Gut jeder dritte Beschäftigte fährt zur Arbeit über die Stadtgrenze. Tendenz steigend. Auch Städte im Umland können laut HWWI-Studie profitieren

Hamburg. In den U- und S-Bahnen sowie in den Bussen stehen die Menschen zu Stoßzeiten dicht an dicht. Autofahrer fahren an, bremsen ab, stehen auf der Stelle. „Wir sind in Hamburg besonders staugefährdet“, sagt Thomas Straubhaar, Direktor des Hamburgischen WeltWirtschaftsInstituts (HWWI). Mit 43,1 Prozent benötigt fast jeder zweite Erwerbstätige für den Arbeitsweg mehr als eine halbe Stunde, ermittelte das HWWI in der Studie „L(i)ebenswertes Hamburg: Berufspendler in der Metropolregion“ für die Hamburger Sparkasse (Haspa). Das waren 4,7 Prozentpunkte mehr als im Jahr 2008. Damit schneidet die Elbmetropole unter den deutschen Großstädten schlecht ab: Nur in Berlin sind es mit 47,4 Prozent noch mehr.

Einer der wichtigsten Gründe für die viel zeitfressenden Anfahrtswege: Immer mehr Pendler kommen zum Job nach Hamburg. Im vergangenen Jahr pendelten 321.000 Berufstätige täglich in die Hansestadt. Das waren 35,5 Prozent mehr als 1989. Damit wohnt heute mehr als jeder dritte in der Stadt Beschäftigte (37,6 Prozent) in einem anderen Bundesland. In absoluten Zahlen kommen die meisten sogenannten Einpendler mit 15.837 aus Norderstedt. Seevetal (9283) und die Stadt Pinneberg (7190) folgen auf den Plätzen zwei und drei. Selbst aus dem Stadtstaat Bremen (3547) und den Landeshauptstädten Kiel (2937), Hannover (1787) und Schwerin (1249) pendeln zusammen fast 10.000 Beschäftigte an Alster und Elbe zum Arbeitsplatz. Bis 2020 erwartet das HWWI einen Anstieg der Einpendler insgesamt auf rund 362.000.

Einige Gemeinden in der Metropolregion müssen mit dem Etikett „Schlafstadt“ leben. Aus Oststeinbek machen sich rund sieben von zehn sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten jeden Tag auf den Weg nach Hamburg. Anteile von weit mehr als 60 Prozent weisen auch Barsbüttel (66,29 Prozent), Neu Wulmstorf (65,97), Schenefeld (65,48) und Stapelfeld (65,29) aus.

„Mit gehobenem Lebensstandard wird Mobilität immer wichtiger“, sagt Straubhaar. Dank des Fortschritts bei der Technik werde die Fahrt mit Auto oder Zug bequemer, die Bereitschaft steige, auch längere Distanzen zurückzulegen. „Zudem führt der Ausbau der Infrastruktur dazu, dass immer mehr Menschen in ein Zentrum pendeln“, sagt Straubhaar. Jede neu oder ausgebaute Straße zieht mehr Verkehr nach sich. Im Extremfall führt das zu Stau und mehr Stress bei den Autofahrern. Straubhaar spricht vom Pendlerparadoxon: „Eigentlich macht Pendeln unglücklich, aber trotzdem wird es gemacht.“ Längere Strecken nähmen vor allem Höherqualifizierte und Führungskräfte in Kauf.

Die Pendlerströme sind aber längst keine Einbahnstraße mehr. In den vergangenen 23 Jahren haben auch immer mehr Hamburger das Umland als Arbeitgeber entdeckt. 102.000 Personen fuhren im vergangenen Jahr aus dem Stadtstaat hinaus, um außerhalb Geld zu verdienen – doppelt so viele wie 1989. Weil in Hamburg der Platz begrenzt ist, werden Gewerbeflächen teurer. Die Folge: Betriebe siedeln sich im Umland an, die Arbeitskräfte ziehen nach. Das HWWI erwartet daher ein Fortsetzen des Trends: Die Zahl der Auspendler könnte bis 2020 auf 133.000 steigen.

Um den wachsenden Pendlerströmen Herr zu werden, fordert Straubhaar einen Ausbau und eine Modernisierung der Infrastruktur und vor allem eine „intelligente Nutzung“ durch computergestützte Verkehrsführung. Investitionsschwerpunkt sollten der Öffentliche Personennahverkehr (ÖPNV) und die Fahrradinfrastruktur sein, weil das Auto bei kommenden Generationen an Bedeutung einbüße. Schon heute ist der Anteil der ÖPNV-Nutzer unter den Berufspendlern in Hamburg mit 41,2 Prozent höher als im Bundesschnitt (36,8 Prozent) und innerhalb von fünf Jahren um zwei Prozentpunkte gestiegen.

Der Scheitelpunkt der Pendlerströme könnte aber bald erreicht sein. Anfang des nächsten Jahrzehnts beginnen die geburtenstarken Jahrgänge, in Rente zu gehen, der Anteil der Beschäftigten sinkt. Reine Schlafstädte werde es im Umland nicht mehr geben, sagt Straubhaar: „Die Energiepreise werden zu hoch sein. Der Anteil berufstätiger Frauen steigt und erfordert eine engere Verzahnung von Familie und Beruf. Zudem sinkt die Zahl der Personen pro Haushalt, sodass das klassische Einfamilienhaus am Stadtrand seine Anziehungskraft verliert.“ Nutznießer könnten benachbarte Städte mit 50.000 bis 150.000 Einwohner sein. „Städte wie Lüneburg können zu attraktiven Subzentren werden“, sagt Straubhaar. Ihr Vorteil: Die Einwohner finden dort alle wichtigen Einrichtungen wie Krankenhäuser, Schulen, eine Vielzahl von Geschäften. Und vielleicht sogar ihren Arbeitsplatz. Sollten sie aber dennoch den Job wechseln müssen oder wollen, könnten sie sich wieder problemlos nach Hamburg orientieren – weil die Verkehrsinfrastruktur gut ausgebaut sei und ein Pendeln erleichtert.