Gollnest & Kiesel aus Güster bei Lauenburg ist zu einem der drei größten Hersteller der Branche in Europa aufgestiegen. Die Geschichte begann einst in Wilhelmsburg.

Es riecht nach Lack, Lösungsmitteln und Politur. Holzspäne fliegen in der Tischlerwerkstatt herum. Aus dem Radio dröhnt Falcos „Der Kommissar“. Dieter Lüneburg verpasst einem Bagger den letzten Schliff. Mit einem Schleifpad entfernt der technische Leiter die letzten groben Partikel an der Schaufel. Fast jeden Tag stellt der 64-Jährige eine neue Spielzeugidee her. Lüneburg entwirft die Prototypen von geplanten Neuerscheinungen und prüft sie auf ihre Eignung für die Serienfertigung. Er sägt, feilt und lackiert. „Manchmal ist das, was gezeichnet wurde, nicht machbar“, sagt er. Dann geht der Plan mit den Ideen zurück an die Designer zum Feintuning.

Die meisten Skizzen finden aber ihren Weg in reales Spielzeug. Zwischen 250 und 300 Artikel bringt Lüneburgs Arbeitgeber pro Jahr erstmals in die Geschäfte. Die Firma Gollnest & Kiesel aus Güster nahe Lauenburg gehört nach eigenen Angaben zu den drei größten Herstellern von Holzspielzeug in Europa. Ein imposanter Aufstieg des Familienunternehmens, dessen Keimzelle in Wilhelmsburg liegt.

Rückblende: Fritz Rüdiger Kiesel arbeitet 1979 in der Hansestadt als Einkäufer und importiert Häute, Felle und Leder aus China. „Auf den Reisen habe ich dann festgestellt, dass dort auch Spielzeug hergestellt wird“, erzählt der heute 59-Jährige. Im Lager im Freihafen trifft er häufig Gerhard Gollnest. Sie verstehen sich gut und beschließen, Geschäftspartner zu werden. In einem Hongkonger Kaufhaus finden sie Waren, die in der Volksrepublik produziert wurden. Sie bestellen Spielwaren, Teeservices und Fußmatten und lassen sie an die Elbe transportieren. „Fußmatten aus Kokos für Budnikowsky waren eines der ersten Produkte, die wir angeboten haben“, sagt Kiesel. Zum Renner entwickelten sich aber Blechaufziehfrösche, Glasmurmeln und Fensterbaukästen aus Holz. „Auf einem Weihnachtsmarkt in Planten un Blomen sind wir unsere Sachen schnell losgeworden“, sagt Kiesel.

In einer zugemauerten Hausdurchfahrt an der Veringstraße richten die beiden ein Lager ein, importieren Spielwaren aus Holz und Blech und verkaufen sie als Großhändler wieder. Das Kaufmännische liegt beiden im Blut. Sowohl die Eltern von Kiesel in Wilhelmsburg als auch die von Gollnest in Ahrensburg betreiben Tante-Emma-Läden. „Wir haben unsere Kindheit darin verbracht“, sagt der 57 Jahre alte Gollnest. Sie bringen den ersten Katalog heraus – ein DIN-A4-Blatt mit 34 Artikeln. „Herr Gollnest ist dann mit einem Musterkoffer losgezogen“, sagt Kiesel. Die Produkte finden ihre Abnehmer. 1981 machen sie rund 60.000 D-Mark Umsatz. Erst wurden Garagen an der Nachbarstraße als zusätzliche Lagerfläche gemietet, dann eine Scheune in Ahrensburg. „Letztlich haben wir damals zwei Drittel der Zeit mit Fahren verbracht“, sagt Kiesel. Als Gollnests Schwiegervater den Kiesabbau in Güster – rund 50 Kilometer östlich von Hamburg an der Autobahn 24 gelegen – einstellt, macht das Unternehmen den Schritt an die ehemalige Zonengrenze und zieht in die Gebäude des Kieswerks.

