Notenbank hält an Ankauf von Anleihen fest. Aktienkurse steigen, Experten warnen

Washington. Wegen trüber Konjunkturaussichten traut sich die US-Notenbank Fed noch nicht, den Finanzmärkten das süße Gift des billigen Geldes zu entziehen. Die mächtige Zentralbank schob den Ausstieg aus ihren Hilfen, mit denen das Finanzsystem nach der Pleite der Investmentbank Lehman Brothers vor fünf Jahren vor dem Zusammenbruch bewahrt wurde, auf die lange Bank. Börsianer sprachen von einer „faustdicken Überraschung“. Fast alle Experten hatten damit gerechnet, dass die Fed die monatlichen Anleihe-Käufe reduziert. Während die Aktienmärkte auf Rekordstände kletterten und auch Gold als klassischer Inflationsschutz gefragt war, stürzte der Dollar regelrecht ab.

Dem scheidenden Fed-Chef Ben Bernanke ist die Konjunkturerholung in den USA noch nicht robust genug, um den riskanten Schritt zu wagen. Pessimisten befürchten, es könnte zu einem globalen Crash kommen, sollte die Notenbank den falschen Zeitpunkt erwischen oder zu radikal vorgehen. Kritiker der Fed warnten erneut vor den Nebenwirkungen der historisch niedrigen Zinsen. Sie werfen der Fed vor, eine neue Preisblase – etwa am Immobilienmarkt – zu riskieren und der Inflation Vorschub zu leisten.

„Wir waren mit Blick auf das Wirtschaftswachstum zu optimistisch“, räumte Bernanke ein. Auch die – für amerikanische Verhältnisse – noch immer hohe Arbeitslosenzahl von mehr als sieben Prozent sei ein Risiko für die Konjunktur. Daher werde die Notenbank die Wirtschaft weiter mit dem Ankauf von Staatsanleihen und Immobilienpapieren im Volumen von 85 Milliarden Dollar pro Monat stützen. Ökonomen hatten mit einer Drosselung auf 75 Milliarden gerechnet. Die hohe Verschuldung der USA ist der Fed ebenfalls ein Dorn im Auge. Der weltgrößten Volkswirtschaft droht ab Oktober erneut die Zahlungsunfähigkeit, sollte der Kongress einer Erhöhung der Schuldenobergrenze nicht zustimmen.

Weil Bernanke seinen Posten Ende Januar 2014 räumen dürfte, rätseln Beobachter nun, ob er selbst noch die Kehrtwende einleiten wird. Andernfalls müsste diese extrem knifflige Aufgabe seine Nachfolgerin übernehmen. Favorisiert ist dem Weißen Haus zufolge momentan Fed-Vize Janet Yellen, eine starke Befürworterin der extrem lockeren Geldpolitik.

Einen Zeitplan jedenfalls wollte Bernanke nicht nennen. „Es gibt keinen festgelegten Plan im Kalender.“ Der Ausstieg aus den umstrittenen Bond-Käufen sei vor allem von der Wirtschaftserholung abhängig. Er könne, müsse aber nicht in diesem Jahr erfolgen. Im Juni hatte der Fed-Chef gesagt, noch vor Jahresende handeln zu wollen. Die meisten Anleihe-Händler rechnen nun mit einem entsprechenden Schritt im Dezember. „Aufgeschoben ist nicht aufgehoben“, sagte NordLB-Analyst Tobias Basse. Andere sprachen von einem Schritt zurück: „Die Fed versucht jetzt, den Geist wieder in die Flasche zu bekommen“, kommentierte Philip Marey von der Rabobank.

An den Börsen stiegen viele Aktien-Indizes wie der Dow Jones in New York oder der Dax in Frankfurt auf den höchsten Stand aller Zeiten. Bis zum Nachmittag schaffte der Dax ein Plus von rund einem Prozent auf 8722 Punkte. Auch in Schwellenländern ging es bergauf. Dort waren auch die Währungen wieder gefragt, wie etwa die türkische Lira oder die indische Rupie. Der Dollar stürzte dagegen ab. Der Euro kostete in etwa 1,3550 – der höchste Stand seit sieben Monaten. „Keine Drosselung!“, kommentierte der Investment-Stratege Brad McMillan von Commonwealth Financial. „Der Markt liebt das!“ Weil die Zinsen seit Jahren niedrig sind, kommt in Deutschland aber Kritik von Sparkassen und Lebensversicherern. Die Sparer können mit ihren Anlagen oft nicht einmal mehr die Inflation ausgleichen. „Es besteht die Gefahr, dass sich die Marktteilnehmer an das Doping des billigen Geldes gewöhnen“, so Sparkassen-Präsident Georg Fahrenschon. Die Europäische Zentralbank (EZB) dürfe nicht zu spät Zinserhöhungen ins Visier nehmen. Mit den rekordniedrigen Leitzinsen von 0,5 Prozent versucht auch die EZB unter Mario Draghi die schwache Wirtschaft – vor allem in Südeuropa – zu beleben.

Die US-Wirtschaft hat ihr Wachstum im zweiten Quartal mehr als verdoppelt. Das Bruttoinlandsprodukt legte mit einer Jahresrate von 2,5 Prozent zu. Der private Konsum, der etwa 70 Prozent der Wirtschaftsleistung ausmacht, stieg um 1,8 Prozent. Trotz der hohen Arbeitslosenquote sind die Aussichten – aus europäischer Perspektive – gut: Ein Wachstum von drei Prozent 2014 rechtfertige eine allmähliche Reduzierung der Anleihe-Käufe, sagte der Chef-Lobbyist der deutschen Privatbanken, Michael Kemmer.

Das sehen aber nicht alle so: Die Fed scheine den Konsum nicht übermäßig drosseln zu wollen und sorge sich zudem, dass der Aufschwung am Häusermarkt durch steigende Hypothekenzinsen ein Ende finden könne, sagte Fondsmanager Frank Engels von Union Investment. Der Pimco-Investmentstratege Mohamed El-Erian ergänzte, die Fed bevorzuge das Risiko, zu lange eine zu lockere Geldpolitik zu betreiben anstatt zu früh auf die Bremse zu treten und so die Konjunktur abzuwürgen.