In Hamburg läuft die Umstellung auf den neuen A320neo an. Deutschland-Chef Günter Butschek im Interview über Herausforderungen und Chancen

Hamburg. Der Airbus-Konzern hat bei seinem Verkaufsschlager, der A320-Familie, in dieser Woche die Marke von 10.000 bestellten Maschinen überschritten. Das Unternehmen will 2013 erstmals mehr als 600 Jets ausliefern und auch in diesem Jahr wieder viele neue Arbeitsplätze in Deutschland schaffen – im Jahr 2012 waren 1700 Personen eingestellt worden, die meisten davon in Hamburg. Doch es gibt auch Herausforderungen, gerade in der Hansestadt: Die Umstellung der Produktion auf die neue Variante A320neo steht an. Zudem belastet ein Streit über einen Entwicklungskredit das Verhältnis zur Bundesregierung. Ein Gespräch mit Günter Butschek, als Vizechef von Airbus verantwortlich für Entwicklung sowie Produktion und außerdem Vorsitzender der Geschäftsführung von Airbus Deutschland.

Hamburger Abendblatt:

In Hamburg hat das Orkantief „Christian“ am Montag erhebliche Schäden angerichtet. Gab es auch im Airbus-Werk Probleme?

Günter Butschek:

Auf meinem Mobiltelefon hatte ich am Montagabend etliche Anrufe und Mitteilungen, denn eine der älteren Hallen hier hat 400 Quadratmeter Dachfläche verloren. Glücklicherweise ist niemand verletzt worden. Das Dach wird nun repariert. Wichtig ist: Wir haben keine Auswirkungen auf unsere Produktion.

Wie macht sich Ihr neuester Hoffnungsträger, der Langstreckenjet A350? Sind bisher in der Erprobung keine Probleme aufgetaucht?

Butschek:

Seit etwa drei Wochen testen wir auch mit einer zweiten Maschine. Zusammen wurden bereits mehr als 400 Stunden geflogen und bisher läuft alles planmäßig. Unsere Erwartungen an das Flugzeug bestätigen sich. Ich bin sehr zuversichtlich, dass wir wie vorgesehen im zweiten Halbjahr 2014 den ersten A350 an unseren Kunden ausliefern können.

Im Oktober 2015 soll in Hamburg das erste Exemplar des A320neo ausgeliefert werden, der vor allem dank einer neuen Triebwerksgeneration 15 Prozent weniger Treibstoff verbrauchen soll als das aktuelle Modell. Wann beginnt die Produktionsumstellung hier im Werk auf Finkenwerder?

Butschek:

Schon in wenigen Wochen, noch vor Ende November, beginnt das „Neo-Zeitalter“ in Hamburg. Dann wird die erste Hecksektion produziert. In Stade werden bereits Landeklappenschalen gefertigt. Für Hamburg als Kompetenzzentrum für die Neo-Familie wird die Einführung der Neo-Variante eine Herausforderung: Wir werden die Umstellung bei konstant hoher Produktionsrate durchführen – was noch nie jemand in unserer Branche getan hat. Das bedeutet für eine Übergangszeit eine erhebliche Zunahme der Komplexität.

Können Sie das näher erklären?

Butschek:

Hamburg ist der einzige Standort, an dem wir alle vier Flugzeugtypen der A320-Familie – A318, A319, A320 und A321 – bauen. Die neue Triebwerksoption Neo bieten wir für den A319, A320 und A321 an. Mit dem Start der Neo-Produktion verdoppelt sich die Anzahl der Baumuster für Hamburg somit fast. Erst 2017/2018 läuft die Produktion der Flugzeuge mit den „Classic“-Triebwerken allmählich aus.

Mit Blick auf diese Umstellung hält Airbus die Produktionsrate der A320-Familie bis dahin konstant. Nimmt die Arbeit am Standort Hamburg dennoch zu?

Butschek:

Ja, sie nimmt aus verschiedenen Gründen zu. Zum einen über den Anstieg der Baumuster in unserem A320-Programm. Zum anderen sehen wir innerhalb dieser Baureihe einen stetig steigenden Anteil des größten Modells, der A321 für bis zu 220 Passagiere – und derzeit ist Hamburg der einzige Standort, an dem dieser Typ gebaut wird. Die Nachfrage nach diesem Flugzeug nimmt zu, weil die Passagierzahlen weltweit im Schnitt um knapp fünf Prozent jährlich wachsen, während die Kapazitäten der Flughäfen nicht in gleichem Tempo ausgebaut werden können. Heute entfallen bereits 35 Prozent der Produktion der A320-Familie auf das größte Modell A321, und es zeichnet sich ab, dass dieser Anteil künftig bis auf 50 Prozent steigt. Darüber hinaus liegt der Hochlauf der Produktion des neuen A350 noch vor uns, während auch der bewährte A330 noch ein gut gefülltes Auftragsbuch hat.

Wie wird sich die für 2015 geplante Eröffnung des Endmontagewerks in Mobile/Alabama mit bis zu 1000 Arbeitsplätzen auf die Beschäftigung an den bestehenden Standorten in Europa, etwa in Hamburg, auswirken?