Das Geschäft wächst stetig. Fast jedes Jahr wurde ein neues Gebäude gebaut. 2003 wird eine neue 8000 Quadratmeter große Lagerhalle am Ortsrand eingeweiht. Zwei Jahre später entschließen sich die Chefs, den Schritt vom Großhändler zum Hersteller von Spielzeug zu machen. Sie errichten in Jiaxing – etwa 120 Kilometer westlich von der Hauptstadt Peking – eine eigene Produktion. „Dadurch haben wir uns vom Markt abgehoben“, sagt Kiesel.

Ideen für neue Produkte, der Entwurf von Prototypen, Serienfertigung, Verpackung, Logistik – alles erfolgt nun in Eigenregie. Ein wichtiger Grund für den Schritt zum Produzenten war die in Europa hochkochende Diskussion um die Sicherheit und die Belastung mit Schadstoffen von Spielzeug. „Wir wollten Unsicherheiten ausschließen“, sagt Kiesel und ergänzt: „Denn auf dem Papier erfüllen die Chinesen schnell die Forderungen.“ So werde die Verwendung von zertifizierten Stoffen schnell erklärt, in der Praxis werde dann aber doch noch fix auf einen noch herumstehenden Pott Farbe zurückgegriffen, der zu hohe Grenzwerte aufweise und für Kinderhände und -münder nicht geeignet sei. Nun sei in jedem Produkt der Einsatz der gleichen Komponenten garantiert. „Wir fertigen alle Produkte im Holzbereich selbst. Die Produktion ist in deutscher Führung und wird nach europäischen Standards umgesetzt“, sagt Gollnest. Heute stellen rund 300 Mitarbeiter in einem Betrieb das Holzspielzeug her, 100 Mitarbeiter kümmern sich in einem anderen Werk um Textilien, die zum Beispiel für Puppen gebraucht werden.

„Die Fabriken sind sehr modern, wir gelten dort schon als Vorbild“, sagt Kiesel. Gehälter und Arbeitsbedingungen seien überdurchschnittlich gut, alle Beschäftigten seien auf Unternehmenskosten kranken- und rentenversichert. Rund zehnmal pro Jahr ist einer der beiden Chefs im Reich der Mitte unterwegs, zehn bis 20 Tage dauern die Dienstreisen. Die Gewinnmargen in der Produktion seien sehr dünn, sagt Gollnest. Neben den beiden Werken in China beschäftigt Gollnest & Kiesel auch in Rumänien 55 Mitarbeiter, die zum Beispiel Figuren unter der Marke Holztiger herstellen. Kiesel sagt: „In Deutschland wären wir wegen des hohen Anteils an Handarbeit nicht wettbewerbsfähig.“ Schließlich würden Löhne und Rohstoffpreise ständig steigen – und auch das Verwenden der teureren Spielzeugsicherheitsfarbe schlage sich in höheren Kosten nieder. Am Anfang seien die Normierungen der EU sehr sinnvoll gewesen, sagt Gollnest. Mittlerweile hält er die Paragrafenflut für übertrieben. So habe es in der Europäischen Union noch nie einen Unfall mit einer Schnullerkette gegeben, die entsprechende EU-Norm umfasse aber von einst 18 eng beschriebenen DIN-A4-Seiten mittlerweile 76. Bei 2200 angebotenen Artikeln haben die Güsteraner Tausende an Seiten mit Verordnungen im Schrank. „Allein hier beschäftigen wir drei Leute mit Sicherheitsfragen, im Ausland sind es noch mal so viele“, sagt Gollnest. Im eigenen Labor wird daher jede gelieferte Charge unter erschwerten Bedingungen überprüft.

