Unternehmensverbände Nord halten Abkehr von Kaltenkirchen für kurzsichtig. Airport-Chef Eggenschwiler sieht Wachstumschancen in Hamburg

Hamburg/Kaltenkirchen. Die bedeutsamste standortpolitische Entscheidung war den norddeutschen Wirtschafts- und Verkehrsministern genau einen Satz wert: „Das Projekt Groß- und Ersatzflughafen Kaltenkirchen soll nicht weiter verfolgt werden“, hieß es in einer gemeinsamen Erklärung, welche die Minister in dieser Woche nach einer Konferenz in Cuxhaven abgaben. Stattdessen sollen die Flughäfen in Norddeutschland bei Kapazitätsengpässen kooperieren.

Damit stirbt ein vor 50 Jahren initiiertes Großprojekt, das über die Planungsphase nie hinausgekommen ist und über das die Menschen im Norden immer tief gespalten waren und es noch sind. Während in Kaltenkirchen über den Beschluss der Küstenminister gejubelt wird, stößt er bei der Wirtschaft im Norden auf Kritik: „Dieser Beschluss ist völlig verfehlt. Er folgt dem Zeitgeist, nicht mehr langfristig zu denken“, wettert der Präsident der Unternehmensverbände (UV) Nord, Uli Wachholtz. Auf diese Weise würden viele Infrastrukturprojekte verschlafen. Schon jetzt komme es am Hamburger Flughafen zu Engpässen: „Fuhlsbüttel liegt mitten in der Stadt und hat zwei sich kreuzende Landebahnen“, sagt Wachholtz.

Das Argument ist nicht neu. Bereits in den 1960er-Jahren gab es aus denselben Bedenken erste Initiativen zum Bau des Großflughafens Kaltenkirchen als langfristigen Ersatz für Fuhlsbüttel. In den 1970er-Jahren wurden zwei parallele, etwa in Ost-West-Richtung verlaufende Start- und Landebahnen mit entsprechenden Abfertigungsterminals geplant. Sie sollten etwa im Gebiet zwischen Lentföhrden sowie Kaltenkirchen im Osten und Lutzhorn im Westen liegen. Die eine oder andere Siedlung sowie ein Golfclub wurden dabei großzügig mit dem Fettstift auf der Landkarte schon einmal weggestrichen.

Den Kaltenkirchenern war das immer ein Dorn im Auge. Sie gründeten eine Bürgerinitiative, aus der die Wählergemeinschaft „Pro Kaki“ hervorging. Diese kämpft seit zehn Jahren gegen das „Monster von Kaltenkirchen“. Auch der Bürgermeister Hanno Krause (CDU) ist gegen das Projekt: Er befürchtet, dass Lärm und Schadstoffemissionen die Wohnqualität in der Region massiv verschlechtern könnten, und dass positive wirtschaftliche Effekte diese negativen Folgen aus seiner Sicht nicht aufwiegen.

Weil viele so denken, galt das Projekt zeitweise schon als beerdigt. 1984 verständigten sich Hamburg und Schleswig-Holstein darauf, dass der Großflughafen keine Option sei. Doch in den folgenden Jahren wurde er immer wieder ins Spiel gebracht. „Hamburg hält sich alle Optionen offen“, sagte der damalige Wirtschaftssenator Gunnar Uldall (CDU) im Jahr 2003. Damals rechnete er mit einem strammen Wachstum an Fluggästen. Für das Jahr 2030 erwartete er ein jährliches Aufkommen von 30 Millionen Passagieren für Fuhlsbüttel.

Eine Prognose, die nach Angaben der Flughafengesellschaft nicht realistisch ist. „Das künftige Passagieraufkommen ist schwer zu kalkulieren. Unsere heutige Prognose geht von 18 Millionen Passagieren im Jahr 2020 aus“, sagte Flughafenchef Michael Eggenschwiler. „Wir haben hier noch so viele Kapazitäten, uns zu entwickeln, dass es für die nächsten 20 Jahre ausreicht, und das ist in der Luftfahrt schon sehr langfristig gedacht. Wir können zwar keine zusätzliche Landebahn bauen, aber den bestehenden Platz effizienter ausnutzen und größere Flugzeuge abfertigen.“

Auch Wirtschaftssenator Frank Horch (parteilos) erwartet keine Kapazitätsengpässe: „Der Flughafen Hamburg ist aufgrund seiner Größe der einzige norddeutsche Flughafen, der auch Interkontinental-Verbindungen ermöglicht. Er hat noch viel Entwicklungspotenzial“, sagte der Senator dem Abendblatt. Sollten sich „wider Erwarten“ Engpässe insbesondere zu Spitzenzeiten am Flughafen Hamburg absehen lassen, könne man über Kooperationen mit anderen norddeutschen Flughäfen, wie beispielsweise Hannover, nachdenken, sagte der Senator.“

UVNord-Chef Wachholtz sieht das ganz anders: „Hannover bietet Nachtflüge an. Wenn Niedersachsen den Flughafen ausbaut, verliert Hamburg sehr schnell seine starke Stellung.“ Der ehemalige Kieler Wirtschaftssenator Werner Marnette hält Horch entgegen, dass er sich als Handelskammer-Chef vehement für den Flughafen Kaltenkirchen eingesetzt habe, und nur aus Parteiräson nun dagegen sei. Und der Geschäftsführer der Handelskammer, Hans-Jörg Schmidt-Trenz, bemängelt das Luftverkehrskonzept insgesamt: „Ein sehr bescheidenes Konzept, das diesen Namen nicht verdient“, sagte er. Fraglich ist auch, was mit den Grundstücken bei Kaltenkirchen passiert, die Hamburg über die Jahre erworben hat, in der Annahme, hier dereinst Landepisten und Abfertigungshallen zu bauen. Insgesamt handelt es sich um 2200 Hektar, die derzeit überwiegend an Landwirte verpachtet sind. „Ein Verkauf steht nicht zur Diskussion“, sagt Flughafen-Chef Eggenschwiler. „Die künftige Nutzung werden wir mit unseren Gesellschaftern besprechen.“ Seine Zurückhaltung ist verständlich: Dem Vernehmen nach liegt der aktuelle Marktpreis der Grundstücke unter der damaligen Kaufsumme.