworden. Im September 2011 kam Sohn Oskar zur Welt, sechs Monate später eröffnete sie gemeinsam mit ihrem Bruder Jost Hüttenhain ihr anderes „Baby“: Die Nordwandhalle im Inselpark, für deren Konzept die gebürtigen Münchner damals den Gründerpreis in der Kategorie „Existenzgründer“ erhielten. Oskar habe sich natürlich besser entwickelt, sagt sie mit dem Lächeln einer stolzen Mama. Doch auch die 5,2 Millionen Euro teure Kletterhalle befinde sich – nach einer wegen Bauproblemen um fünf Monate verschobenen Eröffnung – nun auf einem guten Weg, sagt die Geschäftsführerin: „Beim Umsatz haben wir im vergangenen Jahr die Marke von 1,5 Millionen Euro deutlich überschritten.“ Trotz der Internationalen Gartenschau (igs), die dem Geschwisterpaar heftige Einbußen brachten.

Die Internationale Gartenschau sorgte für ein Umsatzminus von 300.000 Euro

Viele Kletterer hätten in den Sommermonaten den Gang in die Nordwandhalle gescheut, weil sie beim Betreten des Geländes ein Pfand von 20 Euro hinterlegen mussten und viele sogar fürchteten, Eintritt für die igs zahlen zu müssen. Die Einnahmen durch die Eintrittsgelder gingen von Ende April bis Mitte Oktober deutlich zurück. Und auch das Gastronomieangebot mit 35 Innen- und etwa ebenso vielen Außenplätzen wurde von den Gartenliebhabern nicht so stark angenommen wie erhofft. Mit rund 300.000 Euro mehr Umsatz hatten Erenyi und Hüttenhain während der igs gerechnet.

14 feste Mitarbeiter hat sie auf der Gehaltsliste, davon sind zwei Auszubildende, die eine als Büro-, der andere als Sport- und Fitnesskaufmann. Hinzu kommen 30 bis 35 freie Mitarbeiter, die als Trainer, Betreuer oder Servicekräfte arbeiten. Die Geschwister hatten mit weniger Personal kalkuliert, doch die Öffnungszeiten von 13 Stunden täglich machten ein Aufstocken bei den Beschäftigten notwendig. Generell stimme die Richtung der Geschäftszahlen aber. Bis Ende des vergangenen März seien die Umsatzziele leicht übertroffen worden, in diesem Jahr sollen die Erlöse um 25 Prozent steigen. „Seit September schreiben wir schwarze Zahlen“, sagt die Betriebswirtin. Generell laufe im Winterhalbjahr das Hauptgeschäft, obwohl auch an der Außenwand der Halle mehr als 100 Routen zum Klettern im Sonnenschein einladen.

„2014 wird für uns das Jahr der Wahrheit“, sagt Erenyi und freut sich auf ein Jahr ohne den Störfaktor igs. Die Sportler können in der 6000 Quadratmeter großen Halle zwischen dem Schulungsbereich mit zehn Meter hohen Wänden für Einsteiger, der Innenwand mit leichten Überhängen und Verschneidungen für Fortgeschrittene und dem Turm mit starken Überhängen für Fastprofis wählen. Hinzu kommt der Boulderbereich. Beim Bouldern wird in Absprunghöhe geklettert, die Wand ist lediglich vier Meter hoch. Die Kletterer üben neue Bewegungsabläufe, der zurückgelegte Weg ist meist verhältnismäßig kurz, aber kräftezehrend. Erenyi möchte das Angebot im Sommer gern um zwei Boulderplätze erweitern. Draußen sollen Grillplätze entstehen, die die Leute mieten und dort auch ihr eigenes Essen verzehren können. Für Kinder soll eine Schaukel und ein Klettergerüst gebaut werden.

Doch nicht nur in Wilhelmsburg ist das Unternehmen, das zu 33 Prozent den Geschwistern gehört und dessen restliche Anteile die Familie und drei Freunde halten, auf Wachstum gepolt. „Wir sind auf der Standortsuche für eine zweite Boulder- oder Kletterhalle“, sagt Erenyi, die seit dem Spätsommer allein das operative Geschäft der Nordwandhalle leitet. Ihr 3,5 Jahre älterer Bruder wollte sich neuen Projekten widmen. So kümmert sich Jost Hüttenhain nun im Verein Wilhelmsburger Inselpark um ein besseres Image der Parkanlage, die mit Sport-, Bildungs- und Kulturangeboten einen hohen Freizeitwert bietet. Und hält Ausschau nach einem zweiten Standort. Infrage komme entweder das Ausland oder Hamburg. Erenyi ist überzeugt, dass neben der Kletterhalle in Lokstedt und der Nordwandhalle der Markt in der Hansestadt dafür noch groß genug wäre. Schließlich habe München sieben Hallen. Erenyi: „In Norddeutschland ist der Höhepunkt der Entwicklung noch nicht erreicht, die Kletterwelle schwappt von Süden nach Norden.“

Die Geschäftsführerin hofft, dass der Trend zu mehr Firmenevents anhält. Die Haspa und Adidas seien schon Kunden gewesen. Firmen können den 130 Quadratmeter großen Seminarraum mit Bestuhlung für bis zu 100 Personen mieten. Etwa sechs bis sieben Prozent des Umsatzes erzielt die Nordwandhalle Betriebsgesellschaft mbH durch Meetings oder Konferenzen. Fünf Prozent tragen Kindergeburtstage zu den Erlösen bei. Zweieinhalb Stunden in den Seilen hängen kostet 60 Euro für den Trainer und 11,50 Euro für jedes Kind. Darin enthalten sind der Verleih von Schuhen, Gurt, Seil und Sicherungsgerät. „Wir feiern an Wochenenden bis zu 15 Kindergeburtstage“, sagt Erenyi.

Das Kursangebot – darunter fallen auch Besuche von Schulklassen – steuert maximal ein Fünftel der Einnahmen bei, die Gastronomie zehn Prozent. Der Löwenanteil kommt durch die Eintrittsgelder der Kletterer hinein, die für die Tageskarte 15,50 Euro zahlen. Maximal 700 Sportler passen pro Tag in die Halle, aus Platzgründen abgewiesen wurde bisher noch keiner. „Auch wenn wir an den Wochenenden nah an unserer Kapazitätsgrenze sind“, sagt Erenyi, die nicht nur mit dem Klettern, sondern auch mit einem Kletterer verheiratet ist. Ehemann Chrisu, der als Betriebsleiter für die Hallenorganisation zuständig ist, lernte sie auf einer Tour in der Türkei kennen. Kein Wunder, dass auch Sohn Oskar schon erste „Höhenluft“ schnuppert. Mit Vorliebe kraxelt er im Boulderbereich herum. Die größte Schwierigkeit für ihn ist das Wort: Er nennt das Bouldern „Bobern“.