An der Küste werden Fachkräfte für Windparks auf See trainiert. Die Nachfrage nach den Stellen ist eher gering. Denn es gibt noch viele Probleme

Cuxhaven. Von einer fünf Meter hohen Kaimauer ins Wasser zu springen, eingepackt in einen Überlebensanzug, ist nicht jedermanns Sache. Sieben Teilnehmer absolvieren an diesem Tag ein Offshore-Sicherheitstraining an einem kleinen Bootshafenbecken in Cuxhaven. Vier von ihnen springen, nachdem der Kursleiter sie aufgefordert hat. Die anderen nehmen lieber die Leitern hinab zu den bereitliegenden Booten und gehen von dort aus ins Wasser. Tauchlehrer Ralf Komoreck mahnt die erste Teilgruppe, die mit Sicherheitswesten im Wasser treibt, zu Konzentration und Disziplin: „Wir sind hier nicht zum Ausruhen im Freibad, wir wollen überleben!“, ruft er vom Boot aus.

Zum Überleben ist dieser sonnige Vormittag am Gelände der Deutschen Lebens-Rettungsgesellschaft (DLRG) fast zu schön, jedenfalls zum Wassertraining im Trockenschwimmanzug und in klobigen Handschuhen. Die Teilnehmer formieren sich zu einer Reihe und üben das Schwimmen in Formation. Dann bilden sie einen Stern und strampeln kräftig im Wasser. „Das hilft Rettungsfliegern, Personen auf offener See zu orten“, sagt Michaela Mayer, Inhaberin der Akademie INASEA, die das Training vom Begleitboot aus überwacht. Für die Übenden im Wasser bedeutet es vor allem anstrengende körperliche Arbeit.

Tauchlehrer Komoreck legt dem ersten Kursteilnehmer eine Rettungsschlinge um den Rumpf. Ein Kran am Kai zieht den Mann nach oben ins Boot. Dann wird der nächste geborgen. Drei andere Mitglieder der Gruppe drehen unterdessen eine bereits aufgeblasene Rettungsinsel in die richtige Lage und besteigen sie aus dem Wasser nacheinander. Dann naht die Mittagspause. Die Teilnehmer klettern zurück auf den Kai, ziehen ihre Neoprenanzüge aus, spülen sie mit einem Wasserschlauch ab, trinken einen kräftigen Schluck aus der Flasche.

Seit 2006 bietet Mayer, gelernte Kfz-Mechanikerin und promovierte Meeresbiologin, mit ihrer Firma Offshore-Kurse an. Durch ihre langjährige Arbeit in der Meereswissenschaft, auf Forschungsschiffen und -stationen, aber auch als Tauchlehrerin, hat sie sich ihre Qualifikation für Sicherheitstrainings angeeignet. In der Mitte des vergangenen Jahrzehnts versprach der gerade entstehende Offshore-Windkraft-Markt in Deutschland ein lukratives Geschäft. Auch darauf zielte Mayer mit der Gründung von INASEA ab.

Mittlerweile sind die ersten Windparks in der deutschen Nordsee und Ostsee am Netz, eine Reihe weiterer wird gebaut. Die hohen Erwartungen früherer Jahre aber haben sich bislang nicht erfüllt. „Der deutsche Offshore-Windkraftmarkt wächst nicht so schnell, wie es in vielen Studien vorhergesagt worden war“, sagt Mayer bei Erbsensuppe und Würstchen in der Pause. „Aber viele der 200 bis 300 Teilnehmer, die wir im Jahr ausbilden, wollen auf Offshore-Windparks arbeiten.“ Ein bis zwei Kurse veranstaltet INASEA im Monat, seit Kurzem neben Cuxhaven auch in Kiel, zudem bei einen Partnerunternehmen in Großbritannien. Angeboten wird, wie bei der siebenköpfigen Gruppe in Cuxhaven, das dreitägige Basismodul „Überleben auf See und Brandbekämpfung“. Hinzu kommen ergänzende Kurse für das Aussteigen aus einem notgewasserten Helikopter und die Sicherung und Eigenrettung bei Arbeiten in der Höhe, etwa an einer Windturbine auf See.

Mehrere Tausend Windkraftanlagen sollten, so sah es die politische Rahmenplanung vor, bis zum Jahr 2020 in gut drei Dutzend deutschen Meereswindparks Strom erzeugen. Die Realität liegt weit hinter den Planungen zurück. Weniger als 200 Anlagen stehen bislang in den deutschen Hoheitsgewässern. Anstelle von 10.000 Megawatt installierter Leistung bis zum Jahr 2020 rechnen die beteiligten Branchen damit, dass 5000 bis 6000 Megawatt aufgebaut werden können. Entscheiden wird sich das nach der Bundestagswahl. Dann kommen die Einspeisevergütungen, die Subventionen für Strom aus Wind-, Solar- und Biomasseanlagen auf den Prüfstand, die im Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) mittelfristig festgeschrieben sind.

