Sönke Fock, Chef der Hamburger Arbeitsagentur, über Probleme durch die Rente mit 63, die Folgen des Mindestlohns und Lehrstellen der Zukunft

Hamburg . Die schwache Konjunktur in diesem Jahr belastete auch den Arbeitsmarkt in der Hansestadt. Doch Besserung ist in Sicht, meint zumindest Hamburgs Arbeitsagentur-Chef Sönke Fock. Das Abendblatt sprach mit ihm über die Perspektiven für Erwerbslose, den Fachkräftemangel, Zuwanderer und die Ausbildungsmöglichkeiten für junge Menschen.

Hamburger Abendblatt:

Im Jahr 2013 lag die Zahl der Arbeitslosen anders als im Vorjahr durchgängig über 70.000. Wie zufrieden sind Sie mit der Entwicklung?

Sönke Fock:

Ein weiterer Abbau der Arbeitslosigkeit war nicht zu erwarten, weil sich im Jahr 2013 das Wirtschaftswachstum stark abgeschwächt hat. Im Juli haben wir mit 73.400 Jobsuchenden den höchsten Stand des Jahres erreicht. In diesem Monat wurden besonders viele Berufsstarter erfasst, die ihre Ausbildung beendet, aber noch nicht gleich einen Arbeitsplatz gefunden hatten. Danach ist die Zahl der Arbeitslosen wieder gesunken.

Im nächsten Jahr soll sich das Wirtschaftswachstum laut Experten verdreifachen. Wie wird sich das auf den Arbeitsmarkt auswirken?

Fock:

Von den Rahmenbedingungen her, erwarte ich eine ähnliche Entwicklung wie 2012 mit 70.500 im monatlichen Durchschnitt. Für den Herbst 2014 rechne ich mit bis zu 3000 weniger Arbeitslosen als im Oktober dieses Jahres mit 71.200. Im Durchschnitt des Jahres 2014 werden wir voraussichtlich 1200 Arbeitslose weniger haben als 2013. Zu Jahresbeginn wird die Arbeitslosigkeit aber aus saisonalen Gründen noch einmal ansteigen.

Bei den guten Konjunkturaussichten mit einem Wirtschaftswachstum von bis zu zwei Prozent klingt das nicht sehr optimistisch.

Fock:

Die Konjunktur muss erst einmal wieder beständig in Schwung kommen, bevor die Firmen schneller zu Neueinstellungen bereit sind. Größere Fortschritte am Arbeitsmarkt sind deshalb zunächst nicht absehbar, auch deshalb, weil die Arbeitslosigkeit in den vergangenen Jahren schon deutlich reduziert wurde. Im Jahr 2006 hatten wir noch mehr als 100.000 Arbeitslose.

Wie wird sich die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohnes auswirken?

Fock:

Wegen der langen Übergangszeit sehe ich für 2014 noch keine Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt. Die Bewährungsprobe wird erst 2017 kommen und wie hoch dann der Mindestlohn sein wird, kann man jetzt noch nicht absehen. Die Auswirkungen werden davon abhängen, inwieweit die Firmen die höheren Kosten an ihre Kunden weitergeben können.

Der Einstieg in die Selbstständigkeit aus der Arbeitslosigkeit soll wieder stärker gefördert werden. Wie bewerten Sie das?

Fock:

Darüber freuen wir uns sehr, denn Hamburg war eine Hochburg der Förderung der Selbstständigkeit aus Arbeitslosigkeit. Seit November 2011 sind unsere Möglichkeiten deutlich eingeschränkt, denn die Vermittlung in eine sozialversicherungspflichtige Tätigkeit hat Vorrang. Damit ist die Zahl der geförderten Selbstständigen auf ein Viertel zurückgegangen.

Welche Auswirkungen werden die weiteren Beschlüsse der Großen Koalition noch auf den Arbeitsmarkt haben?

Fock:

Die Rente mit 63 kann den Fachkräftemangel verstärken. Denn seit dem Jahr 2009 hat die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in der Altersgruppe 60 bis 65 Jahre in Hamburg um 30 Prozent auf 42.570 zugenommen. Wenn sich künftig schätzungsweise ein Viertel dieser Gruppe vorzeitig vom Arbeitsmarkt zurückzieht, kann das Lücken bei den Unternehmen reißen.

Wie sieht die Haushaltslage der Arbeitsagentur Hamburg im Jahr 2014 aus?

Fock:

Der Arbeitsagentur stehen 64,9 Millionen Euro zur Verfügung. Hier erwarte ich keine Einschränkungen. Auch dem Jobcenter, in dem die Arbeitslosen mit Hartz-IV-Leistungen betreut werden, stehen mit rund 95 Millionen Euro so viel Mittel wie im Jahr 2013 zur Verfügung. Das ist aber nur noch halb so viel wie 2010 und stellt uns folglich vor Probleme.

Was bedeutet das für die Betroffenen?

Fock:

Im Jahr 2013 zeigte sich deutlich, wie schwer es Menschen ohne berufsqualifizierenden Abschluss, im höheren Lebensalter ab 50 oder mit gesundheitlichen Problemen hatten, in den Arbeitsmarkt zurückzukehren. Ein großes Problem ist, dass mehr als die Hälfte der arbeitslos gemeldeten Hamburger über keinen Berufsabschluss verfügt. Mit mehrjährigen Umschulungen für die Betroffenen kann diesem Problem begegnet werden. Bei zurückgehenden Haushaltsmitteln ist aber in jedem Einzelfall abzuwägen, wie eine solche mehrjährige Investition realisiert werden kann. Deshalb müssen auch andere Instrumente der Vermittlungsarbeit intensiviert werden. Dies geschieht unter anderem durch neue Betreuungsrelationen zwischen den Kunden und den Vermittlungsfachkräften.

