Hamburger Unternehmen Scoyo betreibt Deutschlands größte Online-Lernplattform für Schüler. Die Branche wächst rasant

Hamburg. Awi ist ein kleines grünes Männchen mit einem großen Problem: Seine Heimat, der Planet der Arwaner, wurde von den Gnork mit Verwirrschleim besprüht und muss nun davon befreit werden. Wie gut, dass Awi Luis und Lisa hat. Die Zwillinge steigen mit ihm in sein Raumschiff, um ihm bei seiner schweren Aufgabe zu helfen.

Die Geschichte von Awi, Lisa und Luis ist eine Kindergeschichte. Am Computer können Grundschüler die Abenteuer des Trios verfolgen und ihren Erfolg steuern – aber nur wenn sie immer wieder Aufgaben in den Fächern Deutsch, Mathe oder Englisch lösen. Das Szenario ist die Rahmenhandlung bei der Internet-Lernsoftware Scoyo für Kinder aus den Klassen eins bis vier. Die gleichnamige Firma ist damit 2009 an den Markt gegangen und hat in der Hamburger Neustadt ihren Sitz.

„Unsere Idee war, das Lernen auf eine neue Art und Weise zu erklären“, sagt Daniel Bialecki, der Scoyo erst als Produktmanager mit aufgebaut hat und heute leitet. „Wir wollten nicht alle schulischen Inhalte einfach ins Netz stellen, sondern wirklich etwas ganz Neues gestalten“, so der 42-Jährige.

2007 hat der Medienkonzern Bertelsmann einen mittleren zweistelligen Millionenbetrag in die Hand genommen, um Scoyo aus der Taufe zu heben. Die ersten beiden Jahre bestanden laut Bialecki im Wesentlichen darin, die Schulcurricula aus 16 Bundesländern in geeignete Aufgaben und Geschichten zu transformieren und diese dann auch zu programmieren. Wichtigstes Credo dabei: „Lernen soll Spaß machen und praktisch nebenbei passieren“, so Bialecki. „Und die Kinder sollen verstehen, warum sie einen bestimmten Stoff lernen sollten.“ Scoyo ist heute Lern- und Nachhilfeplattform im Netz, die den Stoff von 4000 Schulstunden aus den Klassen eins bis sieben in Form von Geschichten wie jener von Alien Awi bereit hält. 85 Prozent des Curriculums werden abgedeckt – und das ziemlich bunt.

Mittlerweile lernen jedes Jahr rund 60.000 Kinder aus Deutschland und dem deutschsprachigen Ausland auf Scoyo, dem Platzhirschen in dieser Branche. Das Geschäftsmodell sieht vor, dass die Eltern ein Nutzungsabonnement für ihre Kinder abschließen, das je nach Laufzeit zwischen 15 und 20 Euro im Monat kostet. Über den aktuellen Umsatz und Gewinn von Scoyo redet Bialecki nicht. Aber man ahnt: Das Geschäft mit der Nachhilfe im Netz ist da. Die E-Learning-Branche ist 2012 erneut gewachsen, um 15 Prozent auf einen Umsatz von 523 Millionen Euro. Es war die sechste Steigerung in Folge.

Aber auch der Nachhilfemarkt nur für Schüler boomt. Bildungsökonom Klaus Klemm hat im Auftrag der Bertelsmann Stiftung im Jahr 2010 herausgefunden. Jeder vierte Jugendliche im Alter von 17 Jahren hat im Laufe seiner Schulkarriere mindestens einmal bezahlte Nachhilfe bekommen, insgesamt nehmen rund 1,1 Millionen Schüler die Extraportion Unterricht am Nachmittag jedes Jahr in Anspruch. Die Eltern kostet das bis zu 1,46 Milliarden Euro. Die Hamburger waren mit den Einwohnern Baden-Württembergs Spitzenreiter: Hier wurde pro Schüler 131 Euro für Nachhilfe ausgegeben. Der bundesweite Schnitt lag bei 108 Euro, in Mecklenburg-Vorpommern waren es nur 74 Euro. Meistens erfolgt die Nachhilfe klassisch, also persönlich mit einem Nachhilfelehrer. Aber auch das Angebot im Internet wächst. Neben Scoyo hat der Schulbuchverlag Cornelsen die Website lerncoachies.de etabliert, außerdem gibt es Sofatutor oder Multiconcept. Die Idee ist fast immer die gleiche: Mit mehr oder minder innovativen digitalen Ideen und Spielereien soll das Kind am Computer das lernen, was es in der Schule nicht mitbekommt.

Obwohl Scoyo nun schon seit einigen Jahren am Markt ist, sieht es in den Räumen nahe der U-Bahn-Station Rödingsmarkt ein wenig aus wie bei einem Start-up-Unternehmen. Der große Büroraum ist weitläufig und weiß gehalten, grüne, blätterartige Plastikvorhänge sorgen für ein wenig Raumteilung, im Pausenzimmer steht ein Kickertisch. Bialecki, der selbst Vater zweier Kinder ist, kommt jeden Tag aus Rahlstedt hierher. 17 Mitarbeiter hat Scoyo, vor allem Informatiker, Marketingmenschen und Produktentwickler.

Bialecki selbst ist eigentlich Elektrotechniker, hat aber nie in seinem Ingenieurberuf gearbeitet, sondern in Agenturen und im Bildungsbereich. „Was beim Lernen im Kopf passiert, ist einfach spannend“, sagt er. „Nur Kinder sind noch spannender. Insofern ist der Job hier die perfekte Synthese.“ In den kommenden Jahren will Scoyo investieren, „vor allem hin zum ganzheitlichen Lernen, das zum Beispiel auch die Kreativität fördert“, so Bialecki. Außerdem soll das Angebot an die technischen Entwicklungen angepasst werden. Eine App für Tablet-PCs von Scoyo gibt es schon für das Fach Englisch – und weitere sollen folgen.

Kinder haben die Lernwelt von Scoyo bei alldem zwar nicht mitentwickelt, haben sie allerdings getestet – und dabei nicht nur die Aufgaben, sondern auch die Spielfiguren bewertet. „Die Rückmeldungen waren manchmal unerwartet. Zum Beispiel haben wir gelernt, dass es bei den Figuren in den Geschichten auch immer einen geben muss, der störrisch ist und den man nicht so gern mag. Zu nett darf es also nicht sein“, lacht Bialecki. Seine eigenen Kinder kann er allerdings noch nicht fragen; sie sind erst zwei und vier Jahre alt, fürs Onlinelernen also noch zu klein. Auf ihre Hilfe wird auch der Außerirdische Awi noch ein einige Zeit warten müssen.