BMW stellt sein Elektrofahrzeug i3 weltweit vor. 160 Kilometer Reichweite hat die Innovation und kostet 35.000 Euro

London. In den Gesichtern der sechs BMW-Vorstände spiegelt sich viel: Anspannung, Ernst und Freude, Nervosität und Stolz. Über den ganzen Globus sind die Manager verteilt, eine Stadt allein wäre dem Automobilhersteller nicht genug gewesen für diese Premiere. Es müssen drei Metropolen sein, in denen das neue Elektroauto i3 vorgestellt wird, das erste Elektroauto aus Serienfertigung von BMW mit einem Kern aus Carbon. In New York, Peking und London haben sich die Vorstände aufgestellt, um in einer gemeinsamen Live-Schaltung den Startschuss für ein „neues Kapitel in der Automobilgeschichte“ zu geben.

Selten hat man bei Konzernchef Norbert Reithofer so viel Emotionen gesehen. Da steht er, etwas steif, die Schultern leicht hochgezogen, die Hände gefaltet. Fast andächtig. In wenigen Sekunden wird enthüllt, woran seine Techniker mehr als fünf Jahre gearbeitet haben. Was über die Zukunft des Konzerns entscheiden kann. Was das Zeug dazu hat, die Autoindustrie zu verändern. Drei Mädchen drücken in den drei Städten den Knopf für den Countdown, und dann fallen die Hüllen. Die „automobile Revolution“ ist nur knapp vier Meter lang, ungewöhnlich schmal und hoch, und eigentlich sieht sie ganz harmlos aus. Dennoch ist der i3 genau 125 Jahre nach Erfindung des Autos der Beginn einer neuen Ära im Automobilbau. So nachhaltig produziert, wie das im Fahrzeugbau derzeit eben geht, total vernetzt und elektrisch angetrieben.

Aber den eigentlichen Clou kann man nicht sehen, das Material aus dem der Kern dieses Leisetreters ist. Rundum Blech, das war mal, das Modell, mit dem BMW in die Zukunft fahren will, besteht zu einem großen Teil aus Kohlenstoff, aus hauchdünnen, schwarzen Fasern, die zu Matten verwoben werden. Die man erhitzt, backt, verharzt, verklebt. Und am Ende ein Auto daraus zusammensetzt. Ein Auto aus Fasern – eine seltsame Vorstellung. Fester als Stahl sind diese Matten. Aber leichter als Aluminium. Spröde ist das Material zwar, schwer zu verarbeiten und sündhaft teuer in der Herstellung. Aber es macht die Maschinen um 20 Prozent leichter, als wenn man sie aus herkömmlichen Stählen oder Aluminium gebaut hätte. Und um das Gewicht geht es. Leicht muss die Fahrgastzelle des neuen Elektroautos sein, denn mit den schweren Akkus hat der i3 schon genug mit sich herumzuschleppen. Und jedes Kilo mehr lässt die begrenzte Reichweite schrumpfen.

Ausgedacht hat man sich all das 1200 Autobahnkilometer von der großen Show in London entfernt, in der Münchner BMW-Zentrale.

Der i3 ist das erste Kind einer Vision, von November an ist es in Deutschland zu haben, danach kommt der große Bruder, der Edelelektrosportwagen i8, auf den Markt. Aber zu Reithofers Vision gehört weit mehr als nur ein Auto oder eine Modellreihe. Reithofer und seine Manager haben verstanden, dass allein gute Wagen bauen nicht mehr reichen wird, um als Autokonzern zu überleben, zumindest als einer der führenden Premiumhersteller. So setzt BMW auf teure, technisch führende Modelle, auf Elektromobilität und auf Dienstleistungen rund um die Mobilität. Denn letztlich werden die Menschen in den kommenden Jahrzehnten eins wollen: beweglich unterwegs sein. Ob mit einem Auto, gar dem eigenen, wird nicht mehr die Rolle wie heute spielen.

