Die Handelskammer sieht Probleme für die Schwächsten am Arbeitsmarkt. Allerdings wird kaum noch weniger als 8,50 Euro bezahlt

Hamburg. Die Hamburger Wirtschaft sieht die im Koalitionsvertrag vereinbarte Einführung eines flächendeckenden Mindestlohns von 8,50 Euro pro Stunde überwiegend kritisch. Er werde die gute arbeitsmarktpolitische Entwicklung im Norden bremsen, warnt Uli Wachholtz, Präsident der Vereinigung der Unternehmensverbände in Hamburg und Schleswig-Holstein (UVNord). „Verlierer werden die Geringqualifizierten und Langzeitarbeitslosen sein“, so Wachholtz.

Ähnlich argumentiert Dirck Süß, Chefvolkswirt der Handelskammer Hamburg: „Eine solche Regelung trifft gerade die Schwächsten am Arbeitsmarkt.“ Süß geht davon aus, dass eine „signifikante Zahl“ von Arbeitsplätzen in der Hansestadt prinzipiell gefährdet ist. Denn im Jahr 2010 hätten in Hamburg acht Prozent der Mitarbeiter in Betrieben mit mindestens zehn Beschäftigten weniger als 8,50 pro Stunde verdient – und bei den sehr kleinen Unternehmen dürfte der Anteil nach Einschätzung des Handelskammer-Chefvolkswirts tendenziell eher höher sein.

Nicht zuletzt in der Gastronomie und bei einfachen Bürotätigkeiten könne der Mindestlohn Jobs kosten. „Er wird zu steigender Arbeitslosigkeit und damit zu steigenden Sozialabgaben führen“, sagt Süß. Zwar gebe es in einer Reihe von anderen europäischen Ländern eher ermutigende Erfahrungen mit Mindestlöhnen, diese lägen aber meist deutlich niedriger als der für Deutschland vorgesehene. Positiv an der im Koalitionsvertrag enthaltenen Regelung sei allenfalls, dass es eine Übergangsfrist bis 2017 geben soll.

„Ein gesetzlicher Mindestlohn untergräbt die Tarifautonomie und grenzt Geringqualifizierte aus dem Arbeitsmarkt aus“, sagt Volker Tschirch, Hauptgeschäftsführer des AGA Unternehmensverbandes für den norddeutschen Groß- und Außenhandel. Direkt stelle der angestrebte Betrag von 8,50 Euro die Betriebe zwar nicht vor Probleme, „da die tariflichen Einstiegsgehälter in den fünf Küstenländern mit neun bis zehn Euro darüberliegen“. Trotzdem lehne der AGA einen Mindestlohn ab, „weil er Arbeitsplätze vernichten wird“. In einer Umfrage hatten die AGA-Mitgliedsunternehmen dem Koalitionsvertrag nach Angaben des Verbands insgesamt eine „mäßige Note“ von 3,3 gegeben, wobei der Mindestlohn mit einer Durchschnittsnote von 3,9 jedoch schlechter wegkommt.

Im Einzelhandelssektor befürchtet man ebenfalls negative Auswirkungen auf die Branche durch den Wegfall von Niedriglohnjobs, der eine „Vernichtung von Kaufkraft“ zur Folge haben werde, wie Wolfgang Linnekogel, Geschäftsführer des Einzelhandelsverbands Nord in Hamburg, zu den Vereinbarungen im Koalitionsvertrag erklärt. Allerdings betreffe dies vor allem strukturschwache Regionen. „Man darf bezweifeln, ob es eine kluge Entscheidung ist, so wenig zu differenzieren“, so Linnekogel. Im Hinblick auf die im Hamburger Einzelhandel geltenden Tarife gebe es nur eine einzige Gruppe von Beschäftigten, deren Stundenlohn aktuell knapp unter den 8,50 Euro liege. Dies seien ungelernte Hilfskräfte im ersten Berufsjahr. Zwar gebe es in der Branche eine erhebliche Zahl von nicht tarifgebundenen Unternehmen, aber dort bezahle man meist eher besser als im Tarif festgeschrieben, sagt Linnekogel: „Seit Jahren gibt es die Tendenz, dafür eher nur den gesetzlich vorgesehenen Urlaub von 24 Tagen anstatt der tariflichen Zahl von 30 Tagen zu gewähren.“ Auch bei Discountern habe längst ein „Prozess des Umdenkens“ eingesetzt, was die Bezahlung angehe, so Linnekogel. „Ich sehe lediglich eine Problemgruppe und das sind Aushilfskräfte in der Leergutannahme – häufig Schüler, die sich mit fünf bis sieben Euro pro Stunde ihr Taschengeld aufbessern.“

In den Mitgliedsunternehmen von Nordmetall rangierten selbst die untersten Lohngruppen oberhalb der 8,50 Euro, „ganz gleich ob im tarifgebundenen oder im nicht tarifgebundenen Bereich“, sagt Verbandssprecher Peter Haas. Daher sei der Mindestlohn für die Hamburger Metallindustrie kein Thema – mit einer Ausnahme: „Nordmetall hat ein Programm zur Ausbildung von Jugendlichen mit Einstiegsschwierigkeiten aufgelegt, und hier würde für die Betroffenen eine zusätzliche Hürde geschaffen“, so Haas.

Das Hamburger Handwerk habe sich bereits 2011 in der Vollversammlung einstimmig für faire Branchenmindestlöhne ausgesprochen, um die Beschäftigung zu sichern, erklärt Handwerkskammer-Präsident Josef Katzer: „Wenn alle sich an diesen vereinbarten Lohn halten, gelten auch für alle die gleichen Wettbewerbsbedingungen“ – womit Katzer offenbar auf Billigkonkurrenz aus Osteuropa anspielt. In den meisten Gewerken zahle das Handwerk bereits jetzt mehr als den vorgesehenen Mindestlohn von 8,50 Euro pro Stunde. So hätten die Friseure jüngst einen entsprechenden Tarifabschluss erzielt und die Allgemeinverbindlichkeit dieses Tarifs beantragt. „Die Gebäudereiniger zahlen selbst ungelernten Hilfskräften mehr als 8,50 Euro pro Stunde“, so der Handwerkskammer-Präsident.