Für einen Teil der Arbeitslosen, die von der Arbeitsagentur betreut werden, gibt es ein spezielles Programm damit sie nicht zu Hartz-IV-Empfängern werden. Wie sind die Erfahrungen?

Fock:

In diesem Programm werden ständig 2000 Kunden der Arbeitsagentur betreut. Seit dem Start im Mai 2013 konnten 1253 in eine neue Beschäftigung vermittelt werden. Es geht darum, rechtzeitig schwerwiegende Vermittlungshemmnisse zu erkennen. Das kann die letzte Tätigkeit, das Alter, der Gesundheitszustand oder die Qualifizierung sein. Dazu gibt es eine intensive Betreuung der Jobsuchenden, die nicht bei allen Arbeitslosen notwendig ist.

Welche Branchen profitieren davon, dass junge Menschen aus Spanien, Portugal oder Griechenland an die Elbe kommen und welchen Anteil hat die Arbeitsvermittlung dabei?

Fock:

Bisher profitieren vor allem das Handwerk, Hotels und Gastronomie. Die Vermittlung läuft über die Zentrale Auslands- und Fachvermittlung (ZAV) der Arbeitsagentur, die die Zuwanderer auch bei Praktika, Sprachkursen und Umzug unterstützt. Gefördert werden die Zuwanderer auch durch das EU-Mobilitätsprogramm. Hamburg wird von dieser Zuwanderung auf alle Fälle profitieren, denn die Vermittlung erfolgt in Berufen und Branchen, die schon länger Engpässe verzeichnen und allein mit einheimischen Bewerbern nicht besetzt werden können.

Welche Fortschritte gibt es bei der Integration von behinderten Menschen in reguläre Arbeitsverhältnisse?

Fock:

Trotz der Schwäche am Arbeitsmarkt waren Schwerbehinderte nicht überproportional von Entlassungen betroffen. Ihr Anteil unter den Arbeitslosen beträgt 4,7 Prozent und hat sich innerhalb eines Jahres nicht erhöht. Schwerbehinderte sind in der Regel gut qualifiziert und werden von den Firmen so lange gehalten wie es möglich ist. Wenn behinderte Beschäftigte einmal entlassen wurden, ist aber ihre Rückkehr in den Arbeitsmarkt schwieriger. Generell sind wir allerdings mit der Integration Behinderter in den Arbeitsmarkt nicht zufrieden. Finanzielle Hilfen der Arbeitsagentur dafür werden von den Unternehmen nur unzureichend genutzt.

In diesem Jahr gab es mehr Lehrstellen als Bewerber. Wie wird sich die Situation 2014 entwickeln?

Fock:

Zum dritten Mal in Folge gab es 2013 deutlich mehr Ausbildungsplätze als Bewerber. Diese Entwicklung wird sich 2014 fortsetzen. Für den Ausbildungsbeginn im Februar wurden uns bereits 1200 freie Lehrstellen gemeldet. Für den Spätsommer stehen schon heute 5000 Ausbildungsplätze zur Verfügung. Die Zahl wird sich noch verdoppeln. Vom Angebot her gibt es also für jeden Schulabgänger auch eine Ausbildungsmöglichkeit.

Warum ist es dennoch so schwierig, dass Ausbildungsbetriebe und Schulabgänger zusammenfinden?

Fock:

Die Unternehmen wollen und können ihre Anforderungen an die Bewerber nicht in jedem Fall reduzieren und die Bewerber finden auch nicht jeden angebotenen Ausbildungsplatz attraktiv. Wir setzen deshalb auf die verbindliche Berufsorientierung ab der 8. Klasse in allen Stadtteilschulen. Damit können schon Jahre vor der eigent1lichen Bewerbung Vorstellungen und Anforderungen besser in Übereinstimmung gebracht werden. Außerdem haben wir jetzt in allen Bezirken eine Jugendberufsagentur, die junge Menschen unter 25 Jahren rund um die Themen Ausbildung, Berufs- oder Studienwahl berät. Fachleute aus der Jugendhilfe können den jungen Menschen bei persönlichen Problemen unter die Arme greifen. Ich erwarte, dass sich mit diesen beiden Instrumenten die Vermittlung deutlich verbessern wird.

2014 soll die Hauptagentur der Arbeitsagentur in der Kurt-Schumacher-Allee saniert werden. Was bedeutet das für Mitarbeiter und Kunden?

Fock:

In dem denkmalgeschützten Gebäude aus dem Jahr 1953 werden Heizung, Fenster und Fahrstühle saniert, um vor allem die Energieeffizienz zu verbessern. Die Bauarbeiten werden sich über zwei Jahre erstrecken aber alle Beratungsleistungen werden weiterhin vor Ort erbracht. Die Kunden und Kollegen müssen aber mit manchen Provisorien und Umleitungen rechnen. Auch Baulärm und Staub werden sich nicht vermeiden lassen. Insgesamt werden elf Millionen Euro investiert.