Reiner Voß aus Reinfeld steigt jetzt auch in Fertigung von Massivholzmöbeln ein

Reinfeld. Die Platte auf der Holzbearbeitungsmaschine misst fünf mal 22 Meter. Wenige Minuten später ist sie in viele Einzelteile zerlegt – in Stufen und Wangen für den Treppenbau mit ganz unterschiedlichen Maßen. Der Verschnitt ist gering und Tischlermeister Reiner Voß zufrieden. Es ist seine neueste Anschaffung, 450.000 Euro hat er investiert. „Der computergesteuerte Zuschnitt mit einer sogenannten Nesting-Maschine spart 15 bis 20 Prozent an Material“, sagt Voß. Schon in zwei Jahren soll sich die Neuanschaffung für das Unternehmen ausgezahlt haben.

In diesen Wochen herrscht Hochbetrieb bei der Firma Treppenbau Voß in Reinfeld bei Lübeck. Vor Weihnachten wollen noch alle in ihre neu gebauten Häuser einziehen. Vorher muss die Treppe montiert werden. In den letzten drei Monaten des Jahres arbeiten die 63 Mitarbeiter im Zweischichtbetrieb, denn 50 Prozent der Treppen verlassen den Handwerksbetrieb im vierten Quartal. Pro Jahr sind das 2800 Treppen. Voß ist Norddeutschlands größter Treppenbauer. Zwei seiner insgesamt sieben Treppenstudios für die Kundenanbahnung sind in Hamburg, 30 Prozent der Kunden kommen aus der Hansestadt. Nähe zum Kunden ist wichtig. „Sie wollen sehen und anfassen“, sagt Voß. In den bis zu 150 Quadratmeter großen Showräumen holen sich die Kunden Anregungen, können Holzarten auswählen, Treppenarten vergleichen und über Stufen, Pfosten und Handläufe befinden. Die Kunden geben je nach Modell zwischen 3000 und 40.000 Euro aus.

Immer wichtiger wird im Treppenbau die integrierte Beleuchtung. Drei von zehn Kunden lassen sich dafür begeistern. Die seitlich integrierten LED-Lampen schalten sich beim Betreten automatisch ein oder „laufen“ von Stufe zu Stufe mit. Bei der Beleuchtung kann auch unter verschiedenen Lichtstimmungen gewählt werden. „Während die Art der Treppe meist von der Frau des Hauses bestimmt wird, treten bei der Beleuchtung die Männer als Entscheider auf“, sagt Voß. Er war selbst überrascht, wie gut sich die Beleuchtungselemente verkaufen lassen.

Voß ist auch Vorreiter beim Einsatz neuer Materialien im Treppenbau. Er holt ein Materialmuster hervor, das auf den ersten Blick wie Stahl aussieht und sich auch fast so anfühlt, aber viel leichter ist und sich besser verarbeiten lässt. „Wir haben als einer der ersten das Material HPL (High Pressure Laminate), eine Art verhärtetes Laminat, für den Treppenbau nutzbar gemacht. Es besteht aus Papier und ausgehärteten Kunstharzen“, sagt Voß. Er fertigt daraus die seitlichen Wangen für die Treppe, die dann wie eine Kombination aus Stahl und Holz für die Stufen wirkt.

Neue Werkstoffe, moderne Maschinen und effiziente Abläufe haben aus dem Handwerksbetrieb eines der 100 innovativsten Unternehmen Deutschlands mit 50 bis 250 Mitarbeitern gemacht. Der Preis wird jährlich auf Basis einer Analyse der Wirtschaftsuniversität Wien verliehen. Nur sechs Prozent der Preisträger sind Handwerksbetriebe. Die Experten würdigten die stetige technologische Weiterentwicklung des Betriebs und die moderne Vermarktung.

Voß fürchtet zwei Dinge: Stillstand und Betriebsblindheit. Deshalb holt er Berater von außen in das Unternehmen, die die Abläufe analysieren. Einer von ihnen stattete die Mitarbeiter mit Schrittzählern aus. So stellte sich heraus, dass manche Mitarbeiter bis zu zehn Kilometer am Tag laufen. Mit der Veränderung von Arbeitsplätzen und Lagerstätten konnten die Laufstrecken deutlich reduziert werden. „Solche Schritte planen wir immer gemeinsam mit den Mitarbeitern“, sagt Voß. „Keiner muss Angst haben, wegen der Produktivitätssteigerung seinen Arbeitsplatz zu verlieren.“ Die Belegschaft wächst jährlich um zehn Prozent. Auch um den Nachwuchs kümmert sich Voß. Vier Lehrlinge haben in diesem Jahr ihre Ausbildung aufgenommen, davon zwei Mädchen. Die Flächen von Werkhallen und Büros in Reinfeld haben sich seit der Ansiedlung 1994 fast verfünffacht. „Aller vier Jahre bauen wir an“, sagt Voß.