Butschek:

Zunächst einmal soll uns die lokale Endlinie helfen, den Marktanteil in den USA von derzeit knapp 20 Prozent auf 50 Prozent entsprechend unseres Weltmarktanteils zu steigern. Wir gehen davon aus, dass jeder neue Job in einem Endmontagewerk außerhalb Europas vier Arbeitsplätze an den europäischen Standorten schafft, weil alle größeren Komponenten des Flugzeugs weiterhin hier produziert werden – und das macht den größten Teil der Wertschöpfung aus.

Aus dem Lager der Zulieferer in Deutschland hört man immer wieder von zunehmenden Problemen in der Lieferkette. Sind manche Mittelständler durch die stetig wachsenden Anforderungen überfordert?

Butschek:

Vor allem in den letzten Jahren sind die Lieferumfänge stark gewachsen. Airbus wird in diesem Jahr voraussichtlich erstmals mehr als 600 Flugzeuge ausliefern, das ist mehr als eine Verdoppelung innerhalb von zehn Jahren. Manche Zulieferer sind schon deshalb an Grenzen gestoßen, weil sie in den Jahren der Finanzkrise die nötigen Investitionen nicht rechtzeitig eingeleitet haben. Hinzu kommt: Die Zulieferer, die an der Spitze der Lieferantenpyramide stehen, tragen eine deutlich erweiterte Verantwortung. Sie brauchen die Kompetenz, selber die Unterlieferanten zu steuern. Wir mussten die Erfahrung machen, dass sich diese Fähigkeiten nicht über Nacht entwickeln. Wir arbeiten eng mit unseren Zulieferfirmen zusammen, um die hierfür notwendigen Kompetenzen aufzubauen.

Der A350 fliegt bereits, der A320neo ist eine Modernisierung eines bestehenden Typs, und ein Nachfolger für die A320-Reihe kommt nicht vor dem Jahr 2030 auf den Markt. Hat Airbus in Kürze Tausende von Entwicklungsingenieuren zu viel, weil auf Sicht keine komplette Flugzeugneuentwicklung ansteht?

Butschek:

Nein, das sehe ich nicht. Das Spitzenmodell der A350-Familie, der A350-1000, muss noch im Detail entwickelt werden, ebenso die neue Variante des A330 für den regionalen Einsatz. Gerade für Hamburg ist die Flugzeugkabine ein wichtiges Tätigkeitsfeld, und hier ist der Entwicklungszyklus nicht 30 Jahre lang wie beim Flugzeug, sondern viel kürzer, weil die Fluggesellschaften eine zeitgemäße Kabine erwarten. Airbus gibt zwei Milliarden Euro jährlich für Forschung und Entwicklung aus und 90 Prozent davon zielen darauf ab, das Fliegen ökoeffizienter, das heißt sparsamer, leiser, aber auch komfortabler zu machen. Daher sind unsere Entwicklungskapazitäten auch in den nächsten Jahren gut ausgelastet.

Die Bundesregierung will von einem Entwicklungskredit für den A350 in Höhe von 1,1 Milliarden Euro einen Teilbetrag von 600 Millionen Euro nicht auszahlen, weil Airbus nicht bereit sei, hinreichende Zusagen für den deutschen Entwicklungs- und Produktionsanteil abzugeben. Gibt es aus Ihrer Sicht noch Chancen auf eine Einigung?

Butschek:

Wir standen über mehr als ein Jahr in intensivem Dialog mit der Bundesregierung, und wir haben alle unsere Argumente ausführlich vorgebracht. Die Kriterien für die vollständige Auszahlung des Kredits haben wir deutlich übererfüllt: Wir haben mit dem A350 bis heute 4000 direkt dem Programm zurechenbare Arbeitsplätze in Deutschland geschaffen und damit zweieinhalbmal so viele wie vereinbart. Und der deutsche Entwicklungs- und Produktionsanteil an diesem Flugzeug liegt bei weit über einem Drittel, zugesagt waren 30 Prozent. Wir sind der Auffassung, dass es keine Rechtfertigung gibt, einen Teil des Kredits zurückzubehalten. Die Sache ist für uns abgeschlossen.

Wie sieht man dieses Thema in Ländern wie Frankreich oder Spanien, denen es wirtschaftlich viel schlechter geht als Deutschland und die ihre jeweiligen Kredite dennoch zu 100 Prozent auszahlen? Werden diese Staaten höhere Arbeitsanteile einfordern?

Butschek:

Dazu kann ich nichts sagen. Aber es liegt auf der Hand, dass aus dem Verhalten der Bundesregierung ein Ungleichgewicht entsteht.

Hat der Zwist nicht auch damit zu tun, dass Airbus sich weigert, Hamburg als Standort der Endmontage eines Nachfolgers der A320-Familie festzuschreiben?

Butschek:

Kein anderes Airbus-Land verbindet die Auszahlung des A350-Darlehens mit Zusatzleistungen, die nichts mit dem A350 zu tun haben. Wir sehen daher keinen Spielraum, die Auszahlung des Kredits an zukünftige Entwicklungsprogramme zu knüpfen.