Amtierende Vize-Chefin Janet Yellen soll Präsidentin der Fed werden. Ökonomin gilt als Befürworterin des billigen Geldes

Frankfurt/New York . Sie wirkt nicht so, als müsse sich irgendjemand vor ihr fürchten. Janet Yellen ist bislang selten aus dem Schatten von US-Notenbankchef Ben Bernanke herausgetreten. Das wird sich jedoch gründlich ändern, wenn die bisherige Vizepräsidentin der Fed ab 1. Februar 2014 die Geschicke der mächtigsten Notenbank der Welt lenken wird: US-Präsident Barack Obama hat die Ökonomin am Mittwoch offiziell als neue Chefin der US-Notenbank nominiert. Es sei „eine der wichtigsten Entscheidungen, die ich als Präsident treffe“, sagte Obama. Die 67 Jahre alte Yellen wird die erste Frau an der Fed-Spitze in der hundertjährigen Geschichte der Institution sein und damit eine der mächtigsten Frauen weltweit: Selbst Kanzlerin Angela Merkel oder die IWF-Chefin Christine Lagarde verfügen nicht über die Einflussmöglichkeiten, die Yellen qua Amt bald auf sich vereinen wird.

An den Finanzmärkten ruft ihr Aufstieg gemischte Gefühle hervor. Schon als sich in den vergangenen Wochen abzeichnete, dass es auf Yellen hinauslaufen würde, hatte der Dollar nachgegeben, während die Inflationserwartungen an den Märkten nach oben schossen. Die Vize-Präsidentin der Fed gilt wie ihr im Januar ausscheidender Vorgänger Ben Bernanke als Befürworterin einer extrem lockeren Geldpolitik.

Gleich mehrfach hat Yellen klargestellt, dass sie im Zweifel lieber eine höhere Inflation riskiert, als eine höhere Arbeitslosigkeit zuzulassen. In den Augen einiger europäischer Ökonomen macht sie das höchst suspekt. In den USA hingegen hat Yellen innerhalb der Zunft der Wissenschaftler eine breite Anhängerschaft. Mitte September, kurz nach dem Rückzug ihres Mitkandidaten Larry Summers, forderten 200 Volkswirte Obama auf, Yellen endlich zur Nachfolgerin Bernankes zu küren.

In der Öffentlichkeit ist die Frau mit dem akkuraten weißen Bob-Haarschnitt weitgehend unbekannt. Dabei ist Yellen länger im Notenbankgeschäft, als es ihre Vorgänger Ben Bernanke, Alan Greenspan und Paul Volcker vor ihrem jeweiligen Aufstieg waren. Aufgewachsen ist Yellen als Tochter eines Arztes in Brooklyn, ihr Ökonomiestudium an der renommierten Yale-Universität schloss sie mit Auszeichnung ab. Ihr Mentor in Yale war der spätere Nobelpreisträger James Tobin, der Erfinder der sogenannten Finanztransaktionssteuer. Yellen ist mit George Akerlof verheiratet, dem Wirtschaftsnobelpreisträger von 2001, den sie – ausgerechnet – während ihrer gemeinsamen Zeit als junge Ökonomin bei der Federal Reserve kennenlernte.

Ihr gemeinsamer Sohn lehrt mittlerweile ebenfalls als Ökonomieprofessor an der Warwick University. Wer bei ihnen zum Essen vorbeischaue, werde mit Ökonomie vollgequasselt, bis ihm der Appetit vergehe, hat Yellen ihr Familienleben in einem ihrer raren Interviews einmal scherzhaft beschrieben. „Wir waren in ökonomischen Fragen bisher stets einer Meinung. Das Einzige, worin wir nicht übereinstimmen, ist, dass sie den Freihandel etwas mehr unterstützt, als ich das tue“, hat ihr Ehemann einmal zu Protokoll gegeben. Freunde der Familie witzeln darüber, dass Akerlof sich nun wohl damit abfinden müsse, die unbekanntere Hälfte des Paares zu sein – eine Erfahrung, die Nobelpreisträger sonst selten machen.