Unübersehbar in den beiden großen Hallen ist sein Faible für moderne Maschinen. „Da bin ich schon sehr investitionsfreudig, wenn ich selbst für ein Werkzeug 4000 Euro ausgebe, um hiermit Qualität und Geschwindigkeit zu verbessern, das man in einfacher Ausführung schon für 300 Euro bekommen kann“, sagt er. Aber nur Enthusiasmus für moderne Holzbearbeitungsmaschinen ist das natürlich nicht. Es geht darum, die Produktivität des Betriebs voranzubringen. Wie lange er jetzt für die Fertigung einer Treppe benötigt, will er nicht sagen, aber innerhalb von zwei Jahrzehnten hat sich die Herstellungszeit geviertelt.

„Dennoch ist eine Treppe noch zu 50 Prozent Handarbeit“, sagt der Tischlermeister. Ein Beispiel dafür ist die Fertigung gewundener Geländer aus dünnen Lamellen, die aufeinandergeschichtet und miteinander verleimt werden. „Das beherrschen nicht viele“, sagt Voß. Die Herausforderung sind im großen Radius geschwungene Treppen, wie sie etwa in Hamburger Villen stehen.

Reiner Voß hat sich 1990 selbstständig gemacht. Er startete als Einzelkämpfer in einer Garage in Krummesse bei Lübeck und montierte norwegische Treppen. Beim Handwerk ist er vorbelastet, doch seinen Geschäftssinn hat er selbst entdeckt. Sein Vater war Tischler am Lübecker Stadttheater. Vier Jahre nach dem Start zog er mit drei Gesellen in das Gewerbegebiet Reinfeld und baute hier seinen Betrieb ständig aus. Inzwischen erreicht er einen Jahresumsatz von knapp sieben Millionen Euro. „Wir wachsen jedes Jahr um 20 bis 30 Prozent“, sagt Voß. Ob eines seiner vier Kinder den Betrieb einmal übernimmt, ist noch offen. Doch mit der Nachfolge beschäftigt sich der 49-Jährige ohnehin noch nicht. Dazu hat er selbst noch zu viel Pläne.

Buche, und Eiche sind die gefragten Hölzer beim Treppenbau, aber auch dunkle Hölzer wie Akazie oder Nussbaum in Kombination mit weißen Oberflächen laufen gut. Noch werden 70 Prozent der Treppenstufen lackiert. Doch die Nachfrage nach geölten Oberflächen steigt, weil sie keine Lösungsmittel enthalten. Geölte Stufen sind allerdings teurer, weil das Öl per Hand und Pinsel aufgetragen wird. Im nächsten Jahr will Voß diesen Preisunterschied beseitigen. Man ahnt es schon: mit einer Maschine.

Sein großer Maschinenpark hat ihn in seiner neuen Geschäftsidee bestärkt: Der Fertigung von Massivholzmöbeln nach Kundenwunsch. Der Auslöser dafür waren seine Kunden. Nach dem Treppeneinbau kamen noch mehr Wünsche: eine Garderobe, die zur Treppe passt oder ein massiver Tisch. „Eine Treppe hält ein Leben lang, normalerweise kommt der Kunde also nicht mehr zu uns zurück“, sagt Voß. „Mit dem eigenen Möbelbau können wir Treppenkunden stärker an uns binden.“ Für die neue Fertigung wird gerade eine neue 1500 Quadratmeter große Halle errichtet. Die Maschinen für die Treppenfertigung können auch für die Möbelproduktion genutzt werden.

Schon eröffnet ist der neue 400 Quadratmeter große Ausstellungsraum für die Möbel. Von der Einbauküche über Ess- und Schreibtische bis zu Schränken und Anrichten zeigt Voß hier seine Produktpalette, die zu einem zweiten Standbein für das Unternehmen werden soll. „2014 wollen wir damit einen Umsatzanteil von zehn Prozent erreichen und in den Folgejahren jeweils um zehn Prozent zulegen.“ Manche neue Maschine wird sicherlich auch noch hinzukommen.