Was BMW vorhat, ist tatsächlich eine Revolution. Dabei sind gerade die Bayern eher für ihre durchaus zukunftsorientierte, aber behutsame Weiterentwicklung des Bestehenden bekannt. Doch dafür ist nach Meinung von Konzernchef Reithofer keine Zeit mehr. Das Fazit der Analysen, die der Vorstandschef bald nach seinem Amtsantritt 2006 in Auftrag gab, war einfach zu beunruhigend.

Also geht BMW nun seinen eigenen Weg. Anders als der Rivale Audi, der weiter auf klassischen Leichtbau setzt. Anders als Toyota, wo man alle Kraft in die Entwicklung der Hybridmodelle steckt. Die Japaner sind Pragmatiker, sie packen einfach zwei Motoren, einen Verbrenner und einen E-Antrieb, in herkömmliche Modelle. Auch so hat man am Ende ein Elektroauto. Ähnlich radikal auf Elektromobilität wie BMW setzt nur Renault. Die Franzosen tun das allerdings ohne die große Idee für neue Materialien, ohne den ganz weiten Bogen zu spannen, Menschen mit allen Möglichkeiten mobil zu machen.

Norbert Reithofer war 2006 kaum zum Vorstandschef aufgerückt, da stand die grundsätzliche Strategiefrage im Raum. Zwei Ziele hatte der im Branchenvergleich bis heute kleine Autobauer: erfolgreichster Premiumhersteller zu bleiben. Und unabhängig. Auf die Frage, wie man das dauerhaft schafft, gab es im Konzern durchaus verschiedene Antworten. Reithofer war kein Freund einer „Weiter-so-Taktik“, er war schließlich neu im Amt.

Also machte man sich an eine grundsätzliche Analyse der Branche, der globalen Trends. Scouts wurden ausgeschickt. „Wir haben uns damals die großen Metropolen angeschaut, die Megacitys, um herauszufinden, wie die Zukunft des Automobils ausschauen kann“, erinnert sich Martin Arlt, Leiter der Gesamtsteuerung von Projekt i. „Wollen die Menschen noch Autos kaufen, gerade die jungen? Und wenn ja, welche Autos? Reicht es künftig noch, die besten Automobile bauen zu wollen?“ Es reicht nicht. Davon ist man inzwischen bei BMW überzeugt. „Überrascht hat mich gerade in Asien, dass dort viele Menschen erst gar keinen Führerschein mehr machen. Die sind Mitte 20 und wollen nicht mehr unbedingt individuell unterwegs sein. Für die sind andere Dinge wichtiger, Kommunikation, vernetzt sein zum Beispiel“, schildert Arlt seine Erfahrungen.

Nicht nur für BMW-Verhältnisse ist der i3 ein richtiger Öko. Das Leder für die Innenausstattung wurde nicht mit Chemie, sondern mit Extrakten aus Olivenblättern gegerbt. Die Konsolen sind aus chemiefrei verarbeitetem Eukalyptus-Holz, die Türverkleidungen aus Hanffasern. Und für die Sitzbezüge wurde die Wolle neuseeländischer Schafe mit Umweltsiegel verarbeitet. Auch bei der Produktion des i3 geht BMW so grün wie möglich vor.

Ist ein Einstiegspreis von 35.000 Euro zu viel für diese fahrende Revolution? Die Kunden werden die Antwort geben. Und sie werden nachrechnen, ob es sich lohnt für diesen Preis ein Fahrzeug zu kaufen, das im Vergleich mit anderen Autos ganz weit vorn beim Umweltschutz liegt. Das allerdings nur eine Reichweite von rund 160 Kilometern hat. Und bei Tempo 150 gedrosselt wird. „Mit diesem Auto ist es wie mit den Smartphones“, sagt Vertriebsvorstand Ian Robertson bei der Präsentation in London. „Keiner hätte am Anfang gedacht, dass aus einem mobilen Telefon so viel werden kann.“