Yellens Aufstieg begann in den 90er-Jahren, als Präsident Bill Clinton sie zu seiner obersten Wirtschaftsberaterin kürte. Die Arbeitsmarktexpertin gilt als brillante Ökonomin – und als eine der wenigen, die noch vor Ausbruch der großen Finanzkrise vor den wachsenden Ungleichgewichten auf dem US-Immobilienmarkt warnten.

Im Jahr 2004 folgte die Ernennung zur Präsidentin der San Francisco Fed, wo Yellen sich nicht scheute, selbst dem schier allmächtigen Alan Greenspan die Stirn zu bieten und etwa in Zinsfragen eine andere Meinung zu vertreten als er. Yellen gilt dabei als jemand, der sich stets exzellent vorbereitet: Ihre wenigen öffentlichen Auftritte plane sie minutiös im Voraus, bei Reden halte sie sich wortgenau an ihr Manuskript, und bei Flugreisen plane sie mehrere Stunden Puffer ein, um nur keine Maschine zu verpassen, berichten Ex-Kollegen.

Gemeinsam mit Bernanke hat sie die Fed in den vergangenen Jahren gehörig umgebaut. Die Notenbank folgt mittlerweile einem Inflationsziel von rund zwei Prozent und ist in ihrer Kommunikation transparenter geworden. Auch die Arbeit im Vorstand der Fed funktioniert kollegialer, als das unter dem schillernden „Maestro“ Alan Greenspan je der Fall war.

Von ihrem Vorgänger Ben Bernanke, der für seine lockeren geldpolitischen Ansichten einst als „Helikopter- Ben“ verspottet wurde, der das Geld quasi mit dem Hubschrauber unter die Leute bringen wolle, unterscheidet sie sich nur in Nuancen – tatsächlich gilt Yellen als jemand, die das Geldausgeben gern noch radikaler stimulieren würde. Gleich mehrfach hat Yellen klargestellt, dass sie im Zweifel lieber eine höhere Inflation riskiert, als eine höhere Arbeitslosigkeit zuzulassen. So gesehen steht die Wahl Yellens also für Kontinuität in der US-Notenbankpolitik. Und genau das birgt Tücken. Denn Bernanke, der den größten Teil seiner Amtszeit als Krisenmanager fungieren musste, hinterlässt viele offene Fragen.

Die dringendste ist, wie die Fed die von ihr selbst ausgelöste Geldflut wieder stoppen will, ohne damit die nächste Krise auszulösen. Gut 85 Millionen Staatsanleihen kauft die Fed im Rahmen ihres sogenannten „Quantitative easing“-Programms (QE) – im Monat, wohlgemerkt. Die Zukäufe sollen das Kreditgeschäft ankurbeln und die Zinsbürde der verschuldeten USA senken.

Doch durch die enormen Zukäufe hat sich die Bilanz der Fed in den Bernanke- Jahren seit dessen Amtsantritt 2006 fast verfünffacht. Yellens Aufgabe wird es sein, die Mega-Bilanz der Notenbank von 3,7 Billionen Dollar wieder auf ein normaleres Maß zu schrumpfen. Eine heikle Aufgabe, denn selbst die Ankündigung, die Käufe zu drosseln, löste an den Finanzmärkten bereits Turbulenzen aus. Kaum vorstellbar also, was passieren wird, sollte die Fed je Anleihen aus ihrer Bilanz verkaufen wollen.

Doch das ist nur eines der vielen Probleme, die Yellen lösen muss. Auch die extrem niedrigen Zinsen, an die sich die Welt seit dem Ausbruch der Finanzkrise gewöhnt hat, können nicht für immer bei null bleiben. Bereits jetzt sorgt sich eine wachsende Zahl von Ökonomen darum, dass das billige Geld längst neue Spekulationsblasen angefacht hat, die dramatisch platzen könnten, sobald die Fed die Zügel wieder anzieht.