Das neue Ersatzteillager von Jungheinrich läuft vollautomatisch. Menschen trifft man in der riesigen Halle nur selten

Kaltenkirchen. Das neue Ersatzteillager von Jungheinrich ist schon von Weitem zu sehen. Wie eine überdimensionierte Aluminiumkiste ragt das graue Rechteck in den Himmel über dem Gewerbegebiet in Kaltenkirchen. Hoch wie ein Luftschiffhangar. Davor ein Verwaltungsbau und zwei kreisrunde Türme gefüllt mit so viel Wasser, dass man eine Ortschaft damit versorgen könnte. Löschwasser. „Unsere Brandschutzeinrichtungen sind extrem hoch“, sagt Stefan Brehm. Er leitet diesen Standort des Hamburger Herstellers von Gabelstaplern, von dem aus Jungheinrich künftig seine Ersatzteilversorgung in die ganze Welt sicherstellt.

Brehm steht in der sogenannten Vorzone des Lagers, dem Wareneingang. Hier werden eingehende Lieferungen registriert und zum Transport ins Lager vorbereitet. Waren mit einem Gewicht unter 30 Kilogramm werden in graue Kisten gelegt, größere Kartons landen auf Paletten. Das Ganze geschieht in zahlreichen parallelen Gassen, die mit gelben Strichen auf dem Hallenboden vorgegeben sind. Schon jetzt geht es um Geschwindigkeit. „Hier wird der Wareneingang aller Jungheinrich-Lieferanten abgewickelt. Da kommt manchmal vieles auf einmal. „Wir können bis zu 1000 Kisten und 120 Paletten in der Stunde für das Lager vorbereiten und weiterschicken“, sagt Brehm. Ein Mitarbeiter klebt einen Barcode auf die Palette, der Informationen zum Produkt, zur Anzahl und zum exakten Lagerplatz enthält. Dadurch wird die Ware mit dem Lager „verheiratet“, wie es in der Sprache der Logistiker heißt. Mit einem Hubwagen stellt der Mitarbeiter die Palette anschließend an einem exakt vorherbestimmten Ort ab und zieht sich zurück.

Hier in der Vorzone arbeiten Menschen, die ersten und für lange Zeit die letzten, die man beim Gang durch die 20.000 Quadratmeter große Lagerfläche trifft. Denn von dem Punkt an, wo die Palette abgestellt wird, läuft alles vollautomatisch. Ein Lesegerät nimmt die Daten von dem Barcode der Palette auf, ein Computer legt daraufhin ihren Weg durch das Transportsystem bis zum Abstellplatz fest. Ein Förderband setzt die Palette in Gang. Los geht es.

Jungheinrich hat das Zentrallager auf Basis eines neuen Logistikkonzeptes selbst entwickelt und realisiert. Ziel ist eine 24-Stunden-Lieferbereitschaft an 365 Tagen im Jahr in die drei Zonen, Amerika, Zentraleuropa und Asien. Und da Kunden am anderen Ende der Welt nicht zu lange auf Ersatzteile warten sollen, muss die Logistikkette schon hier im Lager schnell und reibungslos funktionieren. Das Lager in Kaltenkirchen, das Jungheinrich nun in Betrieb genommen hat, dient nämlich nicht nur der Bevorratung, sondern auch der Kommissionierung und Zusammenstellung von Aufträgen für den Versand. „Wir liefern europaweit über Nacht aus. Wer bis 15 Uhr ein Teil bestellt, erhält es spätestens um acht Uhr am folgenden Morgen“, sagt Brehm. Damit das klappt, hat das System gerade einmal eine halbe Stunde Zeit, um eine Bestellung aus den 110.000 Lagerplätzen herauszuholen und zum Versand bereitzustellen.

