Siemens in Hamburg und andere Unternehmen arbeiten an amerikanischen Offshore-Anlagen mit. Wirtschaftsdelegation besucht New Bedford

New Bedford. Zehn Jahre lang hat es gedauert, bis Jim Gordon die Genehmigungen für sein Offshore-Windpark-Projekt Cape Wind organisiert hatte, bei den zuständigen Bundesbehörden, beim US-Bundesstaat Massachusetts, bei den kommunalen Autoritäten. Nun werden die eigentlichen Vorbereitungen für den Bau getroffen. In drei Jahren könnten die ersten Windturbinen vor der Küste von New Bedford im Meer stehen. „Es hat lange gedauert, bis wir so weit gekommen sind. Aber alle diese Probleme und Konflikte kennen sie bei der Offshore-Windkraft in Deutschland ja auch“, sagt Gordon seinen Zuhörern im Konferenzsaal des New Bedford Whaling Museums.

Gordon ist über die Entwicklung der Windkraft in Norddeutschland genauestens im Bilde. Im April war er mit einer amerikanischen Delegation zuletzt zu Besuch in Cuxhaven und in Bremerhaven. Und einige der Unternehmen, die Cape Wind an der US-Ostküste gut 80 Kilometer südlich von Boston realisieren sollen, sitzen in Hamburg. Siemens will die 130 Windturbinen für das Kraftwerk auf dem Meer liefern, das Ingenieurbüro IMS arbeitet daran mit, den Offshore-Park an das Landnetz anzuschließen. Die Delegation des Hamburger Wirtschaftssenators Frank Horch (parteilos), die bei ihrer USA-Reise an diesem Tag von Boston mit gut 80 Teilnehmern nach New Bedford gekommen ist, führt deshalb mit Gordon und den anderen US-Vertretern auf dem Podium eine angeregte Diskussion. Auch die Worte von New Bedfords Bürgermeister Jon Mitchell hörte man zuvor auf deutscher Seite gern. „Deutschland wird weltweit als führend bei der Entwicklung und Nutzung der erneuerbaren Energien gesehen, auch bei der Offshore-Windkraft. Unser Ziel ist es, dass man künftig auch in New Bedford präsent sein muss, wenn man in der Branche international die Trends setzen will.“

Verstärkt wird die Hamburger Delegation an diesem Tag von Frank Nägele (SPD), Staatssekretär im Wirtschaftsministerium von Schleswig-Holstein, und von Teilnehmern aus Cuxhaven, angeführt von Oberbürgermeister Ulrich Getsch (parteilos). „Wir wollen die Entwicklung der Windkraft in Norddeutschland über die Ländergrenzen hinweg voranbringen“, sagt Frank Horch. „Deshalb ist es wichtig, dass wir hier gemeinsam auftreten.“ Cuxhaven hat in den vergangenen Jahren eine intensive Wirtschaftspartnerschaft zu New Bedford aufgebaut. „Unsere Städte haben einen sehr ähnlichen wirtschaftlichen Strukturwandel hinter und vor sich“, sagt Getsch, „den Verlust von Unternehmen und Arbeitsplätzen insbesondere in der Werftindustrie und in der Fischwirtschaft, den Aufbau neuer Perspektiven durch die Offshore-Windkraft.“ Cuxhaven war und ist als Basishafen und als Industriestandort bereits am Aufbau mehrerer Nordsee-Windparks beteiligt. Diese Erfahrungen wollen die Niedersachsen mit den Amerikanern teilen.

New Bedford ist eine schmucke New-England-Kommune, mit Rotklinkervillen und verspielten Gründerzeitbauten. Die Probleme des wirtschaftlichen Wandels sieht man der Stadt auf den ersten Blick nicht an. Vor 150 Jahren war New Bedford eine der reichsten Städte Nordamerikas. Von hier aus befuhren Walfangschiffe den Atlantik und den Pazifik und machten Jagd auf die größten Säugetiere der Erde. Walöl war bis zum kommerziellen Durchbruch von Erdöl und Petroleum ein begehrter Brennstoff für die Hausbeleuchtung. Walknochen wurden zu Korsettstäben und etlichen anderen Produkten verarbeitet. So lange, bis die großen Walarten nach Hunderttausenden von Fängen weitgehend ausgerottet waren. 1925 verließ das letzte Walfangschiff den Hafen von New Bedford. Die Walfanghistorie der Stadt lieferte die Vorlage und die Kulisse für Herman Melvilles Roman „Moby Dick“, eines der populärsten Werke der Weltliteratur. Etliche Orte und Häuser in der Stadt und vor allem das Walfangmuseum mit seinen riesigen Walskeletten und zahlreichen anderen Exponaten halten diese Zeit ebenfalls fest.

Nun will die Stadt erneut internationale Beachtung erlangen. „Vor unserer Küste liegt ein Viertel des gesamten Offshore-Windkraft-Potenzials der USA“, sagt Matt Morrissey, Chef des New Bedford Wind Energy Centers. „Im nächsten Schritt werden wir unseren Hafen für den Aufbau von Offshore-Parks vorbereiten.“ 45 Millionen Dollar habe man bereits investiert, sagt Morrissey vor einer Seekarte mit zahlreichen geplanten Windpark-Projekten. Die Stadt und die beteiligten Unternehmen rechnen für die kommenden Jahre mit einer installierbaren Leistung von 4000 Megawatt. Das Pionierprojekt Cape Wind ist für eine Leistung von 468 Megawatt vorgesehen. In Deutschland gilt bis zum Jahr 2020 eine Errichtung von 7000 bis 8000 Megawatt in Offshore-Windparks als realistisch. „Wir haben hier alle an einem Strang gezogen, um dieses Projekt zu realisieren“, sagt Morrissey, „der Bundesstaat und die Stadt, die Wirtschaft und die Wissenschaft.“ Dazu zählt auch das weltweit renommierte Massachusetts Institute of Technology (MIT) in Boston, einer der Vorreiter bei der Erforschung von Energieeffizienz und erneuerbaren Energien.

Die Windkraft-Euphorie in der Stadt und in Massachusetts ist bemerkenswert, weil die USA insgesamt derzeit von einem völlig anderen Trend geprägt werden. Mit der sogenannten Fracking-Technologie haben sich die Vereinigten Staaten neue Öl-, vor allem aber Erdgas-Reserven erschlossen. Der neue Erdgas-Boom soll, so die weit verbreitete Lesart in der größten Volkswirtschaft der Welt, das Land bis 2020 unabhängig von Energieimporten machen, die heimische Industrie stärken und ausländische Konzerne vor allem aus energieintensiven Industrien zu Ansiedlungen in den USA motivieren. Windkraft-Pionier Gordon, der seit mehr als 40 Jahren in der Energiebranche arbeitet und der selbst Gaskraftwerke errichtet hat, teilt diese Begeisterung nicht. „Wir haben in New England keine fossilen Energien. Und die Pipeline-Kapazitäten für die Versorgung mit Erdgas hier sind knapp. Die Offshore-Windkraft wird unsere Stromversorgung erheblich verbessern, vor allem im Winter, wenn durch Klimaanlagen und elektrische Heizungen der Bedarf stark steigt. Ganz abgesehen von dem Beitrag zum Klimaschutz, den wir mit unserem Projekt leisten werden.“