Die Offshore-Branche in Deutschland hat, nach vielen Rückschlägen in den Anfangsjahren, mittlerweile erhebliche Fortschritte gemacht. Die Zeiten für die Errichtung der Turbinen auf See sind deutlich gesunken. Für den Aufbau von Gründungsfundamenten gibt es inzwischen Standards ebenso wie für den Transport von Großbauteilen in den Häfen. Doch etliche Windparkprojekte wurden im zurückliegenden Jahr gestoppt, weil die Investoren abwarten wollen, wie sich die neu gewählte Bundesregierung vom Herbst dieses Jahres an bei dem Thema positioniert. „Wir brauchen nach der Bundestagswahl im September so schnell wie möglich langfristig verlässliche Rahmenbedingungen für die Offshore-Wirtschaft“, sagt Andreas Wagner, Geschäftsführer der Stiftung Offshore-Windenergie in Berlin. Die Verunsicherung schlägt auf den noch jungen Offshore-Arbeitsmarkt voll durch. Nach Schätzungen aus der Wirtschaft arbeiten in der küstennahen Industrie und in den Dienstleistungsunternehmen für die deutschen Meereswindparks derzeit rund 18.000 Menschen. Engpässe zeichnen sich vor allem bei Servicemitarbeitern ab, die künftig die Windturbinen auf See warten sollen.

„In der Offshore-Industrie erleben wir dasselbe Phänomen wie früher bei der Windkraft an Land und später in der Solarwirtschaft“, sagt Wagner. „Einheitliche Berufsbilder und Ausbildungsstandards bilden sich erst dann heraus, wenn der Markt in Schwung kommt. Um den Markt in Schwung zu bringen, ist aber Vertrauen nötig: bei Investoren ebenso wie bei Arbeitnehmern, die in der Offshore-Wirtschaft eine sichere berufliche Zukunft suchen.“

Bislang herrscht Wildwuchs bei den Qualifikationen. Techniker und Anlagenmechaniker aus vielen Industriebranchen kommen für die Arbeit auf dem Meer infrage – wenn sie denn seetauglich für die Transferfahrten zu den Offshore-Parks sind, die teils 100 Kilometer vor der Küste liegen, und wenn sie die erforderlichen Sicherheitstrainings haben. „Grundlegend gilt für die Sicherheit auf den deutschen Offshore-Windparks das Arbeitsschutzgesetz“, sagt Michaela Mayer von INASEA. „Aber viele Windpark-Betreiber sind hoch verunsichert, welche Sicherheitstrainings die Mitarbeiter im Einzelnen brauchen. Einheitliche Standards für die Branche in Deutschland gibt es noch nicht. Wir sind gut aufgestellt, weil unsere Arbeit international anerkannt ist und weil wir uns an den Bedarf in Deutschland anpassen.“

Eine Reihe kleinerer und mittelständischer Firmen bietet mittlerweile Sicherheitstrainings für die deutsche Offshore-Wirtschaft an. Hinzu kommen Kapazitäten in den Trainingszentren großer Unternehmen wie etwa bei Siemens, Weltmarktführer bei der Fertigung von Offshore-Windturbinen. Über die Probleme bei der Rekrutierung von Fachpersonal sprechen Vertreter der beteiligten Unternehmen nur selten offen – zu groß ist die Unsicherheit am Markt. Mechaniker mit jahrelanger Erfahrung auf Windturbinen an Landstandorten wechseln, trotz höherer Gehälter, nicht ohne Weiteres in den Einsatz auf See, ist unter der Hand zu erfahren. Offshore gilt, trotz aller Sicherheitsvorkehrungen, als riskanter und setzt längere Abwesenheiten von der Familie voraus.

Es sei nicht einfach, geeignetes Personal für den Bau und Betrieb von Offshore-Windparks zu finden, sagt Dominik Schwegmann, Projektmanager bei E.on Climate & Renewables und zuständig für den Offshore-Windpark Amrumbank West, der derzeit gebaut wird. Unter den besonderen Bedingungen auf See benötige man sehr erfahrenes und körperlich fittes Personal. „Die erfahrenen Mechaniker sind aber in der Regel etwas älter. Die jungen sind hingegen alle fit, haben aber weniger Erfahrung“, sagt Schwegmann. Derzeit rekrutiere man das Windpark-Personal zumeist aus Berufsumsteigern. Setzte sich die Offshore-Windenergie durch, könne bald ein Berufsbild mit eigenen Ausbildungsgängen entstehen, sagt er: „Gerade an der Küste weckt die neue Branche am Arbeitsmarkt hohe Erwartungen.“

Auch Damian aus dem Landkreis Cuxhaven macht sich Hoffnungen auf eine sichere Berufsperspektive. Er ist einer der sieben Teilnehmer des INASEA-Kurses in Cuxhaven. Seinen vollen Namen und sein Alter möchte er nicht nennen, auch die anderen Teilnehmer nicht. Damian nimmt am Offshore-Training mit einem Bildungsgutschein der Agentur für Arbeit teil. In seiner früheren Tätigkeit als Industriemeister in der Lebensmitteltechnik sieht er keine Zukunft. Er will umschulen auf Offshore-Windkraft und weitere Sicherheitstrainings absolvieren. Eine Zusage von einem regionalen Dienstleistungsunternehmen habe er schon, sagt er. Aber von welchem, das verrät er nicht.