Wie das funktioniert, zeigt Brehm hinter der nächsten Tür. Er führt Besucher hierhin, obgleich der Mensch in dem vollautomatischen Lager eigentlich nichts verloren hat. Jungheinrich hat das Lager aber wie ein Schaufenster für die eigene Logistikkompetenz konstruiert. Von einer Tribüne aus, können Besucher dabei zusehen, wie die Bestellungen abgearbeitet werden. An diesem trüben Herbsttag sind es Teilnehmer einer dreitägigen Logistikkonferenz, die Jungheinrich anlässlich seines 60. Jubiläums abhält. Rund 400 Logistikexperten aus 20 Ländern beraten darüber, wie Warenverteilungsprozesse künftig noch effizienter gemanagt werden können.

Eine Anregung bietet ihnen das neue Ersatzteilzentrum von Jungheinrich. Denn der Hersteller von Gabelstaplern und anderen Flurförderfahrzeugen, wie der berühmten „Ameise“, hat vor etwa zehn Jahren auch in den Verkauf ganzer Lagersysteme investiert. Inzwischen bietet Jungheinrich als Generalunternehmer den Bau solcher Systeme an: Regale, Stapelroboter, Steuerungssoftware – alles kommt aus einer Hand, so in Kaltenkirchen. Das eigene Ersatzteillager wird zur Vitrine für das gesamte Produktsortiment der Marke Jungheinrich.

Die Waren sausen auf Förderbändern wie in der Gepäckabfertigung eines Flughafens hin und her, bis sie vor den richtigen Regalreihen stehen. Ein hoher Gitterzaun sperrt den Menschen aus dem Reich aus, in dem Mikroprozessoren und Laderoboter das Sagen haben. Draußen gibt es Licht, drinnen ist es dunkel.

In weniger als vier Sekunden rauschen die vollautomatischen Stapler auf Schienen die insgesamt 91 Meter langen Gänge entlang, um Waren in den 21 übereinanderliegenden Regalböden auf den vorgesehenen Stellplatz abzulegen, bis in eine Höhe von 31 Metern über dem Boden. Besucher stehen staunend davor, wie immer wenn die Technik Dinge kann, zu der der Mensch selbst nicht in der Lage ist. Am überraschendsten ist aber, dass alles fast lautlos vor sich geht.

Brehm, Leiter des Ersatzteilmanagements im Konzern, sieht man den Stolz auf das logistische Glanzstück an. „Das haben wir in eineinhalb Jahren realisiert“, sagt er. 35 Millionen Euro hat Jungheinrich in das Großprojekt investiert, das das bisherige Ersatzteillager in Norderstedt abgelöst hat. Auf dem 65.000 Quadratmeter großen Grundstück hat nicht nur das automatische Lager Platz gefunden. Auch eine Gefahrstoffunterbringung wurde in einer Halle eingerichtet. Hier stehen beispielsweise Fässer mit dem speziellen Hydrauliköl, das Jungheinrich selbst entwickelt hat. Für Artikel, die praktisch ständig neu gebraucht werden, und deshalb nur ganz kurz eingelagert sind, ist am Standort zusätzlich ein sogenanntes Schnelldrehlager entstanden. Vom Rest der übrigen Flächen abgeschirmt wurde ein Exportlager für Luftfracht eingerichtet.

Zwei weitere Lager hat Jungheinrich im Schwarzwald und in Bratislava

Noch einmal geht es durch eine Tür, dann trifft man endlich wieder auf andere Menschen. An den Kommissionierplätzen spuckt das Lager die Waren wieder aus. Hier werden die Artikel von Jungheinrich-Mitarbeitern nach den Vorgaben der Bestellungen zusammengestellt und verpackt. Anschließend holt ein externer Kurierdienst die Ware ab. „Wir liefern innerhalb Europas bis nach Rom alles über die Straße aus“, sagt Brehm. „Nach Großbritannien oder Übersee geht es per Flugzeug.“ Für die südlichen und östlichen europäischen Lieferadressen betreibt Jungheinrich zwei weitere Lager in Lahr am Westrand des Schwarzwalds und in der slowakischen Hauptstadt Bratislava, die von Kaltenkirchen aus befüllt werden. Nimmt man die Verwaltung hinzu, gibt es hier trotz der Automatisierung gar nicht so wenige Arbeitsplätze: 250 Mitarbeiter werden in dem neuen Ersatzteilzentrum künftig arbeiten.