Peter Löscher muss voraussichtlich gehen. Neuer starker Mann ist Finanzvorstand Joe Kaeser

München. Der designierte Siemens-Chef hat Nerven. Der Konzern rutscht ins Führungschaos. Aber Joe Kaeser findet an diesem Sonntagvormittag dennoch Zeit, um in seinem niederbayerischen Heimatort Arnbruck zu einem Fest der freiwilligen Feuerwehr zu kommen. Die weiht an diesem Tag ein Feuerwehrauto ein. Und auf die Fragen der Ortsbewohner, ob er denn nun Konzernchef werde, antwortete er, der hier noch als Josef Käser bekannt ist, nur mit einem Schmunzeln. Entschieden sei noch nichts.

In Arnbruck gilt Kaeser als bescheidener Mann. Bei Siemens hingegen haftet ihm das Etikett an, ein Machtmensch zu sein. Schon lange wurden ihm Ambitionen auf den Chefposten nachgesagt. Nun dürfte er am Ziel angekommen sein. Schon am Donnerstag wird er als designierter Vorstandschef des deutschen Traditionsunternehmens auftreten. Als graue Eminenz gilt er schon länger.

Dass Kaeser seinen Anteil am Sturz von Siemens-Chef Peter Löscher hat, ist unbestritten. Es war seine Abteilung, die Ende vergangener Woche die Finanzmärkte mit einer knappen Mitteilung darüber informierte, dass Siemens das Renditeziel von 2014 nicht erreichen wird. Keine Erklärung. Kein Zitat eines Vorstands. Die Meldung war außergewöhnlich. Und sie leiteten den Sturz Löschers ein. Sich auch öffentlich als Gegenspieler von Löscher darzustellen, dafür war Kaeser allerdings zu schlau. Er beschränkte sich auf kleine Sticheleien – meist hinter den Kulissen.

Für den Vorstandsvorsitzenden war jedenfalls am Sonnabendabend Schluss. Da zogen die vier einflussreichsten Männer bei Siemens den Stecker. Löscher hat den Kredit bei Aufsichtsratschef Gerhard Cromme, Ex-Deutsche-Bank-Chef Josef Ackermann, IG-Metall-Chef Berthold Huber und Gesamtbetriebsratschef Lothar Adler endgültig verspielt. Der 55-jährige Österreicher konnte den Präsidialausschuss des Konzerns bei stundenlangen Beratungen am Münchener Flughafen nicht mehr davon überzeugen, dass er der richtige Mann ist, um weiter den drittgrößten deutschen Industriekonzern zu führen. Sein Vertrag läuft zwar noch bis 2017, aber das hilft jetzt nichts mehr. Der Aufsichtsrat wird bei seiner Sitzung am Mittwoch das vorzeitige Ausscheiden von Löscher beschließen. Dafür wird eigens die Tagesordnung für das 20-köpfige Gremium ergänzt.

Die Diskussionen um die Zukunft von Löscher und vor allem um die Nachfolgefrage waren offensichtlich hitzig. Löscher hatte noch kurz vor dem Treffen erklärt, er wolle um sein Amt kämpfen wolle. Die Vorstände der wichtigsten Siemens-Ressorts mussten vor den Kontrolleuren referieren, wie sie aktuell die Lage ihrer Sparten sehen und – was noch viel wichtiger ist – wie sie das künftige Geschäft einstufen.

Löscher musste nochmals eingestehen, was alle schon durch eine Mitteilung an die Börse wussten: Er kann sein Ziel von 14 Prozent Umsatzrendite 2014 nicht mehr erreichen. Die Nachrichtenagentur Bloomberg berichtete, dass voraussichtlich allein 1,5 Milliarden Euro im Planergebnis fehlten. Umgerechnet wäre das eine Umsatzrendite von rund zehn Prozent nach 9,5 Prozent im Vorjahr. Wie es im Umfeld des Konzerns heißt, wäre das Verfehlen des Renditeziels für 2014 vor dem Hintergrund der Konjunkturentwicklung für sich genommen noch kein Grund gewesen, sich von Löscher zu trennen. Es war dann aber eine Ergebniskorrektur zu viel, nachdem Löscher schon in den vergangen Monaten mehrmals seine Prognosen nach unten anpassen musste.

Spätestens, als Löscher im November sein Kostensenkungsprogramm „Siemens 2014“ mit sechs Milliarden Euro Einsparungen verkündete, brachte er auch die Belegschaft gegen sich auf. Umbaukosten von 900 Millionen Euro 2013 übersetzten viele Branchenkenner mit einem Stellenabbau in der Größenordnung von 10.000 Beschäftigten. Aus dem Unternehmen gab es vermehrt Stimmen über große Unruhe und Unsicherheit. Der mächtige Arbeitnehmerblock entwarf als Gegenentwurf das Konzept „Siemens 2020“, das weniger auf Renditekennziffern, als auf Beschäftigungssicherung abzielt.

Daniela Bergdolt, Sprecherin der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW), sagte, dass Löscher es einfach nicht geschafft habe, „Siemens auf sich und seine Ziele einzuschwören“. Zumindest die zweite Amtsperiode des Managers, der seit 2007 an der Siemens-Spitze steht, seien daher verlorene Jahre. Löscher habe letztlich keine langfristige Vision für den Konzern gehabt. „Wenn nicht Siemens den Atem für eine Langfriststrategie hat, welches Unternehmen dann?“

Auf dieses Manko einer Vision hatte Finanzvorstand Kaeser im kleinen Kreis immer wieder hingewiesen. Der Konzern befinde sich eher in einem Schrumpfprozess, als dass es neue Wachstumsfelder gebe. Offensichtlich traut der Aufsichtsrat dem 56-jährigen Kaeser jetzt zu, den schlingernden Konzern wieder auf Kurs zu bringen. Eine Alternative wäre noch der Chef der Industriesparte, Siegfried Russwurm, gewesen. Mit 50 Jahren ist er etwas jünger als Kaeser und war bereits Personalvorstand im Konzern, bevor er an die Spitze der wichtigen Industriesparte rückte. Russwurm gilt als Technikfreak und zeichnet in seinem Bereich bereits einen Weg vor, den Siemens insgesamt gehen könnte: Die Softwareentwicklung, im Bereich Industrie zur Prozesssteuerung, wird immer wichtiger.

Doch der Aufsichtsrat wird mit allergrößter Wahrscheinlichkeit nicht den Ingenieur Russwurm, sondern den Betriebswirtschaftler und Finanzchef Kaeser an die Spitze wählen. Kaeser, so heißt es im Konzern, sei noch besser verdrahtet als Russwurm und habe vor allem exzellente Kontakte in den wichtigen Finanzsektor und bei Analysten.

Für Siemens-Aufsichtsratschef Cromme ist die Festlegung auf Kaeser der zweite Versuch, den richtigen Siemens-Chef zu finden. Als der ehemalige ThyssenKrupp-Aufsichtsratschef Cromme im Sommer 2007 Löscher als Überraschungskandidaten für den damaligen Siemens-Chef Klaus Kleinfeld vorstellte, war es sein Wunschkandidat. Das Duo Cromme-Löscher räumte im Schmiergeld- und Korruptionssumpf von Siemens auf, verordnete dem Konzern neue Strukturen. Anfangs schien es auch so, als könne Löscher als erster Vorstandschef bei Siemens, der seine Karriere nicht im Unternehmen begann, Fuß fassen. Doch selbst nach sechs Jahren an der Konzernspitze wirkte er wie fremd im Unternehmen.