Arbeitsagentur Hamburg will mit neuer Initiative verhindern, dass Erwerbslose Hartz IV beantragen müssen. Hilfen bei Bewerbung und Präsentation

Hamburg. Thomas G. droht in Hartz IV abzurutschen. Trotz vieler Bewerbungen und einer hervorragenden Ausbildung. „Ich habe 60 Bewerbungen geschrieben und nicht ein einziges Vorstellungsgespräch bekommen“, sagt der 31-jährige Techniker für Stahl- und Maschinenbau. Um Thomas G. zu helfen, hat sich die Arbeitsagentur Hamburg etwas Neues ausgedacht: INGA, die interne ganzheitliche Integrationsleistung, wie es im Behörden-Deutsch heißt. Thomas G. ist einer von 2000 Arbeitslosen, die das neue Programm nutzen können. Denn Hamburg ist eine der ersten Arbeitsagenturen, die INGA bereits umgesetzt haben.

„Wir wollen durch eine intensive Betreuung verhindern, das Arbeitslose zu Hartz-IV-Empfängern werden“, sagt Michaela Bagger, Geschäftsführerin der Arbeitsagentur Hamburg. Dazu gehören fast wöchentliche Termine beim Arbeitsvermittler, das gemeinsame Erarbeiten eines detaillierten persönlichen Qualifikationsprofils, intensive Beratung bei der Erstellung der Bewerbungsunterlagen und der direkte telefonische Kontakt zum Vermittler. Das sind Dinge, die selbstverständlich klingen, aber offenbar nicht jedem Arbeitslosen zugutekommen.

Zwar hat sich der Arbeitsmarkt in Hamburg im August wieder leicht erholt, nachdem es im Juli zu einem überraschend starken Anstieg der Arbeitslosigkeit gekommen war. Gegenüber dem Juli sank die Zahl der Erwerbslosen um 1203 Personen oder 1,6 Prozent auf insgesamt 72.167 Jobsuchende. Doch es gibt weiterhin Anzeichen dafür, dass die Dynamik am Arbeitsmarkt nachlässt. So kam es erstmals seit vier Jahren im August wieder zu einem Anstieg der Arbeitslosigkeit gegenüber dem Vorjahresmonat um zwei Prozent. Auch die freien Stellen, die der Arbeitsagentur gemeldet werden, sind rückläufig. „Der Hamburger Arbeitsmarkt ist noch solide aufgestellt, aber im Vergleich zum Vorjahr ist die Entwicklung verhaltener“, sagt Bagger.

Deshalb soll mit dem neuen Betreuungsprogramm jede Möglichkeit genutzt werden, damit sich Arbeitslosigkeit nicht verfestigt. Denn von den rund 72.000 Arbeitslosen sind rund 70 Prozent in Hartz IV, also in der Regel auch länger als zwölf Monate arbeitslos. Auch Thomas G. hat nur noch einen Monat Zeit, bevor er Hartz IV beantragen müsste. Doch seine Vermittlungschancen haben sich deutlich verbessert.

Während in der regulären Betreuung auf einen Arbeitsvermittler 300 bis 400 Jobsuchende kommen, sind es im INGA-Programm nur 65. „Ich nehme mir mindestens eineinhalb Stunden Zeit für das Gespräch mit einem Kunden“, sagt Integrationsberaterin Britta Gießen. Das ist doppelt so viel wie sonst üblich. Außerdem stehen bei den normalen Beratungen offenbar viele formale Dinge wie das Verhalten bei Arbeitslosigkeit im Vordergrund: Kann man Urlaub machen? Was ist, wenn man krank ist? „Ich habe zwar auch gleich zu Beginn meine Bewerbungsunterlagen vorgelegt, aber Hinweise dazu gab es nicht“, sagt Thomas G. „Die Betreuung war nicht sehr intensiv.“