Die Ware wird erst minutenlang eingeweicht, dann getrocknet. Das Prozedere wiederholt sich mehrfach. Dann erfolgen Schlag-, Fall-, Zug- und Drehmomentprüfung. Ein Röntgengerät untersucht die Produkte auf Schwermetalle. Auch Fremdinstitute würden die Waren prüfen. „Es ist ungefährlicher, mit unserem Spielzeug zu spielen und die Farben abzulecken, als an der Elbe spazieren zu gehen und die Abgase einzuatmen“, sagt Gollnest. Dennoch musste die Firma vor einem Jahr Hunderte Metallschaufeln zurückrufen. Der langjährige Lieferant hatte bleihaltige Farbe verwendet – und die Charge war durch einen „menschlichen Fehler“ in Güster durchs Kontrollnetz gerutscht. Dabei hätten die Chefs selbst das größte Interesse, auf Sicherheit zu achten. Gollnest: „Wir haften persönlich für unser Spielzeug. Er wäre der Horror, Dinge auf den Markt zu bringen, die Schäden hervorrufen.“

Rund 20 Millionen Artikel verkauft das Unternehmen pro Jahr. Zusammen mit den Konkurrenten Haba und Brio gehöre man damit zu den drei größten Holzspielzeugherstellern in Europa. Über Kindergärten und Erzieher gebe es jüngst einen Trend zu Holzspielzeug. „Je höher der Bildungsstand, desto höher ist der Trend zum Holzspielzeug“, sagt Gollnest, und Kiesel ergänzt: „Der Ökogedanke spielt eine wichtige Rolle.“ Übrigens auch im Unternehmen: „Weil wir der Erde mit Bäumen etwas entnehmen, wollen wir ihr auch etwas zurückgeben“, sagt Kiesel: „Für jedes Kind, das in Schleswig-Holstein geboren wird, pflanzen wir einen Baum.“ Im Schnitt seien es 25.000 Stück pro Jahr. Für die eigene Produktion greifen die Güsteraner aber vor allem auf Buchen aus Rumänien, Birken aus China und Linden aus China und Russland zurück.

Generell sei der Bereich Holzspielzeug zwar stabil, nehme im gesamten Spielwarenmarkt aber nur ein Nischendasein ein. Auf 2,5 bis drei Prozent des jährlich rund 2,7 Milliarden Euro schweren Umsatzes in Deutschland schätzen Experten das Volumen. „Bis auf die ersten beiden Jahre haben wir immer Gewinn gemacht“, sagt Gollnest. „Uns geht es sehr gut, Umsatz und Gewinn haben wir kontinuierlich gesteigert.“ Zwischen 23 und 24 Millionen Euro sollen in diesem Jahr erlöst werden. Den Absatz steigern sollen das neue Strategiespiel Plan B und die Serie Nature, die ohne Farbzusätze auskommt. Züge, Trecker und Laster bestehen aus rohem Buchenholz und Eschenholz, das wärmebehandelt wurde und so eine dunkelbraune Färbung erhält. Gollnest: „In den letzten zwölf Wochen des Jahres erzielen wir 40 bis 50 Prozent unseres Umsatzes.“

Etwa die Hälfte der Produkte setzt das Unternehmen in Deutschland ab. 20 Vertretungen hat das Unternehmen in anderen Staaten. „Südkoreaner und Japaner sind sehr qualitätsbewusst und haben ein großes Interesse an deutschen Produkten“, sagt Gollnest. Vor allem in Asien rechnet das Unternehmen mit Wachstum. Im Schnitt legte das Unternehmen jährlich fünf Prozent zu. „Die vergangenen fünf, sechs Jahre sind extrem gut gelaufen. Wir wollen aber nicht zu schnell wachsen, wir sind ein Familienunternehmen“, sagt Gollnest. Die Chefs von 600 Mitarbeitern – in Güster sind es 65 plus Aushilfen – wollen zwar noch ein paar Jahre aktiv sein, die nächste Generation steht aber schon in den Startlöchern. Gollnests Tochter Dörthe, 25, machte schon eine Ausbildung zur Groß- und Außenhandelskauffrau in der Firma, studiert nun internationale Betriebswirtschaftslehre. Kiesels Sohn Philipp, 24, hat seinen Tischlermeister gemacht und wird künftig in der eigenen Werkstatt Prototypen neuer Artikel erstellen. Gollnest und Kiesel sagen unisono: „Wir würden es gern sehen, wenn auch künftig die Firma eins und eins geführt wird.“