Beraterin Giesen erkannte schnell, dass sich Thomas G. unter Wert verkauft. Er lernte Konstruktionsmechaniker, hat fünf Jahre Berufserfahrung, war vier Jahre bei der Bundeswehr und hat zuletzt noch ein Studium erfolgreich absolviert. „Alle Stationen waren zwar im Lebenslauf korrekt erfasst, aber da kann man mehr herausholen, in dem man noch spezielle Fähigkeiten und Kenntnisse aufführt“, sagt Giesen. So wurden aus einer Seite Lebenslauf zwei Seiten. Dazu ein neues Anschreiben und ein besseres Bewerberfoto. „Die Zusammenarbeit war sehr vertrauensvoll und hat mich weitergebracht“, sagt Thomas G. „Es ist doch ein Unterschied, ob man sich als Mechaniker oder als Techniker bewirbt“, sagt er. Auf die neuen Unterlagen haben potenzielle Arbeitgeber ganz anders reagiert. „Zwei Vorstellungsgespräche sind terminiert, vier weitere stehen in Aussicht“, sagt Thomas G.

Sein Problem ist nicht untypisch. Die Anforderungen an die eigene Präsentation bei der Bewerbung steigen ständig. „Man kann nicht davon ausgehen, dass Akademiker das automatisch perfekt beherrschen“, sagt Giesen. Auch für das Vorstellungsgespräch gibt das neue Betreuungsprogramm INGA Unterstützung.

„Von Fragen nach persönlicher Motivation, Hobbys, Stärken und Schwächen soll niemand überrascht werden“, sagt Giesen. Solche Fragen seien für viele Bewerber noch immer ein Problem. Früher gab es externe Kurse für das Bewerbungstraining. „Jetzt haben wir auch das in das Betreuungsprogramm integriert, alles kommt aus einer Hand“, sagt Giesen. Außerdem sollen durch die häufigeren Kontakte zum Arbeitsvermittler auch Stärken, Fähigkeiten und Qualifikationen herausgefunden werden, die sich nicht aus dem Berufsabschluss ergeben. „Höhentauglichkeit, Führerscheinklassen, Pilotenschein, alles kann für einen neuen Arbeitsplatz relevant sein“, sagt Giesen. Aktuell hat die Arbeitsagentur Hamburg insgesamt 13.200 offene sozialversicherungspflichtige Jobs, die vergeben werden können.

Das neue Programm zahlt sich aus. „Schon nach wenigen Monaten zeigt sich, dass Arbeitslose durch INGA schneller vermittelt werden können“, so Bagger. Erst im Mai war die Arbeitsagentur damit gestartet. „Von den 2000 Arbeitslosen konnten bisher 450 in neue Beschäftigungsverhältnisse vermittelt werden“, sagt Geschäftsführerin Bagger. Sobald Arbeitslose aus dem Programm ausscheiden, rücken andere nach. Die Zahl 2000 soll immer gehalten werden. Damit hat rund jeder zehnte Arbeitslose, der von der Arbeitsagentur betreut wird, Anspruch auf die Vorzugsvermittlung. Die übrigen 50.000 Arbeitslosen betreut das Jobcenter.

Akademiker und Ungelernte profitieren vom Betreuungsprogramm

Wer in das Programm kommt, hängt von verschiedenen Faktoren ab. „Es wird keiner ausgeschlossen“, sagt Bagger. So steht das Programm Akademikern ebenso offen wie Ungelernten, älteren ebenso wie jungen Arbeitslosen. Die Jobsuchenden können ihren Arbeitsvermittler auch direkt auf das spezielle Betreuungsprogramm ansprechen. Die Arbeitsagentur hat eigene Kriterien für die Aufnahme in INGA. Ein Alarmsignal ist zum Beispiel, wenn es trotz vieler Bewerbungen und guter Qualifikation nicht zu einem Vorstellungsgespräch kommt wie bei Thomas G. Auch Berufe wie Dreher, die es heute so nicht mehr gibt, können ein Grund für eine intensive Betreuung sein. Und wer 15 oder 25 Jahre bei einem Arbeitgeber war, ist ebenfalls ein Kandidat für INGA. Denn für diese Arbeitslosen ist das Bewerbungsprozedere lange her. „Sie brauchen auf jeden Fall spezielle Unterstützung“, sagt Giesen.

Das Programm INGA ist zunächst auf zwei Jahre beschränkt. Dann sollen die Erfahrungen ausgewertet und entschieden werden, ob alle Arbeitslosen eine intensivere Betreuung erhalten.